OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.04.2010 - 18 B 195/10 - asyl.net: M17029
https://www.asyl.net/rsdb/M17029
Leitsatz:

Bei verspäteter Stellung eines Verlängerungsantrags kann eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG entstehen, wenn der Antrag in einem innerem Zusammenhang mit dem abgelaufenen Aufenthaltstitel steht (ständige Rechtsprechung des Senats). Angesichts der kurzen Geltungsdauer des Schengen-Visums fehlt es jedoch an einem solchen inneren Zusammenhang, da der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mehr als zwei Monate nach Ablauf des Besuchsvisums gestellt wurde und keine besonderen Umstände des Einzelfalls eine andere Beurteilung erfordern.

Schlagwörter: Fiktionswirkung, vorläufiger Rechtsschutz, Wechsel des Aufenthaltszwecks, verspätete Antragstellung, Schengen-Visum, Aufenthaltserlaubnis
Normen: AufenthG § 81 Abs. 4, AufenthG § 81 Abs. 2 S. 2, AufenthV § 41 Abs. 3 S. 1, AufenthG § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Auszüge:

[...]

Der Senat hat bereits entschieden, dass auch ein Schengen-Visum geeignet ist, die Fortbestandsfiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG auszulösen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. September 2008 - 18 B 943/08 -, InfAuslR 2009, 74).

Dem Eintritt der Fiktionswirkung stand aber entgegen, dass der Antrag erst am 25. August 2008 und damit mehr als zwei Monate nach Ablauf des bis zum 18. Juni 2008 verlängerten Visums gestellt wurde. Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Fortbestandsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG auch eingreift, wenn der Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels erst nach Ablauf der Geltungsdauer des Titels und damit verspätet gestellt wird; der Antrag muss jedoch in innerem Zusammenhang und dabei insbesondere in zeitlicher Nähe mit dem Ablauf der Geltungsdauer des Aufenthaltstitels gestellt werden (OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Juli 2009 - 18 B 1661/08 -, juris; vom 6. Juli 2007 - 18 B 2184/06 -, juris, und vom 23. März 2006 - 18 B 120/06 -, NWVBl. 2006, 368).

Daran fehlt es hier. Der erforderliche innere Zusammenhang zwischen dem Ablauf der Geltungsdauer des Titels und dem Antrag kann allein aufgrund des Ausmaßes der Verspätung entfallen. In der Rechtsprechung des Senats ist bislang nicht abschließend geklärt, bis zu welcher zeitlichen Verzögerung noch von einer geringfügigen, den inneren Zusammenhang wahrenden verspäteten Antragstellung auszugehen sein kann. Der Senat hat dies bei einer Antragstellung wenige Tage nach Ablauf der Geltungsdauer des Aufenthaltstitels bejaht (OVG NRW, Beschlüsse vom 1. September 2008 - 18 B 943/08 -, InfAuslR 2009, 74 (allenfalls zwei Tage); vom 6. Juli 2007 - 18 B 2184/06 -, juris (elf Tage), und vom 23. März 2006 - 18 B 120/06 -, NWVBl. 2006, 368 (fünf Tage)) und bei einer Versäumung der Antragsfrist um mehr als acht Monate bzw. mehr als ein Jahr verneint (OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Juli 2009 - 18 B 1661/08 - und vom 30. Januar 2008 - 18 B 1252/07 -, jeweils juris).

Als Anhaltspunkte für eine noch als geringfügig anzusehende und den inneren Zusammenhang wahrende Fristversäumnis hat der Senat bislang die Frist von sechs Monaten, innerhalb derer nach § 81 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ein Aufenthaltstitel für ein in Deutschland geborenes Kind zu beantragen ist, sowie die nach § 41 Abs. 3 Satz 1 AufenthV für Staatsangehörige privilegierter Staaten geltende Frist von drei Monaten erwogen (OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Juli 2009 - 18 B 1661/08 - und vom 30. Januar 2008 - 18 B 1252/07 -, jeweils juris).

Einer weiteren Klärung bedarf es hier nicht, weil zu dem Zeitablauf von mehr als zwei Monaten zwischen dem Ende der Gültigkeit des Visums der Antragstellerin und ihrem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis weitere Umstände hinzukommen, aufgrund derer ein innerer Zusammenhang nicht mehr gewahrt ist (zur Möglichkeit, dass andere als rein zeitliche Aspekte der Annahme eines inneren Zusammenhangs entgegenstehen können, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Juli 2007 - 18 B 2184/06 -).

Das Schengen-Visum, über das die Antragstellerin bis 18. Juni 2008 verfügte, diente allein einem kurzfristigen Aufenthalt (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG), nämlich einem Besuch bei ihrer Tochter. Die beantragte Aufenthaltserlaubnis ist demgegenüber auf einen dauernden Aufenthalt gerichtet. Sie soll ermöglichen, dass die Antragstellerin bis auf weiteres bei ihrer Tochter lebt und von dieser die Betreuung und Unterstützung erhält, auf die sie aufgrund ihres Alters und ihrer Erkrankung dauerhaft angewiesen ist. Ob diese Änderung des Aufenthaltszwecks, die stets mit dem Übergang von einem Schengen-Visum zu einer Aufenthaltserlaubnis einhergeht, generell einen inneren Zusammenhang zwischen dem Ablauf eines Schengen-Visum und einem im Anschluss hieran gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausschließt, bedarf keiner Entscheidung. An einem inneren Zusammenhang fehlt es angesichts der nur kurzen Geltungsdauer eines Schengen-Visums jedenfalls, wenn der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis – wie hier – mehr als zwei Monate nach Ablauf des Besuchsvisums gestellt wurde und nicht im Einzelfall besondere Umstände gegeben sind, die eine andere Beurteilung erfordern. [...]