VG Schwerin

Merkliste
Zitieren als:
VG Schwerin, Urteil vom 11.09.2009 - 5 A 34/05 As - asyl.net: M17051
https://www.asyl.net/rsdb/M17051
Leitsatz:

Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot hinsichtlich Armeniens wegen fehlender finanzieller Zugänglichkeit der dauerhaft benötigten Medikamente. Die Klägerin ist ferner krankheitsbedingt auf eine Diät mit glutenfreien Lebensmitteln angewiesen.

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Armenien, medizinische Versorgung, glutenfreie Lebensmittel, Mittellosigkeit,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Das Gericht hat nach dem Ergebnis des Verfahrens die Überzeugung gewonnen, dass die in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG/§ 53 Abs. 6 AuslG a.F. geregelten Voraussetzungen für ein Absehen von der Abschiebung der Klägerin in die Republik Armenien derzeit (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) gegeben sind. [...]

Nach diesen Maßstäben ist anzunehmen, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in die Republik Armenien alsbald eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten hat, so dass ein im vorliegenden Verfahren zur berücksichtigendes zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt. Die Klägerin ist zur Aufrechterhaltung ihres bereits jetzt erheblich beeinträchtigten und geschwächten gesundheitlichen Zustandes zwingend auf eine ununterbrochene kontrollierte diätetische Lebensweise und auf eine kontinuierliche breit gefächerte Medikamentenbehandlung in einem solchen Ausmaß angewiesen, das in der Republik Armenien nicht möglich ist mit der Folge, dass die Klägerin bei Ihrer Rückkehr alsbald mit weiteren erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen rechnen muss. Wie sich aus der über den Gesundheitszustand der Klägerin erstellten amtsärztlichen Einschätzung vom 28. Juni 2006 sowie aus den vorliegenden ärztlichen Attesten der Nervenärztin Dr. med. ... sowie der Fachärztin für Innere Medizin Dipl. med. ... ergibt, leidet die Klägerin an einer chronischen Zöliakie, einer chronischen Bauchspeicheldrüsenerkrankung sowie unter einer chronifizierten Angststörung. Die Zöliakie kann mit Medikamenten nicht behoben werden. Um die Auswirkungen dieser Erkrankung zu beherrschen, ist die Klägerin darauf angewiesen, ihr Leben lang eine Diät einzuhalten. Die Klägerin ist gehalten, glutenhaltige Nahrung konsequent zu meiden und die als Folge der Erkrankung auftretenden Mangelzustände an Mineralien und Vitaminen auszugleichen. Die Behandlung der Pankreasinsuffizienz erfolgt durch dauerhafte Medikamenteneinnahme in hoher Dosierung, um den Enzymmangel, an dem die Klägerin leidet, auszugleichen. Die bei der Klägerin bestehende chronische klassifizierte Angststörung ist psychiatrisch medikamentös und verhaltenstherapeutisch weiter zu behandeln. Die nach alledem aufgrund der verschiedenen Erkrankungen der Klägerin erforderliche kontrollierte diätetische Lebensweise und intensive medikamentöse Behandlung wird für die Klägerin in Armenien nicht möglich sein, so dass sich ihr Gesundheitszustand alsbald erheblich verschlechtern würde. Soweit es die Zöliakie betrifft, ist der Klägerin zwar grundsätzlich eine diätetische Lebensweise durch Vermeidung glutenhaltiger Lebensmittel in Armenien möglich, weil glutenfreie Lebensmittel dort verfügbar sind. Allerdings ergibt sich aus der Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Eriwan, dass es in Armenien keine Geschäfte oder Apotheken gibt, die sich auf den Verkauf von glutenfreien Lebensmitteln spezialisiert haben. Ebenso bestehen keine Listen glutenfreier Lebensmittel. Bereits diese Umstände begründen für die Klägerin aufgrund ihres bereits jetzt geschwächten Allgemeinzustandes die Gefahr, dass eine diätetische Lebensweise nicht in dem erforderlichen Umfang durchgehalten werden kann. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass trotz der strikten Einhaltung einer diätetischen Lebensweise im Bundesgebiet bei der Klägerin als Folgen ihrer Erkrankung Mangelzustände an Mineralien und Vitaminen auftreten, die wiederum gesundheitliche Beeinträchtigungen bewirken. Soweit es die bei der Klägerin bestehende Pankreasininsuffizienz sowie der chronifizierten Angststörung betrifft, ist zwar nach der Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Eriwan davon auszugehen, dass beide Erkrankungen in Armenien behandelt werden können und auch die erforderlichen Medikamente in Armenien grundsätzlich verfügbar sind (vgl. hierzu ferner Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien vom 11.08.2009). Es fehlt jedoch an der erforderlichen finanziellen Zugänglichkeit der Klägerin zu den dauerhaft benötigten Medikamenten. So ergibt sich aus den vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen, dass allein das von der Klägerin zur Behandlung ihrer Bauchspeicheldrüsenerkrankung notwendige Medikament Kreon 40.000 bzw. Kreon 25.000 monatlich rund 70,- € kosten würde. Zwar dürfte nach den Auskünften des Auswärtigen Amtes vom 2. Mai und 9. Dezember 2008 für die Klägerin die Möglichkeit bestehen, in die sogenannte Invalidengruppe III eingestuft zu werden mit der Folge, dass sie ihre Medikation mit einem finanziellen Rabatt von 50 % erhält. Dies ändert jedoch nichts an der für die Klägerin bestehenden Gefahr, alsbald in Armenien erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erleiden. Denn zum einen ist es gegenwärtig als offen zu erachten, ob und gegebenenfalls in welche der in den Auskünften des Auswärtigen Amtes erwähnten Invaliditätsstufen die Klägerin eingestuft werden würde und zu welchem Zeitpunkt eine solche Einstufung wirksam werden würde. Zum anderen ist anzunehmen, dass auch eine für die Klägerin günstige Einstufung in die Invaliditätsgruppe III - verbunden mit der Gewährung eines hälftigen Rabattes bei dem Kauf von Medikamenten - eine alsbaldige gesundheitliche Verschlechterung bei der Klägerin nicht abwenden würde. Denn angesichts der Kostenhöhe der von der Klägerin dauerhaft insgesamt benötigten Medikamente würde es nach wie vor an der finanziellen Zugänglichkeit einer medikamentösen Behandlung in Armenien fehlen. [...]