Eine straftatbedingte Trennung von einem Kleinkind vermag die Unzumutbarkeit von Passbeschaffungsbemühungen nicht zu begründen.
(Amtlicher Leitsatz)
[...]
I.
Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer im Inland (§§ 4 Abs. 1 Nr. 1 u. 5 f. AufenthV).
Abgesehen davon, dass der Kläger derzeit nicht in Besitz eines Aufenthaltstitels ist (§ 6 Satz 2 Nr. 1 AufenthV) wird ein solcher Reiseausweis nach § 5 Abs. 3 AufenthV in der Regel nicht ausgestellt, wenn der Herkunftsstaat die Ausstellung eines Passes aus Gründen verweigert, auf Grund derer auch nach deutschem Passrecht, insbesondere nach § 7 PassG, der Pass versagt werden kann. § 7 Abs. 1 Nr. 2 PassG ordnet an, dass ein (deutscher) Pass zu versagen ist, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Passbewerber sich einer Strafverfolgung oder Strafvollstreckung, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes gegen ihn schweben, entziehen will.
1. Ein Regelfall nach § 5 Abs. 3 AufenthV i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 2 PassG entspr. liegt hier vor.
Denn auf Grund vom Kläger vorgelegter türkischer Dokumente ist hinreichend belegt, dass er in der Türkei wegen des Verdachts der Begehung einer Straftat mit Haftbefehl gesucht wird. Diese Straftat wäre - im Falle vorsätzlicher Begehung – auch nach deutschem Recht strafbar, wie die Staatsanwaltschaft ... ausgeführt hat. Das türkische Generalkonsulat hat gegenüber der Beklagten mitgeteilt, gerade wegen dieses Ermittlungsverfahrens werde dem Kläger kein Pass ausgestellt. Schließlich trägt der Kläger selbst vor, wegen dieses Verfahrens wolle und könne er nicht in die Türkei.
2. Ein atypischer Ausnahmefall von der Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AufenthV kann nicht angenommen werden.
Das gilt ungeachtet dessen, welche Belange der Kläger hierfür vorzubringen vermag. Denn die Ausstellung eines Reiseausweises, mit dem der Kläger auch in andere Staaten reisen könnte, greift tief in die Pass- und Personalhoheit und damit letztlich die die Souveränität der türkischen Republik ein, weil diese dem Kläger bewusst keinen Pass ausstellen möchte (vgl. zur Bedeutung der Passhoheit für die sogenannte Personalhoheit und damit die völkerrechtliche Souveränität des jeweiligen Staates Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, § 3 Rn. 11; Wenger in: Storr/Wenger u.a., ZuwR, 2. Aufl., § 3 Rn. 3). Ein solcher Eingriff würde, sofern türkische Stellen von ihm Kenntnis bekämen, die ungeschmälerte außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik gefährden (vgl. zu diesem öffentlichen Belang BVerfG, Beschl. v. 25.3.2003, NJW 2003, 2373).
II.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Ausstellung eines Ausweisersatzes (§ 55 AufenthV).
Nach § 48 Abs. 2 AufenthG genügt ein Ausländer, der einen Pass weder besitzt noch in zumutbarer Weise erlangen kann, seiner Ausweispflicht mit der Bescheinigung über einen Aufenthaltstitel oder die Aussetzung der Abschiebung, wenn sie mit den Angaben zur Person und einem Lichtbild versehen und als Ausweisersatz bezeichnet ist. Ein solcher Ausweisersatz wird gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV einem Ausländer auf Antrag ausgestellt, der einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz nicht besitzt und nicht in zumutbarer Weise erlangen kann , sofern er einen Aufenthaltstitel besitzt oder seine Abschiebung ausgesetzt ist.
Entgegen der Ansicht des Klägers ist ihm die Erlangung eines Nationalpasses nicht unzumutbar. Zwar sollten an die Unzumutbarkeit als Voraussetzung für die Ausstellung eines Ausweisersatzes, der auch dem (deutschen) öffentlichen Interesse an der Identitätsfeststellung eines Ausländers dient, keine überzogenen Anforderungen gestellt werden (so Grünwald in: GK-AufenthG, § 48 Rn. 33). Insoweit sind die Maßstäbe bei Ausstellung eines Ausweisersatzes nicht mit denen bei Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer vergleichbar. Doch das Bestreben, sich einer Strafverfolgung, die keine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG darstellt, zu entziehen, kann die Unzumutbarkeit der Rückkehr in das Herkunftsland, um eine Passausstellung zu erreichen, regelmäßig nicht begründen (so Grünwald, a.a.O, Rn. 34, unter Verweis auf den Rechtsgedanken des § 60 Abs. 6 AufenthG; Weichert in: Huber, Komm. z. AufenthG, § 48 Rn. 13).
Im Falle des Klägers tritt zur drohenden - zumutbaren - Strafverfolgung allerdings eine weitere Härte : Würde er sich durch eine ihm mögliche Rückreise in die Türkei der dortigen Strafverfolgung stellen, würde die flege seiner Beziehung zu seinem deutschen Kind voraussichtlich ganz erheblich erschwert. Denn es besteht auf Grund des gegen ihn bestehenden Haftbefehls eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass das Ermittlungsverfahren in der Türkei zu einer Untersuchungshaft von erheblicher Länge führen würde (vgl. zu dieser Tendenz überlanger Untersuchungshaft Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 10.4.2010, S. 24).
Auch das vermag aber noch nicht die Unzumutbarkeit der Erlangung eines Nationalpasses (§ 55 Abs. 1 Satz 1 AufenthV) zu begründen, wie sich aus folgendem Vergleich ergibt: Selbst wenn der Kläger bereits einen Aufenthaltstitel hätte und der türkische Staat einen Auslieferungsantrag stellen würde, müssten deutsche Gerichte zwar im Auslieferungsverfahren völkerrechtliche Mindeststandards prüfen (vgl. § 73 Satz 2 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen und dazu BVerfG, Beschl. v. 16.1.2010 - 2 BvR 2299/09 - <juris>). Nach der Praxis der zuständigen Oberlandesgerichte wird die durch eine Auslieferung notwendige Trennung von einem minderjährigen Kind aber nicht als unvereinbar mit Art. 8 EMRK gesehen, sondern hingenommen (vgl. nur OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.9.2009 - 1 AK 43/09 - <juris>). Deswegen erscheint es unvertretbar, im Falle des Klägers, in welchem die Türkei keinen Auslieferungsantrag gestellt hat, eine Unzumutbarkeit aus Umständen, die mit seiner Straftat zusammenhängen, abzuleiten. [...]