VG Koblenz

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Zitieren als:
VG Koblenz, Urteil vom 04.03.2010 - 4 K 1301/09.KO - asyl.net: M17096
https://www.asyl.net/rsdb/M17096
Leitsatz:

Keine Verfolgungsgefahr für armenisch-orthodoxe Christen im Iran.

Schlagwörter: Asylverfahren, Asylfolgeantrag, Iran, Christen, Armenier, objektive Nachfluchtgründe
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1, VwVfG § 51
Auszüge:

[...]

Die im Folgeverfahren geltend gemachten objektiven Nachfluchtgründe einer Verschlechterung der Situation der Christen im Iran sind nicht geeignet, ein weiteres Asylverfahren zu eröffnen. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in dem Bescheid vom 10. November 2009 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylVfG). Die Kläger sind als armenisch-orthodoxe Christen bei einer Rückkehr in den Iran nicht in asylrelevanter Weise von einer Verfolgung bedroht. Die wissenschaftliche Ausarbeitung "Unterdrückung der Religionsfreiheit und Christenverfolgung im Iran" von Prof. Thomas Schirrmacher ist nicht innerhalb der Frist von drei Monaten des § 51 Abs. 3 VwVfG von dem Kläger vorgelegt worden, so dass sie als neues Beweismittel i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG nicht geeignet ist, ein neues Verfahren zu eröffnen. Die Einhaltung der Frist bezüglich der aus dem Jahre 2003 stammenden Ausarbeitung wurde von dem Kläger nicht plausibel dargelegt, obwohl das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf die fehlende Einhaltung der Frist bereits in dem angefochtenen Bescheid vom 10. November 2009 hingewiesen hat.

Das vorgelegte Urteil des VG Freiburg (vom 25.11.2008 - A 5 K 2505/07 -) und der Hinweis auf die verschärfte Lage für Christen im Iran sind jedoch nicht geeignet, eine dem Kläger günstigere Entscheidung herbeizuführen (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG). Dies gilt zunächst im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AuslG. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Die genannten Rechtsgüter müssen landesweit gefährdet sein und zwar - wie dargelegt - mit dem Maßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit.

Die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG scheitert hier nicht an § 28 Abs. 2 AsylVfG. Nach dieser Vorschrift kann in einem Folgeverfahren die Flüchtlingseigenschaft in der Regel nicht auf selbst geschaffene Nachfluchtgründe gestützt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 - BVerwGE 133, 31 vorgesehen). Die Verschlechterung der Lage der Gruppe, der der Kläger angehört, stellt einen objektiven Nachfluchtgrund dar. Der Kläger ist - wie seine im Verfahren 4 K 1300/09.KO klagenden Eltern - seit Geburt und nachfolgender Taufe armenisch-orthodoxer Christen, so dass auch kein Religionswechsel und damit ein subjektiver Nachfluchtgrund wie im Falle des Urteils des VG Freiburg (vom 25.11.2008 - A 5 K 2505/07 -) Grundlage der Verfolgungsfurcht ist.

Der Kläger ist bei einer Rückkehr in den Iran aber nicht wegen ihrer religiösen Überzeugung an Leben oder Freiheit bedroht (§ 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). [...]

Die Zugehörigkeit des Klägers zur armenisch-orthodoxen Kirche und seine religiöse Überzeugung als Christen begründen keine Rückkehrgefährdung in diesem Sinne. Insoweit wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in seinem Bescheid vom 10. November 2009 und in dem Schriftsatz vom 27. Januar 2010 verwiesen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylVfG). Darüber hinaus ist Folgendes anzumerken:

Die iranische Verfassung bestimmt den Islam und die schiitische Glaubensschule in Art. 12 zur Staatsreligion und benennt die Zoroastrier, die Juden und die Christen in Art. 13 als staatlich anerkannte religiöse Minderheiten. Tatsächlich sind aber nur die überkommenen christlichen Nationalkirchen des Irans, insbesondere die armenisch-orthodoxe und die assyrische Kirche sowie die chaldäischen Katholiken staatlicherseits anerkannt. Ihr gehören über 90 % der etwa 150.000 bis 300.000 Christen im Iran an. Sie bilden überwiegend eigene ethnische Gruppen, enthalten sich der Missionierung und akzeptieren die grundlegenden Prinzipien der islamischen Gesellschaft (Deutsches Orient-Institut an das Sächsische OVG vom 06.12.2004; Kompetenzzentrum Orient-Okzident Mainz vom 29.02.2008 an VG Mainz und vom 22.09.2008 an HessVGH; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 19.09.2009).

Eine allgemeine Gefährdungslage für Christen wird lediglich für die missionierenden Christengemeinden und die zum Christentum übergetretenen Muslime geschildert und zwar bereits seit längerem (so schon Deutsches Orient-Institut an VG Köln vom 06.09.2004, und Schweizerische Flüchtlingshilfe, Christen und Christinnen im Iran, 18.10.2005). Diese nach der Ausarbeitung "Unterdrückung der Religionsfreiheit und Christenverfolgung im Iran" von Prof. Thomas Schirrmacher erstellten Gutachten schildern ebenfalls, dass gerade die nicht missionierende armenisch-orthodoxe Kirche und ihre Angehörigen keinen erheblichen Gefährdungen ausgesetzt sind. Auch die neuere Auskunftslage bestätigt diese Einschätzung. So werden von Uwe Brocks (noch für das DOI vom 15.01.2008 an VG Mainz und im Gutachten vom 15.10.2008 an HessVGH) die Entwicklung der neueren Gefährdung von Kirchen, die aktive Mission betreiben und von Moslems, die dem "Treuegebot" der islamischen Religion ausweichen, im Einzelnen beschrieben, ebenso wie die wirtschaftlich schwierige Lage des Iran. Das Kompetenzzentrum Orient-Okzident Mainz (vom 29.02.2008 an VG Mainz und vom 22.09.2008 an HessVGH) beschreibt ebenfalls die unterschiedliche Situation der traditionellen, staatlich anerkannten Kirchen der Armenier, Chaldäer und Assyrer, die ihren Gottesdienst nicht in Farsi, sondern in Armenisch bzw. in altsyrischen Sprachen abhalten. Ausländer, Konvertiten und Muslime sind hierzu nicht zugelassen und durch die fehlenden Sprachkenntnisse sowieso de facto ausgeschlossen. Diese traditionellen Kirchen halten sich an das Missionierungsverbot. Dass diese Kirchen und ihre Repräsentanten bei staatskritischen Äußerungen nicht ungefährdet sind, wird ebenfalls dargelegt, wie auch die ungleich höhere Gefährdung der evangelisch-freikirchlichen Gemeinden und Apostaten.

Die Beklagte hat in ihrem Schriftsatz vom 27. Januar 2010 eingehend und zutreffend den Inhalt des Sonderberichts des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration: "Christen in der islamischen Republik Iran" vom November 2008 dargelegt. Auf diese Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen. Sie stellen klar, dass die armenisch-orthodoxen Christen nicht in gleicher Weise einer Gefährdung unterliegen wie Apostaten oder Anhänger von missionierenden Freikirchen. In gleicher Weise sieht auch das Auswärtiges Amt (Lageberichte vom 23.02. und 19.09.2009; Auskünfte vom 21.07.2004 an das Sächsische OVG und vom 07.07.2008) die Lage der Christen, insbesondere der armenisch-orthodoxen Kirche im Iran, welche gesellschaftlich integriert ist. Von letzerem geht im Übrigen auch die Ausarbeitung "Unterdrückung der Religionsfreiheit und Christenverfolgung im Iran" von Prof. Thomas Schirrmacher vor, der lediglich aus der erheblichen Auswanderung der Armenier auf eine entsprechende Verfolgung schließen will. Anderen Gründen etwa wirtschaftlicher Art geht er nicht nach (vgl. aber Uwe Brocks vom 15.10.2008 an HessVGH). [...]