VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 26.11.2009 - 5 K 1154/07 - asyl.net: M17018
https://www.asyl.net/rsdb/M17018
Leitsatz:

Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG für alleinstehende tamilische Frau, da sie in Sri Lanka keine Familie oder Freunde hat und über keine berufliche Qualifikation verfügt. Aufgrund fehlender Erwerbsmöglichkeiten würde sie in die Gefahr des Hungertodes geraten.

Keine Gruppenverfolgung von Tamilen; auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG, da der bewaffnete Konflikt seit der vollständigen militärischen Niederlage der LTTE beendet ist.

Schlagwörter: Asylverfahren, Abschiebungsverbot, Sri Lanka, Tamilen, Gruppenverfolgung, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, extreme Gefahrenlage, Existenzgrundlage, Versorgungslage, alleinstehende Frauen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2
Auszüge:

[...]

Die Klage hat Erfolg, soweit die Klägerin die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Sri Lankas begehrt. Insoweit ist der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28.08.2007 rechtswidrig und einschließlich der zugehörigen Abschiebungsandrohung aufzuheben. Im Übrigen ist der angefochtene ablehnende Bescheid der Beklagten vom 28.08.2007 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). [...]

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Ausreise einer gegen die tamilische Bevölkerungsgruppe gerichteten Gruppenverfolgung ausgesetzt gewesen wäre. [...]

Die erkennende Kammer folgt insoweit der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Urteile vom 24.05.2006 - 21 A 3940/04.A -, vom 17.04.2007 - 21 A 3013/04.A - und vom 29.04.2009 - 3 A 627/07.A - jew. zit. nach juris), wonach die Gefahr einer Gruppenverfolgung für Tamilen in Sri Lanka nicht besteht. In diesen Entscheidungen hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen unter ausführlicher Auseinandersetzung mit den vorliegenden Gutachten und Auskünften festgestellt, dass tamilische Volkszugehörige im Allgemeinen oder Untergruppen hiervon, wie etwa zurückkehrende Asylbewerber, männliche Tamilen jüngeren bzw. mittleren Alters oder Tamilen aus dem Norden und Osten allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit landesweit oder regional weder einer staatlichen noch einer von der sogenannten Karuna-Gruppe/TMVP oder der LTTE ausgehenden Gruppenverfolgung ausgesetzt sind. An dieser Einschätzung hat sich auch nach dem Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen in Sri Lanka im Mai 2009 nichts geändert. Vielmehr besteht die Hoffnung, dass es nunmehr zu einer Entspannung insbesondere im Verhalten der srilankischen Behörden gegenüber den Tamilen kommen wird, wobei eine Verfolgung durch die LTTE auf Grund deren völliger militärischer Niederlage zum jetzigen Zeitpunkt weitgehend auszuschließen ist (vgl. hierzu auch VG Augsburg, Beschluss vom 24.06.2009 - Au 2 E 09.30098 - juris). [...]

3. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. In Sri Lanka herrscht jedoch kein solcher bewaffneter Konflikt mehr. Denn der Bürgerkrieg in Sri Lanka mit den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der LTTE, der Karuna-Gruppe/TMVP und der srilankischen Armee ist nach der vollständigen militärischen Niederlage der LTTE beendet (vgl. Auswärtige Amt, Lagebericht vom 02.09.2009; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aktuelle Situation vom 07.07.2009; FAZ vom 19.05.2009; SZ vom 19.05.2009; NZZ vom 22.05.2009).

4. Die Klägerin hat aber einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Sri Lankas.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. [...]

Diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin zu bejahen. Es muss davon ausgegangen, dass sie auf Grund der in Sri Lanka herrschenden Versorgungslage mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage wäre, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen und deshalb in eine Gefahrenlage i.S. der o.a. Rechtsprechung kommen würde. Insoweit ist der Umstand zu berücksichtigen, dass die Klägerin außer ihrer Mutter keine Verwandte mehr in Sri Lanka hat und auch der Kontakt zur Mutter nach ihrer Ausreise vollständig verloren gegangen ist. Hiervon ist auf Grund ihrer glaubhaften Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung auszugehen. Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 02.09.2009 ist ausgeführt, zurückkehrende Asylbewerber seien weitgehend auf die Hilfe von Familienangehörigen oder Freunden angewiesen. Ohne solche Unterstützung sei es für Rückkehrer schwierig in angemessener Zeit eine wirtschaftliche Existenzgrundlage aufzubauen und wieder sozial in Sri Lanka Fuß zu fassen. Ohne familiäres und soziales Netz drohe Rückkehrern schnell die Verelendung. Da im Falle der Klägerin zu dem Umstand, dass sie keinen Kontakt zu Familienangehörigen oder Freunden in Sri Lanka hat, hinzukommt, dass sie über keine berufliche Qualifikation verfügt und in Sri Lanka nur als Hausfrau gearbeitet hat, muss unter Zugrundelegung der Ausführungen des Auswärtigen Amtes zur sozialen Situation in Sri Lanka davon ausgegangen werden, dass sie bei einer Rückkehr innerhalb kürzester Zeit in eine Situation kommen würde, die auf Grund der fehlenden Erwerbsmöglichkeiten zu einer Mangelversorgung mit Nahrungsmitteln und damit der Gefahr des Hungertodes führen würde. [...]