VG Regensburg

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Zitieren als:
VG Regensburg, Urteil vom 28.04.2010 - RO 8 K 09.30272 - asyl.net: M17091
https://www.asyl.net/rsdb/M17091
Leitsatz:

Keine Gruppenverfolgung von Yeziden im Irak mangels erforderlicher Verfolgungsdichte (seit 2003 ca. 3.000 Übergriffe bei 550.000 im Irak lebenden Yeziden).

Auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG, da nur eine statistische Wahrscheinlichkeit von 0,003 % besteht, Opfer eines tödlichen Anschlags im Irak zu werden (21 getötete Yeziden im Jahr 2009 bei einer Bevölkerungsgruppe von 550.000). Die Gefährdung beträgt somit nur 1/10 der Gefährdung, der die Gesamtbevölkerung der Provinz Ninive 2009 ausgesetzt war.

Kriminelle Handlungen (wie z.B. räuberische Überfälle), die nicht im Rahmen von bewaffneten Konflikten begangen wurden, werden von Art. 15c QRL nicht erfasst, weshalb aufgrund der bayerischen Erlasslage für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG die Sperrwirkung des Satzes 3 greift.

Schlagwörter: Asylverfahren, Irak, Yeziden, religiöse Verfolgung, Gruppenverfolgung, Verfolgungsdichte, Abschiebungsverbot, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, allgemeine Gefahr, Sheikan, Ninive, Mosul, Sperrwirkung, Erlasslage, Syrien,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2, RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 3, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

1. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Der von dieser Regelung begünstigte Personenkreis wird durch § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erweitert. Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG kann eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft. Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausgehen vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nicht staatlichen Akteuren, sofern der Staat bzw. die Parteien oder Organisationen, die ihn oder wesentliche Teile seines Gebietes beherrschen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.

Die Frage einer religiösen Gruppenverfolgung durch Private ist nach den gleichen Anforderungen zu prüfen, die bereits für die staatliche Gruppenverfolgung gelten (vgl. BVerwG vom 18.07.2006 1 C 15.05). Die Nachstellungen nichtstaatlicher Akteure müssen zusammen, um eine private Gruppenverfolgung mit der Regelvermutung individueller Betroffenheit annehmen zu können, das Erfordernis der Verfolgungsdichte erfüllen. Anzahl und Intensität der Verfolgungsmaßnahmen müssen festgestellt werden und zu der Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Auf den Maßstab der Verfolgungsdichte kann nicht verzichtet werden; insbesondere nicht durch Feststellung einer vorgetragenen "Antistimmung". Nach diesen Maßstäben ist die Frage einer Gruppenverfolgung von Jeziden zu behandeln.

1.1 Aufgrund der vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Auskünfte ist zur Situation der Yeziden im Irak folgendes festzustellen:

Das Jezidentum ist eine eigenständige monotheistische Religion, deren Entstehungsgeschichte vermutlich etwa 4000 Jahre zurückreicht. Es verbindet Elemente aus anderen Religionen, auch aus dem Christentum und dem Islam, hat jedoch seine eigenen Rituale und Verbote. Es gilt für Außenstehende oft als Geheimreligion, weil die religiösen Rituale nicht vor den Augen Andersgläubiger praktiziert werden dürfen. Da Traditionen stets mündlich überliefert wurden, gilt das Jezidentum nicht als Buch - Religion und genießt demnach im Islam nicht denselben Schutz wie das Juden- und Christentum. Für fundamentalistische oder streng gläubige Moslems werden die Jeziden als Ungläubige oder Teufelsanbeter angesehen. Das Jezidentum kennzeichnet sich durch ein striktes Kastenwesen. Jeder Jezide wird eine dieser Kasten hineingeboren. Konversion zum Jezidentum ist nicht möglich, Missionierung demnach ausgeschlossen. Das religiöse Zentrum der Jeziden befindet sich in Lalish in der Sheikanregion der Nähe von Mosul. Die Hauptsiedlungsgebiete sind Jabal Sinjar, wo die Jeziden etwa 75 % der Bevölkerung ausmachen, das Gebiet Sheikan sowie der Raum Mosul. Die Jeziden waren - als Kurden und damals mehrheitlich auf zentralirakisch verwaltetem Territorium lebend - bis 2003 von Saddam Husseins Arabisierungskampagnen betroffen. Seit dem Sturz des Diktators sind keine staatlichen Zwangsmaßnahmen gegen Jeziden, d.h. Vertreibung, Enteignung oder Arabisierung zu befürchten.

Die Hauptsiedlungsgebiete der Jeziden, nämlich das Gebiet von Sinjar und von Sheikan stehen seit dem Machtwechsel im Irak zwar nicht de jure, aber doch de facto unter kurdischer Verwaltung (vgl. Auskunft des Europäischen Zentrums für kurdische Studien an das VG München vom 17.2.2010, Seite 12 f.).

Allerdings leiden die Jeziden unter dem gesellschaftlichen Wandel, der im Irak seit Saddam Hussein eingetreten ist. Aufgrund der Rückbesinnung der irakischen Mehrheitsbevölkerung auf traditionell islamische Werte und der Radikalisierung konservativ muslimischer Kreise sind die Jeziden im Irak als nicht muslimische Minderheit gewalttätigen Übergriffen und Bedrohungen ausgesetzt. Dementsprechend ist auch die freie Religionsausübung der Jeziden mit dem Risiko von Übergriffen verbunden.

1.2 Den Grad einer religiösen Gruppenverfolgung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (s.o.) haben diese Handlungen nach Überzeugung des Gerichts jedoch nicht erreicht. Es fehlt an der erforderlichen Verfolgungsdichte.

Bei der Überprüfung der Verfolgungsdichte ist die Größe der Religionsgruppe entscheidend. Nach den vorliegenden Informationen ist von einer Bevölkerungszahl von 550.000 Jeziden im Irak auszugehen. Dieser Zahl sind die asylerheblichen Eingriffe gegenüberzustellen.

Um zu beurteilen, ob die Verfolgungsdichte die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen auch zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Die bloße Feststellung "zahlreicher" oder "häufiger" Eingriffe reicht nicht aus. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, kann gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen, weil sie - gemessen an der Zahl der Gruppenmitglieder - nicht ins Gewicht fällt und sich deshalb nicht als Bedrohung der Gruppe darstellt (vgl. BVerwG v. 5.7.1994, 9 C 158.94).

Bei der Ermittlung der Zahl der asylerheblichen Eingriffe gegenüber Jeziden hat sich das Gericht hinsichtlich des Zeitraums von 2003 bis Anfang August 2007 auf den in das Verfahren eingeführten Bericht des Schweizerischen Bundesamtes für Migration vom 9.4.2008 bezogen. Diesem Bericht ist eine Auflistung von Übergriffen auf Jeziden beigefügt. Er enthält, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, alle bekannt gewordenen Morde, sonstige Gewalttaten und Drohungen, die gegenüber Jeziden begangen bzw. ausgesprochen worden sind. Das Gericht unterstellt dabei, dass alle diese Taten an der jezidischen Religionszugehörigkeit der Opfer anknüpften und keinen rein kriminellen Hintergrund hatten. Es handelt sich um knapp 200 Übergriffe mit 109 Toten und 57 Verletzten; der Rest der Übergriffe besteht in Aufrufen, Flugblättern und Drohbriefen, die sich gegen Jeziden richten.

Eine Sonderstellung nimmt die Anschlagserie vom 14. August 2007 in der Region Sinjar ein, die mehrere hundert Opfer forderte. Über die Anzahl der Opfer gehen die verfügbaren Zahlen auseinander, Human Rights Watch spricht von 300 Toten und 700 Verletzten, das Schweizerische Bundesamt von 400 Toten und hunderten Verletzten, www.irakbodycount.org von 510 bis 525 Toten.

Das Gericht setzt hier eine Opferzahl von 1000 Personen an.

Für den folgenden, bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts reichenden Zeitraum nennt der Bericht von Human Rights Watch vom November 2009 einen Überfall am 7.12.2008 in Mosul (2 Tote), die Ermordung einer siebenköpfigen Familie am 14. Dezember 2008 in Sinjar sowie einen doppelten Selbstmordanschlag am 13. August 2009 in einem Café in einem Stadtteil von Sinjar, der 21 Tote und 32 Verletzte kostete. Diese Ereignisse sind in gleicher Weise durch www.lrakbodycount.org dokumentiert.

Durch die vorliegenden Erkenntnisquellen sind somit für den Zeitraum zwischen 2003 und Herbst 2009 1262 Übergriffe an Jeziden dokumentiert. Das Gericht geht davon aus, dass hinsichtlich der Zahl der Todesopfer die Gefährdung, denen Yeziden im Irak ausgesetzt sind, weitgehend zutreffend dargestellt ist und die Dunkelziffer eher gering ist. Es ist anzunehmen, dass www.irakbodycount.org eine zuverlässige Dokumentation der zivilen Todesopfer im Irak enthält; auch die jezidischen Organisationen in Europa nennen, soweit ersichtlich, keine zusätzlichen Gewalttaten an Jeziden, die über die in den eingeführten Auskünften dokumentierten Vorfälle hinausgehen. Eine Dunkelziffer mag es hingegen bei Übergriffen geben, die unterhalb der Schwelle von Gewalt gegen Leib und Leben anzusiedeln sind (Hetze, Drohungen etc.).

Das Gericht hält es deshalb für gerechtfertigt, von einer Gesamtzahl von ca. 3000 Übergriffen im Zeitraum von 2003 bis heute auszugehen.

Nimmt man die Verfolgungsdichte in quantitativer Hinsicht in Blick, ist die bekannt gewordene Zahl der Übergriffe in den vergangenen sieben Jahren, die das Gericht angesichts einer nicht auszuschließenden Dunkelziffer erhöht hat, gemessen an der Gesamtzahl der im Irak lebenden Jeziden von 550.000 nicht geeignet, eine Verfolgung der Jeziden als religiöser Gruppe zu belegen. Dabei kann offen bleiben, ob bei der Benennung der "kritischen Verfolgungsdichte" der Auffassung zu folgen ist, die das OVG des Saarlandes in seiner Entscheidung vom 26.3.2007 niedergelegt hat. Danach muss für die Annahme einer Gruppenverfolgung wenigstens ein Zehntel der Gruppe von Übergriffen betroffen sein. Dies ist hier bei weitem nicht der Fall. Eine Regelvermutung zu Gunsten einer Verfolgung jedes Jeziden kann deshalb nicht aufgestellt werden. Von Bedeutung ist dabei auch, dass die angenommene Anzahl von 3000 Übergriffen zu einem Drittel auf einem einzigen Ereignis beruht, nämlich den katastrophalen Anschlägen vom 14. August 2007. Hinzu kommt, dass generell im Irak seit dem Jahr 2007 ein Rückgang der Anschläge und Morde zu verzeichnen ist, wie das Zahlenmaterial von www.irakbodycount.org eindrucksvoll bestätigt. Auch wenn der Irak weiterhin eines der unsichersten Länder auf der Erde ist, spiegelt sich die zurückgehende Zahl ziviler Opfer in der unbefriedigenden Sicherheitslage im Irak auch in den Berichten über Übergriffe auf irakische Jeziden seit dem Herbst 2007 wieder. Dass diese Tendenz sich zu Lasten der Jeziden wieder umkehren könnte, ist aus den vorliegenden Erkenntnissen nicht erkennbar. Insgesamt enthält das vom Gericht ausgewertete und bis in das Jahr 2009 reichende Erkenntnismaterial keine Aussage, die übereinstimmend mit den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an die Verfolgungsdichte eine Gruppenverfolgung der Jeziden im Irak bejaht; eine mit Zahlen belegte aktuelle dramatische Verschlimmerung wird nicht berichtet.

Nach alledem ist das Bestehen einer Gruppenverfolgung der Jeziden im Irak zu verneinen.

2. Individuelle Verfolgungsgründe hat die Klägerin nicht vorgetragen.

3. Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet, zu Gunsten der Klägerin Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen.

3.1 Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG (früher: § 53 Abs. 1 und 4 AusIG) liegt in der Person der Klägerin nicht vor. Zwar kann im Gegenstand zur früheren Rechtslage in Umsetzung des Art. 6 Buchst, c der Richtlinie 2004/83 ein den subsidiären Schutz auslösende ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie auch von nicht staatlichen Akteuren ausgehen (vgl. jetzt auch § 60 Abs. 11 AufenthG). Nach Art. 15 der Richtlinie, die zwischenzeitlich durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 27. August 2007 in § 60 Abs. 2, 3 und Abs. 7 umgesetzt wurde, gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (a) oder Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsstaat (b) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (c).

Im vorliegenden Fall liegen jedoch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und 5 nicht vor. Es fehlt an einer konkreten Gefahr. Die Gefahren, die allgemein durch die interkonfessionellen Auseinandersetzungen drohen, stellen keine solchen konkreten individuellen Gefahren darf. Eine allgemeine Bedrohung, auf die sich die Klägerin beruft, genügt dafür nicht (vgl. Erwägungsgrund 26 der Richtlinien).

3.2. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 Aufenthaltsgesetz sind nicht gegeben. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.6.2008 (BVerwGE 131, 198) dient dieses Abschiebungsverbot der Umsetzung der Regelung über den subsidiären Schutz nach Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie). Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 Aufenthaltsgesetz ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen und innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Die Regelung setzt, wie die umgesetzte Vorschrift des Art. 15 c der Richtlinie einen internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt voraus. Erst wenn Konflikte eine solche Qualität erreicht haben, wird ein Schutzbedürfnis für die betroffenen Zivilpersonen anerkannt. Der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen Konflikts ist unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht auszulegen. Dabei sind insbesondere die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht vom 12. August 1949 heranzuziehen. Der Konflikt muss ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, d.h. Überfälle sowie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen sind ausgenommen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt auch dann vor, wenn diese Voraussetzungen nur in einem Teil des Staatsgebiets erfüllt sind.

Die in § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG getroffene Regelung, die abschiebungsschutzsuchende Ausländer im Falle allgemeiner Gefahren auf die Aussetzung von Abschiebungen durch ausländerbehördliche Erlasse verweist, ist richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass sie nicht die Fälle erfasst, in denen die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nach Art. 15 c der Richtlinie erfüllt sind. Ein Ausländer, der die Voraussetzungen des Art. 15 c der Richtlinie erfüllt, hat nach Maßgabe des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Es widerspräche den Vorgaben der Richtlinie, wenn einem derartigen Ausländer kein Aufenthaltstitel, sondern lediglich eine Duldung wegen Aussetzung der Abschiebung nach § 60 a AufenthG erteilt würde. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ist daher richtlinienkonform dahin auszulegen, dass er bei Vorliegen der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 c der Richtlinie keine Sperrwirkung entfaltet.

Der Begriff der in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verwendeten "erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben" entspricht dem Begriff der "ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit" in Art. 15 c der Richtlinie. Dabei ist maßgeblich, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende - und damit allgemeine - Gefahr in der Person der Klägerin so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG darstellt. Auch die von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr kann sich individuell verdichten und damit die Voraussetzungen der vorgenannten Vorschriften erfüllen. Dies dürfte aber der Ausnahmefall sein, da ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt selten eine solche Gefahrendichte hat, dass alle Bewohner des betroffenen Gebiets ernsthaft persönlich betroffen sein werden. Dies ergibt sich u.a. aus dem 26. Erwägungsgrund der Richtlinie, wonach Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre. Wie die Formulierung "normalerweise" zeigt, kann sie aber auch nicht ausgeschlossen werden, jedenfalls dann nicht, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände wie beispielsweise eine Gruppenzugehörigkeit eine allgemein bestehende Gefahr verstärken. Allgemeine Lebensgefahren, die lediglich Folge des bewaffneten Konflikts sind, können nicht in die Bemessung der Gefahrendichte einbezogen werden. Die Bemessung der Gefahrendichte ist dabei nicht anders vorzunehmen als im Bereich des Flüchtlingsrechts, wenn die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung geprüft werden.

Gemessen an diesen Maßstäben kann nicht angenommen werden, dass die Klägerin einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt wäre. Bezüglich der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG v. 14.7.2009, NVwZ 2010, 196). Die Klägerin kommt aus dem Sheikan-Gebiet. Wie bereits ausgeführt, kann nicht angenommen werden, dass die Gefahrendichte dort so hoch ist, dass praktisch jede Zivilperson alleine aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (vgl. BVerwG a.a.O.). Zwar kann aufgrund der vorliegenden Informationen für dieses Gebiet keine Angabe dazu gemacht werden, in welchem Verhältnis die Größenordnung der Anschläge und die Anzahl der Opfer zur Einwohnerzahl stehen (vgl. BVerwGE v. 21.4.2009, BayVBI 2009, 605). Es können jedoch Aussagen getroffen werden über die Provinz Ninive, innerhalb derer das Sheikan-Gebiet weitgehend liegt. Das Gericht verweist hier auf die Feststellungen, die der BayVGH in seinem Urteil vom 21.1.2010 (Az. 13a B 08.30285) getroffen hat. Danach beträgt die statistische Wahrscheinlichkeit, in Ninive oder Mosul Opfer eines tödlichen Anschlags zu werden, ca. 0,03 % im Jahr 2009. Dem daraus vom Senat gezogenen Schluss, dass Iraker bei einer Rückkehr nach Mosul nach derzeitiger Sicherheitslage im allgemeinen keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ausgesetzt sind, schließt sich das Gericht an.

Individuelle gefahrerhöhende Umstände bestehen in der Person des Klägers nicht. Er gehört zwar der Religionsgemeinschaft der Jeziden an. Damit ist jedoch keine erhöhte Gefährdung verbunden: Stellt man die Gesamtzahl der 2009 im Irak getöteten Jeziden (21) zur Anzahl dieser Bevölkerungsgruppe (550.000), so besteht die statistische Wahrscheinlichkeit, Opfer eines tödlichen Anschlags zu werden, ca. 0,003 % pro Jahr; die Gefährdung beträgt somit nur 1/10 der Gefährdung, der die Gesamtbevölkerung der Provinz Ninive 2009 ausgesetzt war. [...]