VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 16.04.2010 - 2 K 462/09 - asyl.net: M17017
https://www.asyl.net/rsdb/M17017
Leitsatz:

Kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Suleimania (Nordirak).

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Irak, Nordirak, Abschiebungsverbot, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Suleimania, individuelle Bedrohung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2
Auszüge:

[...]

Ebenso wenig lässt sich ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG feststellen. Danach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Vorschrift setzt die sich aus Art. 18 i.V.m. Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG ergebenden Verpflichtungen auf Gewährung eines "subsidiären Schutzstatus" bzw. "subsidiären Schutzes" in nationales Recht um.

Der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist dabei unter Berücksichtigung der Bedeutung dieser Begriffe im humanitären Völkerrecht, insbesondere unter Heranziehung von Art. 3 der Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht 1949 und des zur Präzisierung erlassenen Zusatzprotokolls II von 1977 auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie nicht von vorneherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind (vgl. ausführlich BVerwG, Urteil vom 24.06.2008, a.a.O.).

Der bewaffnete Konflikt muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken; vielmehr ist vorrangig auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird. Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion muss der Ausländer stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9/08 - juris; Bay. VGH, Urteil vom 21.01.2010 - 13a B 08.30304 -, juris).

Vor diesem Hintergrund teilt die Kammer die - von dem Kläger im Übrigen nicht substantiiert bestrittene - Auffassung der Beklagten, dass die Provinz Sulaimaniya, aus der der Kläger stammt und in die er mangels gegenteiliger Anhaltspunkte typischerweise zurückkehren wird, von einem bewaffneten Konflikt in dem vorbezeichneten Sinn nicht betroffen war und ist.

Das Auswärtige Amt führt insoweit aus, in den unter autonomer kurdischer Verwaltung stehenden Gebieten des Nordirak (Region Kurdistan-Irak) - hierzu gehört Sulaimaniya - sei die Sicherheitslage deutlich besser als in Bagdad und dem Rest des Landes. Soweit das Amt eine Bombenexplosion erwähnt, bei der am 10.03.2008 mindestens zwei Menschen vor einem internationalen Hotel in Sulaimaniya getötet worden seien (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak - Stand August 2009 - vom 12.08.2009, in Dok. Irak), handelt es sich bei diesem Anschlag ersichtlich um einen Einzelfall. Ausweislich der von der britischen regierungsunabhängigen Organisation Iraq Body Count chronologisch aufgelisteten Anschläge und Attentate hat es in Sulaimaniya seither keine weiteren Vorfälle dieser Art gegeben (vgl. www.iraqbodycount.org/database/incidents ). Auch aus den der Kammer sonst vorliegenden Erkenntnismitteln, insbesondere den bis zum 07.04.2010 ausgewerteten Pressemitteilungen in dem Dokumentationsordner Irak/Presse finden sich keine Hinweise auf Anschläge bzw. Attentate im Raum Sulaimaniya. Dass die 1,1 Millionen Einwohner zählende Stadt von einem bewaffneten Konflikt nicht betroffen ist, bestätigt schließlich der Eintrag in der Enzyklopädie Wikipedia, wonach Sulaimaniya als eine der ganz wenigen größeren Städte des Irak seit dem Kriegsende 2003 praktisch keine Bombenanschläge erlebt hat (http: //de.wikipedia.org/wiki/sulaimaniya). Da damit eine individuelle Bedrohung des Klägers in seiner Herkunftsregion ausscheidet, kann offenbleiben, ob andere Regionen des Irak von einem bewaffneten Konflikt betroffen sind. [...]