VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Beschluss vom 14.05.2010 - 3 L 629/10.KS.A - asyl.net: M17056
https://www.asyl.net/rsdb/M17056
Leitsatz:

Anmerkung der Redaktion: Diese Entscheidung wurde durch Beschluss des BVerfG vom 21.5.2010 (2 BvR 1036/10) "aufgehoben".

Ablehnung eines Eilantrags gegen eine Dublin-Überstellung nach Griechenland, da es nicht ausreicht, zur Begründung auf den allgemein schlechten Zustand des Asylwesens in Griechenland zu verweisen.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Griechenland
Normen: AsylVfG § 34a Abs. 2
Auszüge:

[...]

Nicht ausreichend ist es daher, zur Begründung des Aussetzungsantrags auf den allgemein schlechten Zustand des Asylwesen in Griechenland zu verweisen. Der europäische Verordnungsgeber wie das Grundgesetz gehen davon aus, dass Griechenland als Mitgliedstaat der Europäischen Union geeigneter und vollwertiger Teilnehmer des durch die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18.02.2003 etablierten Verfahrens bzw. sicherer Drittstaat im Sinne des Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. § 26 a AsylVfG ist. Dieses Konzept der sogenannten normativen Vergewisserung über die Sicherheit im Drittstaat darf nicht dadurch umgangen werden, dass unter Hinweis auf allgemein defizitäre Zustände des Asylwesens im betroffenen Mitgliedstaat die Zuständigkeitsordnung der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 - Dublin II - außer Kraft gesetzt wird. Nur in Fällen, die ihrer Eigenart nach nicht im Rahmen des Konzepts der normativen Vergewisserung berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind, könnte entgegen der ausdrücklichen Regelung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden. Das kann zum einen dann der Fall sein, wenn ein Antragsteller hinreichend substantiiert vorträgt, aufgrund seiner individuellen Verhältnisse im Drittstaat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einer konkreten Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt zu sein. Zum anderen kann das Konzept normativer Vergewisserung dann nicht greifen, wenn die allgemeinen Zustände des Asylsystems im Drittstaat offensichtlich derart unerträglich geworden sind, dass das Konzept dadurch ohne weiteres ad absurdum geführt wird. Eine verbindliche Feststellung hierüber zu treffen, wäre allerdings vorrangig Aufgabe das nationalen bzw. supranationalen Gesetzgebers.

Diese Ausnahmetatbestände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Dem griechischen Staat ist weder von nationalen noch supranationalen Stellen bislang generell die Eignung zur Durchführung von Asylverfahren unter Einhaltung von Minimalstandards abgesprochen worden noch haben die Antragsteller einen Sachverhalt vorgetragen, der es gerechtfertigt erscheinen ließe, eine hinreichend konkrete Gefährdung gerade ihrer Person in Griechenland aufgrund individueller Umstände anzunehmen.

Dem Antrag ist auch nicht deshalb stattzugeben, weil das Bundesverfassungsgericht in einer Reihe von Entscheidungen (z.B. Beschlüsse vom 22.12.2009 - 2 BvR 2879/09 -, vom 13.11.2009 - 2 BvR 2603/09 - und vom 08.09.2009 - 2 BvQ 68/09 DVBl. 2009, 1304) die Überstellung von Asylbewerbern nach Griechenland auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vorläufig untersagt hat. § 34 a Abs. 2 AsylVfG verbietet es nur, die Abschiebung nach § 80 oder § 123 VwGO aussetzen, nicht aber, eine einstweilige Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG zu treffen. Dass § 34 a Abs. 2 AsylVfG mit der Verfassung nicht in Einklang steht, kann den vorgenannten Entscheidungen nicht entnommen werden. Dort wird nur festgestellt, dass eine auf die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 19 Abs. 4 GG gestützte anhängige bzw. noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. [...]