VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 17.12.2009 - 6 K 790/08.A - asyl.net: M17049
https://www.asyl.net/rsdb/M17049
Leitsatz:

Keine politische Verfolgung von Kurden und keine religiöse Verfolgung von Jeziden; bei Diskriminierung ist der armenische Staat schutzwillig und schutzfähig. Psychische Erkrankungen sind behandelbar, bei Mittellosigkeit wird staatliche Unterstützung gewährt.

Schlagwörter: Asylverfahren, Armenien, Kurden, Yeziden, Abschiebungsverbot, Retraumatisierung, Asylfolgeantrag, Wiederaufnahme des Verfahrens, psychische Erkrankung, Ermessen, medizinische Versorgung, Mittellosigkeit, Suizidgefahr, religiöse Verfolgung, Schutzfähigkeit, Schutzbereitschaft
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1, VwVfG § 51
Auszüge:

[...]

Hat das Bundesamt in einem vorhergehenden Asylverfahren unanfechtbar das Vorliegen von Abschiebungshindernissen verneint, besteht nicht nur bei einem Folgeantrag gemäß § 71 Absatz 1 AsylVfG, sondern auch bei einem Folgeverfahren beschränkt auf Abschiebungsverbote analog § 71 Absatz 1 AsylVfG ein Anspruch auf erneute Entscheidung nur dann, wenn die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Absätze 1 bis 3 VwVfG vorliegen oder nach § 51 Absatz 5 in Verbindung mit §§ 48, 49 VwVfG das Ermessen des Bundesamtes darauf reduziert ist, eine neue Entscheidung zu treffen (Vgl. Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - Urteil vom 21. März 2000 - 9 C 41.99 - BVerwGE 111, 77 (81 f.)).

Das Bundesamt hat eine erneute Entscheidung über Abschiebungsverbote nach Maßgabe von § 71 Absatz 1 AsylVfG in Verbindung mit § 51 VwVfG zurecht abgelehnt. Nach diesen Vorschriften ist nur dann erneut zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- und Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1), neue Beweismittel eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeiführen würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung - ZPO - gegeben sind (Nr. 3), und wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den jeweiligen Grund in einem früheren Verfahren geltend zu machen (vgl. § 51 Absatz 2 VwVfG). Der Betroffene ist gehalten, die Geeignetheit der in § 51 Absatz 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG benannten Gründe für eine ihm günstigere Sachentscheidung unter Angabe der neuen Tatsachen und Beweismittel (vgl. § 71 Absatz 3 AsylVfG) schlüssig und rechtzeitig darzulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 33.90 - Buchholz 402.25 §14 AsylVfG Nr. 10).

Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht, sondern er hat seine psychische Erkrankung als Grund für ein Abschiebungsverbot zu spät vorgetragen. Bereits zum Jahreswechsel 2005/2006 machte er seine Traumatisierung gegenüber der Bezirksregierung Arnsberg zugunsten der von ihm begehrten Umverteilung geltend, so dass er sie spätestens in der mündlichen Verhandlung am 14. Februar 2007 vor dem erkennenden Gericht auch zugunsten des von ihm damals hilfsweise begehrten Abschiebungsverbotes hätte geltend machen können. Stattdessen blieb er bis zum Abschluss des Erstverfahrens bei seinem Vortrag, keine gesundheitlichen Probleme zu haben, was dazu im deutlichen Widerspruch steht. Das widersprüchliche Verhalten gegenüber den verschiedenen deutschen Behörden und Gerichten lässt sich auch nicht durch seine Einlassung erklären, er habe befürchtet, dass Informationen an armenische Stellen gelangen könnten.

Das Bundesamt hat auch nicht ermessensfehlerhaft einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Absatz 5 in Verbindung mit §§ 48, 49 VwVfG abgelehnt. § 51 VwVfG, der in vollem Umfang auf Entscheidungen nach dem Aufenthaltsgesetz anwendbar ist, ermöglicht durch die Verweisung in Absatz 5, dass das Bundesamt nach pflichtgemäßem Ermessen eine Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens treffen und unter Umständen seinen unanfechtbaren Erstbescheid nach §§ 48 f. VwVfG abändern kann. Ein Anspruch auf Neubescheidung besteht dann, wenn das Bundesamt nur dadurch sein Ermessen fehlerfrei ausüben kann (sogenannte Ermessensreduktion auf Null) (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2000 - 9 C 41.99 -, BVerwGE 111, 77 (81 f.); Beschlüsse vom 25. Mai 1981 - 8 B 89.90 u. a. -, NJW 1981, 2595, und vom 15. September 1992 - 9 B 18.92 -, NVwZ-RR 1993, 667).

Ein solcher Fall kommt nur dann in Betracht, wenn die Aufrechterhaltung des bestandskräftigen Bescheides schlechthin unerträglich wäre oder Umstände ersichtlich sind, die das Beharren der Beklagten auf Unanfechtbarkeit des Erstbescheides ausnahmsweise als Verstoß gegen Treu und Glauben oder gegen die guten Sitten erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 1974 - VIII C 20.72 - BVerwGE 44, 333 (336)). [...]

Auch die Gefahr, dass sich die Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatland wegen der dortigen unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten oder sonstiger Umstände wie einer heimatbezogenen Intensivierung der Erkrankung verschlimmert, kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG begründen. Voraussetzung ist, dass die befürchtete Verschlimmerung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führt, das heißt eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität erwarten lässt. Dies ist der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich verschlechtern würde. Konkret ist die Gefahrenlage, wenn die befürchtete Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in den Zielstaat der Abschiebung einträte (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. Juli 1999 - 9 C 2.99 - juris, Rn. 7 ff.; vom 7. Dezember 2004 - 1 C 14.04 -, BVerwGE 122, 271 (284) -; vom 17. Oktober 2006 - 1 B 18.05 -, DVBI. 2007, 254; Beschluss vom 24. Mai 2006 - 1 B 118.05 - juris).

Derartige Folgen einer Abschiebung legt der Kläger hinsichtlich Armenien nicht dar und sie sind auch nicht ersichtlich, ohne dass der Vortrag zu seinem Gesundheitszustand näher hinterfragt werden müsste. Die von ihm geltend gemachten psychischen Erkrankungen sind in Armenien behandelbar und eine solche Behandlung ist - im Fall der Mittellosigkeit für armenische Staatsbürger wie ihn zumindest mittels staatlicher Unterstützung - auch erreichbar (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Armenien vom 11. August 2009 - 508-516.80.3 ARM -, Punkt 1.2 (Seite 14 f.)).

Soweit er ferner vorträgt, in Armenien wegen der dort erlittenen Traumatisierung nicht behandelbar zu sein, sondern der Gefahr der Retraumatisierung und dauernden Therapieresistenz sowie einer Suizidgefahr ausgesetzt zu sein, folgt ihm das Gericht nicht. Letztlich vertieft er in diesem Zusammenhang den Vortrag zu seiner Verfolgung mit erheblichen Steigerungstendenzen lediglich, der bereits im Ausgangsverfahren als unglaubhaft beurteilt wurde und nach erneuter Würdigung - insbesondere des Inhalts der mündlichen Verhandlung - auch im vorliegenden Verfahren zu keiner anderen Bewertung führt. Es bleibt weiterhin festzuhalten, dass Kurden keiner politischen und Jeziden keiner religiösen Verfolgung in Armenien ausgesetzt sind, ferner dass keine erhöhte Verbrechensauffälligkeit gegenüber Kurden bzw. Jeziden zu verzeichnen ist und der armenische Staat sowohl schutzwillig als auch schutzfähig im Falle von Diskriminierungen ist, im Übrigen aber die auftretenden Misshandlungen beim Militär nicht spezifisch eine Minderheit treffen. [...]