OVG Thüringen

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Zitieren als:
OVG Thüringen, Beschluss vom 28.12.2009 - 3 ZKO 614/08 - asyl.net: M17001
https://www.asyl.net/rsdb/M17001
Leitsatz:

Ablehnung eines Berufungszulassungsantrags des BAMF, da die Begründung der Grundsatzrüge nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG genügt. Insbesondere fehlt eine Auseinandersetzung mit dem zentralen Aspekt der vom VG Meiningen (Urteil v. 20.8.2008) vorgenommenen Bewertung der Versorgungslage für abgeschobene Rückkehrer nach Afghanistan.

Schlagwörter: Berufungszulassung, Grundsätzliche Bedeutung, extreme Gefahrenlage, Afghanistan, Existenzgrundlage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7, AsylVfG § 78 Abs. 4 S. 4, AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Auszüge:

[...]

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist bereits unzulässig. Der Vortrag zur Begründung des auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) gestützten Antrags genügt nicht dem Darlegungsgebot des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG.

Die Beklagte bezeichnet als ihrer Ansicht nach grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage, "ob für männliche afghanische Staatangehörige, die im Heimatland, insbesondere in Kabul, über keine familiären Bindungen verfügen, bei Rückkehr dorthin eine Überlebensmöglichkeit unter Sicherung des Existenzminimums ohne Gefährdung für Leib und Leben besteht."

Ungeachtet dessen, dass die Frage in ihrer Formulierung einer gewissen Präzisierung bedarf, um sie als in dem erstrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig erachten zu können (so räumt die Beklagte selbst ein, dass angesichts der allgemeinen Lage in Afghanistan für alle Rückkehrer eine nicht unerhebliche Gefahr für Leib und Leben besteht; allerdings lässt sich ihrem Vortrag im Übrigen wohl noch mit hinreichender Bestimmtheit entnehmen, dass insoweit das durch die Rechtsprechung näher beschriebene, abschiebungsrechtlich relevante Maß einer extremen Gefahr gemeint ist), genügen die weiteren Ausführungen zur Begründung der Grundsatzrüge inhaltlich nicht den Anforderungen an die Darlegung dieser Rüge. [...]

Insbesondere fehlt eine Auseinandersetzung mit einem zentralen Aspekt der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Bewertung der Versorgungslage für abgeschobene Rückkehrer nach Afghanistan sowohl in der eigenen Auswertung der Erkenntnisquellen durch die Beklagte als auch in den von ihr zitierten Passagen anderer Gerichtsentscheidungen: Das Verwaltungsgericht hat der Sache nach seine Würdigung, dass den Kläger im Falle seiner Abschiebung die allgemein ohnehin schlechte Versorgungslage (von der auch die Beklagte ausgeht) in besonderer Weise und damit im Sinne einer extremen Gefahr treffen würde, erkennbar maßgeblich darauf gestützt, dass er sowohl gegenüber der ansässigen Bevölkerung als auch im Vergleich zu der Vielzahl freiwilliger Rückkehrer besondere Nachteile habe. Als aus Deutschland (und damit aus Europa) Zurückkehrender werde ihm eine finanzielle Besserstellung unterstellt, was zu einer Benachteiligung im Hinblick auf die Unterstützung durch Hilfsorganisationen führe; außerdem unterfielen die abgeschobenen Rückkehrer auch nicht dem Mandat des UNHCR, der mit seinem Programm nur freiwillige Rückkehrer unterstütze (vgl. die in der Antragsschrift auf S. 3 oben und unten zitierten Passagen des Urteils). Mit dieser entscheidungstragenden - und vom Verwaltungsgericht zwar knapp, aber durchaus plausibel begründeten - Differenzierung zwischen der Lage für die ansässige Bevölkerung im allgemeinen und für freiwillige Rückkehrer einerseits sowie für zwangsweise zurückgeführte Personen andererseits setzen sich weder die Beklagte noch die anderen Gerichte in deren von der Beklagten angeführten Argumentation in der gebotenen Weise auseinander. Vielmehr wird - unter Ausblendung dieser Differenzierung - der Sache nach durchweg insbesondere von der (gerade noch als erträglich erachteten) Situation für freiwillige Rückkehrer auf die Überlebensmöglichkeit auch für Abgeschobene geschlossen.

Darauf, dass die Beklagte auch auf andere Erwägungen des Verwaltungsgerichts wohl nicht hinreichend im Sinne des Darlegungsgebots eingeht (so hat das Verwaltungsgericht in seinen Entscheidungsgründen unter Bezugnahme auf einen Lagebericht des Auswärtigen Amtes ausgeführt, dass zurückkehrende Asylbewerber "nur dann mit menschenwürdigen Wohnraum versorgt" würden, "wenn sie auf die Hilfe von Familienangehörigen in Kabul zurückgreifen könnten"; vgl. die in der Antragsschrift auf S. 2, Mitte, zitierte Passage des Urteils), kommt es nicht mehr an. [...]