AG Nürtingen

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Zitieren als:
AG Nürtingen, Urteil vom 02.07.2009 - 20 Ls 56 Js 18187/09 jug. - asyl.net: M17043
https://www.asyl.net/rsdb/M17043
Leitsatz:

Verurteilung eines psychisch kranken minderjährigen afghanischen Flüchtlings wegen Einreise mit falschem Ausweis aus Griechenland zu einer Jugend(freiheits)strafe von sechs Monaten ohne Bewährung wegen Schwere der Schuld (siehe hierzu VG Stuttgart v. 16.3.10 - 11 K 4295/09, M17033).

Schlagwörter: Strafrecht, Ausländerstrafrecht, Urkundenfälschung, Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen, unerlaubte Einreise, Freiheitsstrafe, Jugendstrafe
Normen: StGB § 267, StGB § 276, AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 3, AufenthG § 14 Abs. 1 Nr. 1, StGB § 52, JGG § 1, JGG § 3, JGG § 17, JGG § 21, JGG § 31, JGG § 74
Auszüge:

[...]

I. Der Angeklagte ist 17 Jahre alt und stammt aus Afghanistan.

In vorliegender Sache befindet er sich nach vorläufiger Festnahme am 02.03.2009 seit 03.03.2009 aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Nürtingen ununterbrochen in Untersuchungshaft in der JVA Stuttgart bzw. im JVK Hohenasperg.

In seinem Heimatland hat der Angeklagte angeblich keine Schule besucht. Er lebte in der Stadt ... mit seinen Eltern, sein Vater starb, als er 5 Jahre alt war. Seine Mutter heiratete erneut.

Der Angeklagte lebte von der Arbeit als Hirte.

Da sein Stiefvater ein hoher Offizier bei den Talibanmilizen sei, musste der Angeklagte aus Furcht um sein Leben das Land verlassen. Seine Mutter sei vor ca. 1 Jahr verstorben. Sein Stiefvater wollte von ihm, dass er sich sein Geld durch Herointransporte verdiene, was er ablehnte.

Über einen Fluchthelfer sei er von Afghanistan in den Iran, dann in die Türkei und Griechenland geflüchtet.

Der Angeklagte ist in Deutschland nicht vorbestraft. Er gibt an in Deutschland bleiben, die Schule besuchen und ein gutes Leben hier führen zu wollen.

II. Der afghanische Angeklagte reiste am 02.03.2009 gegen 11.45 Uhr mit dem Flug OA 191 aus Athen-Thessaloniki kommend über den Flughafen Stuttgart in die Bundesrepublik Deutschland ein. Dabei legte er bei der Einreisekontrolle eine, wie er wusste, gefälschte rumänische Identitätskarte Nr.: MS128577, ausgestellt auf den Namen V. St., geboren 29.11.1980 in Rumänien vor, um damit den Eindruck zu erwecken, er können berechtigt nach Deutschland einreisen.

III. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen beruhen auf den Angaben des Angeklagten.

Der Angeklagte hat den Tatvorwurf eingeräumt.

IV. Er ist somit der Urkundenfälschung in Tateinheit mit des sich Verschaffens von falschen amtlichen Ausweisen und unerlaubter Einreise schuldig.

V. Der zur Tatzeit Jugendliche ist strafreif.

Er war nach Auffassung des Gerichts zu einer Jugendstrafe von 6 Monaten zu verurteilen, da die Schwere der Schuld durchaus zu bejahen ist.

Eine Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung kam in Anbetracht der persönlichen Umstände des Angeklagten nicht in Betracht. Er hat in Deutschland keinerlei Hinwendungsort oder soziale Bindungen. [...]