VG Regensburg

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Zitieren als:
VG Regensburg, Urteil vom 01.02.2010 - RN 7 K 09.30288 - asyl.net: M17089
https://www.asyl.net/rsdb/M17089
Leitsatz:

Freiwillige Rückkehrer sowie Zurückgeführte aus Deutschland können bei psychischen Erkrankungen (hier PTBS) unmittelbar nach ihrer Ankunft kostenlos die Hilfs- und Unterstützungsangebote des Kosovo-Rückkehrprojekts "URA 2" in Anspruch nehmen. Das Medikament Tavor ist im Kosovo unter dem Namen Lorazepam in Apotheken erhältlich (20 Tabletten zu 1 mg für 1,- EUR).

Schlagwörter: krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Kosovo, Posttraumatische Belastungsstörung, medizinische Versorgung, Rückkehrprojekt "URA 2",
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Anhaltspunkte für das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG sind zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) gleichfalls nicht gegeben. Insbesondere begründet die vom Kläger geltend gemachte psychische Erkrankung kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass an der Rechtmäßigkeit des Bescheids des Bundesamts vom 15.10.2007 auch insoweit keine ernstlichen Zweifel bestehen.

§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verlangt eine zielstaatsbezogene, erhebliche und konkrete Gefahr für den betreffenden Ausländer, die landesweit gegeben sein muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1995, BVerwGE 99, 324 ff. - zu § 53 Abs. 6 AuslG). Dies gilt auch für die Geltendmachung von Erkrankungen als Abschiebungshindernis. Nur wenn eine in Deutschland diagnostizierte Erkrankung eine ärztliche Behandlung erfordert, die dem Betroffenen in seinem Heimatland nicht oder nicht in ausreichendem Maße zuteil werden kann und sich deshalb sein Gesundheitszustand bei einer Rückkehr wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde, kommt ein Abschiebungshindernis in Betracht (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1997, NVwZ 1998, 524; BVerwG, Urt. v. 29.10.2002 - 1 C 1.02).

Insoweit fehlt es schon an der hinreichend substantiierten Geltendmachung einer psychischen Erkrankung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehört zur Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung an einer posttraumatischen Belastungsstörung angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie der vielfältigen Symptomatik regelmäßig die Vorlage eines gewisse Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes, aus welchem sich ergibt, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat (eigene ärztliche Exploration) und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.09.2007, Az. 10 C 17.07). Diese Anforderungen gelten auch für die Geltendmachung anderer psychischer Erkrankungen. In dem vom Kläger vorgelegten allgemeinärztlichen Attest vom 10.09.2009 wird aber lediglich das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer "Kriegstraumatisierung" als "gesichert" konstatiert, ohne auch nur ansatzweise anzugeben, auf welchen Befundtatsachen diese Diagnose beruht und welche Untersuchungen durchgeführt wurden. Auch die Tatsache, dass der Kläger sich am 17.11.2009 in stationäre Behandlung in das Bezirksklinikum ... begeben hat, führt keinesfalls dazu, dass eine substantiierte fachärztliche Stellungnahme nunmehr entbehrlich wäre. In dem vorgelegten Arztbericht des Bezirksklinikums vom 23.11.2009 wird zwar ausgeführt, dass der Kläger mit posttraumatischer Belastungssymptomatik auf die psychiatrische Station gekommen sei, es werden aber Anpassungsstörungen (F 43.2) diagnostiziert. In dem nervenärztlichen Attest vom 14.01.2009 wird dann wiederum weder angegeben, auf welcher Grundlage die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung getroffen wurde, noch welche Untersuchungen konkret durchgeführt wurden. Vielmehr wird in einem Satz lediglich wiederholt, was der Kläger an Erlebnissen und Symptomen geschildert hat. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger diesbezüglich auch angegeben, dass ihm nur das Medikament Mirtazapin verordnet worden sei und keine weiteren Maßnahmen getroffen worden seien. In diesem Zusammenhang lediglich erwähnt sei schließlich, dass das nervenärztliche Attest nur von Frau Dr. ... unterschrieben ist und nicht von Dr. ..., der Kläger in der mündlichen Verhandlung aber angegeben hat, bei einem Arzt mit dem Namen Dr. ... in Behandlung zu sein. Schon wegen der fehlenden Substantiierung der geltend gemachten Erkrankung war daher auch dem in der mündlichen Verhandlung vorsorglich gestellten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht mehr näherzutreten (vgl. auch dazu BVerwG, Urt. v. 11.09.2007, Az. 10 C 17.07).

Selbst wenn man aber die vom Kläger geltend gemachte Erkrankung ohne weiteres zugrunde legt, gibt es keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers bei einer Rückkehr in die Republik Kosovo wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde:

Die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung wird durch das staatlich finanzierte Gesundheitssystem gewährleistet. Für medizinische Leistungen sowie für bestimmte Basismedikamente zahlt der Patient Eigenleistungen, die nach vorgegebenen Sätzen pauschal erhoben werden; von der Zuzahlungspflicht befreit sind u.a. Empfänger von Sozialhilfeleistungen sowie chronisch Kranke (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2009, S. 19). Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) werden nach dem letzten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2009 (S. 24 f.) in den Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitssystems weiterhin primär medikamentös behandelt. Eine Behandlung auf psychotherapeutischer Grundlage werde nach Angaben der Ärzte durchgeführt, wenn hierfür eine medizinische Notwendigkeit bestehe und die für die Durchführung von psychotherapeutisch orientierten Gesprächen erforderliche Zeit zur Verfügung stehe. Die Ärzte würden sich auch in der Lage sehen, trotz teilweise fehlender psychotherapeutischer Qualifikation psychotherapeutisch orientierte Gespräche mit an PTBS leidenden Patienten durchzuführen. Nach belastbaren Angaben öffentlicher Gesundheitseinrichtungen sei die Quote der Patienten mit dem Krankheitsbild PTBS insbesondere in den letzten drei Jahren auch deutlich zurückgegangen. Eine Nachsorge der PTBS-Patienten finde zunehmend in den Zentren für mentale Gesundheit statt, u.a. mit ambulanten Gesprächstherapien auch unter Einbeziehung von Familienmitgliedern in die Behandlung. Nach Erkenntnissen der Deutschen Botschaft Pristina (Auskunft an LRA Bodenseekreis vom 31.01.2009) stehen in den Regionalkrankenhäusern mit eigener stationärer Psychiatrie in Gjilan, Gjakova, Peje und Prizren zur stationären Aufnahme insgesamt 81 Betten zur Verfügung und dies bei einer Auslastungsquote von nicht mehr als 80 %, so dass die Aufnahme neuer Patienten unproblematisch sei. In der Universitätsklinik Pristina stünden zur stationären Aufnahme von psychisch Erkrankten 92 Betten zur Verfügung, die jährliche Auslastungsquote liege bei ca. 54 %. Im privaten Gesundheitssektor wird PTBS nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes (vgl. Lagebericht vom 19.10.2009, S. 24 f.) durch Fachärzte für Psychiatrie sowohl medikamentös als auch durch Psychotherapie behandelt. Alle befragten Ärzte hätten erklärt, für die Weiterführung einer im Ausland begonnenen Behandlung qualifiziert zu sein. Schließlich können nach Angaben des Auswärtigen Amtes (Lagebericht vom 19.10.2009 S. 25 u. 26) freiwillige Rückkehrer sowie Zurückgeführte aus Deutschland bei einer psychischen Erkrankung, insbesondere in Form einer PTBS, auch unmittelbar nach ihrer Ankunft kostenlos die Hilfs- und Unterstützungsleistungen des Kosovo-Rückkehrerprojekts "URA II" (seit 01.01.2009) in Anspruch nehmen; dabei bieten Psychologen, die in Deutschland im Rahmen dieses Projekts zu Trauma-Spezialisten geschult wurden, eine professionelle Behandlung psychischer Erkrankungen an und/oder sind bei der Vermittlung von qualifizierten Psychologen behilflich (vgl. dazu auch Auskunft der Deutschen Botschaft Pristina an die Stadt Bochum vom 22.11.2009). Freiwillige Rückkehrer können im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel außerdem auch Eingliederungshilfen einschließlich Beratung und psychologischer Betreuung durch das ab 01.04.2009 begonnene Rückkehrerprojekt der Arbeiterwohlfahrt Nürnberg bekommen, mit Anlaufstelle im Zentrum von Pristina (vgl. Lagebericht vom 19.10.2009, S. 26; Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Augsburg vom 21.08.2009).

Bei dieser Auskunftslage ist davon auszugehen, dass die geltend gemachte Erkrankung des Klägers auch in der Republik Kosovo angemessen behandelt werden kann und eine wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bei einer Rückkehr daher nicht zu erwarten ist. Insoweit ist zudem zu berücksichtigen, dass der Kläger auch in Deutschland bisher nur medikamentös behandelt wurde. Was die Kosten notwendiger Behandlungen anbelangt, ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger auch Hilfe durch seine in Deutschland und in der Schweiz lebenden Geschwister erlangen könnte, denn schon bei seiner Bundesamts-Anhörung hat der Kläger angegeben, sein in Deutschland lebender Bruder habe ihn und seine Familie finanziell unterstützt. Außerdem hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben, auch schon seit 2000/2001 bis zu seiner Ausreise in regelmäßiger ärztlicher Behandlung gewesen zu sein und das Medikament Xanax (Anwendungsgebiete: Angst-, Erregungs- und Panikzustände) verordnet bekommen zu haben. Das Medikament Tavor, das der Kläger bei seinem stationären Aufenthalt im Bezirksklinikum erhielt, ist im Kosovo unter dem Namen Lorazepam in den Apotheken erhältlich Der Verkaufspreis für 20 Tabletten zu 1 mg beträgt 1,00 € und für 20 Tabletten zu 2,5 mg 1,40 €. Auch sind mehrere Antidepressiva zu einem Preis zwischen 2,50 € und ca. 6,00 € erhältlich (vgl. zum Ganzen Auskunft der Deutschen Botschaft Pristina vom 31.01.2009 an das Landratsamt Bodenseekreis) [...]