LG Lüneburg

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Zitieren als:
LG Lüneburg, Beschluss vom 29.04.2010 - 2 T 17/10 - asyl.net: M17059
https://www.asyl.net/rsdb/M17059
Leitsatz:

Zunächst rechtswidrige Ingewahrsamnahme, da der richterliche und staatsanwaltschaftliche Eildienst von der Polizei erst verspätet kontaktiert wurde. Ab dem nächsten Morgen sodann jedoch rechtmäßige Ingewahrsamnahme nach § 62 Abs. 4 AufenthG.

Schlagwörter: Ingewahrsamnahme, Abschiebungshaft, unerlaubter Aufenthalt, Richter, Vorführung, richterlicher Eildienst, Staatsanwaltschaft, Eildienst, Anhörung
Normen: AufenthG § 95, StPO § 127 Abs. 2, GVG § 17a Abs. 5, StPO § 128 Abs. 1 S. 1, GG Art. 104 Abs. 2 S. 2, GG Art. 3 S. 1, AufenthG § 62 Abs. 4
Auszüge:

[...]

III.

Die Beschwerde ist, soweit sie die Festnahme auf strafprozessualer Grundlage bis zum Morgen des 17.12.2010 betrifft, auch begründet.

Gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO ist der nicht aufgrund eines Haftbefehls vorläufig Festgenommene unverzüglich, spätestens am Tag nach der Festnahme, dem zuständigen Richter vorzuführen. "Unverzüglich" ist im Lichte von Art. 104 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG - dessen einfachgesetzliche Ausgestaltung der § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO darstellt - dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung über die Fortdauer der Freiheitsentziehung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, herbeigeführt werden muss. Die in § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO genannte Frist zur Vorführung spätestens am Tag nach der Festnahme, d.h. mit Ablauf des Kalendertages nach dem Tag der Festnahme, ist eine äußerste Frist. Diese darf nicht zur Regel gemacht werden (zum Ganzen vgl. LG Hamburg, StV 2009, 485). Die Ermittlungsbehörde ist zwar auch nicht gehindert, vor einer fristgerechten Vorführung notwendige Ermittlungen vorzunehmen, insbesondere um dem Richter eine möglichst umfassende Grundlage für seine Entscheidung über einen Haftbefehl zu unterbreiten (Karlsruher Kommentar-Schultheis, 6. Aufl. 2008, § 128, Rn. 5).

Angesichts der aufgezeigten Erwägungen erscheint es aber zumindest erforderlich, dass die Umstände, welche das Hinauszögern der richterlichen Entscheidung gebieten, in den Akten dokumentiert werden. Den in den übersandten Ausländerakten befindlichen Unterlagen wie auch dem Bericht der Polizei vom 23.03.2010 ist indes nicht zu entnehmen, dass zumindest der Versuch unternommen wurde, mit dem amtsrichterlichen Eildienst Kontakt aufzunehmen, sondern es ist dort nur ausgeführt, dass ein amtsrichterlicher Eildienst in Winsen "in der Regel" um 17:00 Uhr nicht erreichbar sei. Insofern kann dahingestellt bleiben, ob dies zutrifft und der Eildienst am 16.12.2009 um 17:00 Uhr überhaupt erreichbar gewesen wäre, weil nach Auffassung der Kammer bereits das Unterlassen der zeitnahen Dokumentation der Umstände für die Inhaftierung über Nacht ohne richterliche Anordnung strafprozessual zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme führt (vgl. zur Dokumentationspflicht bei Durchsuchungsmaßnahmen: BVerfG NVwZ 2006, 925). Hinzu kommt, dass auch eine Kontaktaufnahme mit dem Eildienst der Staatsanwaltschaft, der gerichtsbekannt sowohl für die Nachmittags- wie auch für die Nachtzeit eingerichtet ist, für den 16.12.2009 nicht dokumentiert ist, sondern diese ausweislich des Berichts vom 23.03.2010 erst am Folgetag vorgenommen wurde. Die Staatsanwaltschaft lehnte den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls ab und es ist naheliegend, dass dies bereits auch am 16.12.2010 geschehen wäre, so dass der Betroffene jedenfalls auf strafprozessualer Grundlage nicht mehr hätte festgehalten werden dürfen (vgl. Karlsruher Kommentar-Schultheis, 6. Aufl. 2008, § 128, Rn. 10 zur Anordnung der Freilassung durch die StA für diesen Fall), sondern der Versuch hätte unternommen werden müssen, die Ausländerbehörden zu kontaktieren, was vorliegend erst am 17.12.2009 geschah. Ob die genannte Dokumentationspflicht auch auf das Verfahren nach den Vorschriften der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu übertragen wäre, bedarf keiner Entscheidung, weil vorliegend wegen § 17a Absatz 5 GVG der Sachverhalt bis zum Morgen des 17.12.2010 nur nach der Rechtsgrundlage, auf die die Polizei die Festnahme gestützt hatte, mithin der Strafprozessordnung, zu beurteilen war.

Für. den Zeitraum ab dem Morgen des 17.12.2010, nach dem der Landkreis Harburg informiert war und die Ingewahrsamnahme - bis zur Ablehnung des Haftbefehlsantrags durch die Staatsanwaltschaft um 08:25 Uhr zumindest auch und danach ausschließlich - der Vorbereitung der richterlichen Entscheidung über den Antrag auf Abschiebehaftbefehl erfolgte, lag hingegen keine Rechtswidrigkeit mehr vor. Denn insoweit war, wie sich schon aus § 62 Absatz 4 AufenthG ergibt, den Ausländerbehörden schon selbst die Möglichkeit eingeräumt, den Betroffenen zur Vorbereitung der Haftentscheidung vorläufig in Gewahrsam zu nehmen. Eine schuldhafte Verzögerung der Abläufe ist nicht mehr erkennbar, da der Landkreis Harburg sich zunächst die notwendigen Informationen von der Beteiligten und Beschwerdegegnerin aus Berlin beschaffen musste. Nach Erhalt der Informationen gegen 10:00 Uhr und dem Amtshilfeersuchen bezüglich des Antrags auf Abschiebungshaft wurde gegen 12:00 Uhr der Haftantrag gestellt und der Termin beim Amtsgericht kurzfristig gegen 15:00 Uhr durchgeführt.

Da die Ingewahrsamnahme, wie gerade dargelegt, auf Grundlage des AufenthG bzw. des FamFG zulässig war, ist auch die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung, über welche die Kammer mit Beschluss vom 04.02.2010 befunden hat (Az. 2 T 13/10) gegeben.

Einer persönlichen Anhörung des Betroffenen in dem vorliegenden Verfahren auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme für die Zeit vom 16.12.2009, 18:00 Uhr bis zur Haftanordnung am 17.12.2009 bedurfte es nicht, da die Ingewahrsamnahme bereits beendet ist (vgl. Keidel/Budde, 16. Aufl., § 420 FamFG, Rn. 1). [...]