OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 19.05.2010 - 8 ME 88/10 - asyl.net: M17099
https://www.asyl.net/rsdb/M17099
Leitsatz:

Zur Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte (§ 36 Abs. 2 AufenthG).

Schlagwörter: vorläufiger Rechtsschutz, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Sonstige Familienangehörige, außergewöhnliche Härte, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Sperrwirkung
Normen: VwGO § 123, AufenthG § 36 Abs. 2 S. 1, AufenthG § 25 Abs. 5 S. 1, GG Art. 6, EMRK Art. 8
Auszüge:

[....]

Aus den von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren angeführten und vom Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfenden Gründen ergibt sich nicht, dass ihr ein nach den Maßgaben des § 123 VwGO sicherungsfähiger Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zusteht.

Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, der im Bereich der Regelungen zum Aufenthalt aus familiären Gründen hier allein in Betracht zu ziehen ist. Nach dieser Bestimmung kann sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers zum Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Bestimmung steht im Ermessen der Ausländerbehörde. Allerdings ist die Ermessensausübung erst eröffnet, wenn die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt sind und eine außergewöhnliche Härte festgestellt ist (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 2.11.2006 - 11 ME 197/06 -, InfAuslR 2007, 67, 68; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: April 2010, AufenthG § 36 Rn. 12 f.). Ausgehend von dem Grundsatz, dass die Regelungen zum Aufenthalt aus familiären Gründen einen Familiennachzug von volljährigen Kindern zu ihren in Deutschland lebenden Familienangehörigen nicht erlauben (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), BT-Drs. 15/420, S. 84; GK-AufenthG, Stand: März 2010, § 27 Rn. 14 ff.), kann eine solche außergewöhnliche Härte nur dann angenommen werden, wenn im konkreten Einzelfall gewichtige Umstände vorliegen, die unter Berücksichtigung des Schutzgebots des Art. 6 GG und im Vergleich zu den übrigen geregelten Fällen des Familiennachzugs ausnahmsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gebieten. Die mit der Versagung der Aufenthaltserlaubnis eintretenden Schwierigkeiten für den Erhalt der Familiengemeinschaft müssen nach ihrer Art und Schwere so ungewöhnlich und groß sein, dass die Versagung der Aufenthaltserlaubnis als schlechthin unvertretbar anzusehen ist. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass der im Bundesgebiet oder der im Ausland lebende Familienangehörige ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe angewiesen ist, und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur im Bundesgebiet erbracht werden kann (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 7.10.2008 - 19 C 08.2654 -, juris Rn. 5 f.; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 2.11.2006, a.a.O.; Beschl. v. 23.5.2006 - 5 ME 35/06 -, juris Rn. 21; OVG Berlin, Urt. v. 31.1.2003 - OVG 3 B 4.02 -, InfAuslR 2003, 275, 276; Hailbronner, a.a.O., § 36 Rn. 13; und zur inhaltsgleichen Vorgängerreglung in § 22 AuslG: BVerwG, Beschl. v. 25.6.1997 - 1 B 236.96 -, Buchholz 402.240 § 22 AuslG 1990 Nr. 4). Eine solche Situation kann unter anderem bei einer schwerwiegenden, mit einer besonderen Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit einhergehenden Erkrankung oder/und Behinderung bestehen (vgl. Nrn. 36.2.2.2 und 36.2.2.3 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AVwV AufenthG - vom 26. Oktober 2009 (GMBl. S. 877)).

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Antragstellerin hier nicht dargelegt bzw. nicht in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO genügenden Weise glaubhaft gemacht.

Nach dem von ihr vorgelegten Bescheid des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie vom 23. Februar 2010 beträgt der Grad der Behinderung ihrer Mutter seit dem 30. Oktober 2009 zwar 100. Die dieser Beurteilung zugrunde liegenden Funktionsbeeinträchtigungen (dialysepflichtiges Nierenversagen (Einzel-GdB: 100), seelische Störungen (Einzel-GdB: 30), diabetes mellitus (Einzel-GdB: 30), Herz-Kreislaufschaden, Bluthochdruck (Einzel-GdB: 20). Wirbelsäulenschaden (Einzel-GdB: 20), Belastungsschmerzen in beiden Kniegelenken, im rechten Hüft- und Sprunggelenk (Einzel-GdB: 20)) für sich allein lassen unter Berücksichtigung der die Bewertung tragenden "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (vgl. Teil B. Nrn. 12.1.3, 3.7, 15.1, 9.3, 18.9 und 18.11 i.V.m. 18.14 Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008, Anlageband zum BGBl. I Nr. 57 vom 15.12.2008) aber nicht darauf schließen, dass die Mutter der Antragstellerin kein eigenständiges Leben führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe durch die Antragstellerin angewiesen ist. [...]

Auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG, Art. 8 EMRK kommt voraussichtlich nicht in Betracht. Denn bei Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG kann insoweit kein großzügigerer Maßstab angewendet werden als bei § 36 Abs. 2 AufenthG, da sonst ein trotz der Sperrwirkung der Abschiebung nach Deutschland wieder illegal eingereister Ausländer gegenüber dem regulär den Aufenthalt aus familiären Gründen nach Kapitel 2 Abschnitt 6 begehrenden Ausländer privilegiert würde (vgl. Hamburgisches OVG, Beschl. v. 27.5.2009 - 5 Bf 18/08.Z -, juris Rn. 14). [...]