LG Hannover

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Zitieren als:
LG Hannover, Beschluss vom 17.05.2010 - 8 T 25/10 [= ASYLMAGAZIN 2010, S. 216 f.] - asyl.net: M17060
https://www.asyl.net/rsdb/M17060
Leitsatz:

Aufhebung der Abschiebungshaft wegen akuter Suizidgefahr und schwerer depressiver Symptomatik. Das Vorliegen von Abschiebungshindernissen ist zwar grundsätzlich nicht vom Haftrichter, sondern auf dem Verwaltungsrechtsweg zu klären; wenn aber eine Abschiebung wegen des Gesundheitszustandes des Betroffenen und der Versorgungslage im Zielland (hier Syrien) ganz offensichtlich Verfassungsrecht verletzen würde, ist dies auch vom Haftgericht zu beachten und die Haft aufzuheben.

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Sicherungshaft, Verlängerungsantrag, Haftfähigkeit, Reisefähigkeit, Suizidgefahr, psychische Erkrankung, medizinische Versorgung, Sachverständigengutachten, Verwaltungsrecht
Normen: FamFG § 58, FamFG § 429 Abs. 1, FamFG § 430
Auszüge:

[...]

Die gem. §§ 58, 429 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde ist, da form- und fristgerecht eingelegt, zulässig. Sie hat in der Sache Erfolg.

Nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens des Dr. med. ..., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, geht die Kammer davon aus, dass eine Abschiebung bis zum 19. Mai 2010 nicht durchgeführt werden kann, ohne das Leben und die Gesundheit des Betroffenen ernsthaft zu gefährden. Der Sachverständige hat festgestellt, dass eine akute Suizidalität anzunehmen sei. Suizidimpulse seien klar bestätigt worden. Wahrscheinlich liege eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome vor (ICD 10 F 32.2). Der Betroffene schildere nachvollziehbar ausgeprägte depressive Symptome, auch suizidale Impulse. Es habe durchaus eine autoaggressive Bereitschaft gezeigt, die unter zugespitzten Bedingungen weiter zunehmen würde. Die akute Suizidalität würde den reinen Transfer nach Syrien wahrscheinlich überdauern. Es bestehe darüber hinaus ein akuter Behandlungsbedarf angesichts der schweren depressiven Symptomatik. Die Kammer schließt sich den nachvollziehbaren und fachkundigen Feststellungen des Sachverständigen an.

Da der beteiligte Landkreis zwischenzeitlich mitgeteilt hat, dass der Betroffene unmittelbar nach der Abschiebung in seinem Heimatland nicht einer ärztlichen Behandlung zugeführt werden könne, ist eine notwendige ärztliche Behandlung und Betreuung bei seiner Ankunft in Syrien nicht gewährleistet.

Unter diesen Voraussetzungen ist eine Abschiebung mit einer akuten und ernsthaften Gefährdung für die Gesundheit und das Leben des Betroffenen verbunden, die der Abschiebung entgegen steht. Zwar ist die Frage, ob ein Abschiebungshindernis vorliegt, grundsätzlich nicht vom Haftrichter, sondern auf dem Verwaltungsrechtswege zu klären. Wenn eine Abschiebung wegen des Gesundheitszustandes des Betroffenen und der Versorgungslage im Zielland ganz offensichtlich Verfassungsrecht verletzen würde, ist dies aber auch für das Haftgericht zu beachten (OLG München, 11.5.2009, Az.: 34 Wx. 29/49). [...]