VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Beschluss vom 31.05.2010 - 2 B 2111/10 - asyl.net: M17151
https://www.asyl.net/rsdb/M17151
Leitsatz:

Keine Gefährdung von yezidischen Kurden wegen illegaler Ausreise und langem Auslandsaufenthalt. Keine Änderung der Sachlage, auch weil schon immer eine bis zu zweiwöchige Inhaftierung in Syrien bei Zweifeln an der Identität mangels Vorlage aktueller Personalpapiere möglich war. Die Sachlage hat sich jedoch durch das deutsch-syrische Rückführungsabkommen geändert, da nunmehr auch Staatenlose zurückgeführt werden können, weshalb die Gründe aus dem Urteil vom 16.9.2003 entfallen sind, mit welchem seinerzeit das BAMF verpflichtet wurde, die Bezeichnung Syriens als Zielstaat der Abschiebung aufzuheben.

Schlagwörter: vorläufiger Rechtsschutz, Asylfolgeantrag, Wiederaufnahme, Syrien, Kurden, Yeziden, Yezidisches Kulturforum, Änderung der Sach- und Rechtslage, ernstliche Zweifel, religiöse Verfolgung, Deutsch-Syrisches Rückübernahmeabkommen, staatenlos
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 36 Abs. 4, VwVfG § 51, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AsylVfG § 34 Abs. 1, AufenthG § 59, AsylVfG § 36 Abs. 1, AsylVfG § 71 Abs. 4
Auszüge:

Eine generelle Gefährdung yezidischer Kurden allein wegen illegaler Ausreise und langen Auslandsaufenthalts ist weiterhin zu verneinen.

(Amtlicher Leitsatz)

[...]

Hinsichtlich der kurdischen Volkszugehörigkeit und der yezidischen Religionszugehörigkeit des Antragstellers war das Bundesamt nicht gehalten, im Ermessenswege das auf § 60 Abs. 1 AufenthG zielende Begehren wieder aufzugreifen. Weder das Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie noch die Stellungnahme des yezidischen Forums Oldenburg vom 22.06.2009 zur Situation der Yeziden in Syrien unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung ist geeignet, eine andere - positive - Sachentscheidung für yezidische Kurden aus Syrien herbeizuführen. Wie die Kammer bereits mehrfach entschieden hat, schreibt nämlich die yezidische Religion keine religiösen Riten vor den Augen der moslemischen Öffentlichkeit vor, sondern verbietet im Gegenteil ein solches religiöses Verhalten. Ohne Hinzutreten weiterer Besonderheiten verneint deshalb die Kammer in ständiger Rechtsprechung die Wahrscheinlichkeit eines schwerwiegenden religiösen Konflikts im Falle der Rückkehr glaubensgebundener Yeziden nach Syrien. Solche Besonderheiten kann die Kammer weder aus dem Vortrag des Antragstellers noch aus dem Inhalt aller beigezogenen Akten ersehen. Da sie sich insoweit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des OVG Lüneburg weis (Beschl. v. 07.06.2007 - 2 LA 416/07 -; Urt. v. 24.03.2009 - 2 LB 643/07 - juris) und dieses Ergebnis auch ansonsten in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten wird, (vgl. z, B. OVG Saarland, Beschl. v. 26.03.2007 - 3 A 30/07 -; Hessischer VGH, Beschl. v. 06.08.2009 - 3 A 2842/05.A -) ist dieses Ergebnis auch nicht ernstlich zweifelhaft.

Ernstlich zweifelhaft ist auch nicht die Rechtmäßigkeit der Entscheidung, soweit sie eine Abänderung der ursprünglich zu § 53 AuslG getroffenen Feststellungen ablehnt. Auch die Abschiebungsandrohung mit dem Zielstaat Syrien nebst Fristsetzung erweist sich als rechtmäßig. Allerdings wäre nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bestünde. Nach der aktuellen Auskunftslage verneint die Kammer diese Frage, sie sieht auch insoweit keine Änderung der Sach- und Rechtslage zugunsten des Antragstellers.

Allerdings hat das Bundesamt aufgrund eines Gutachtens des Europäischen Zentrums für kurdische Studien vom 25.10.2009, wonach es in letzter Zeit zu vermehrten Festnahmen und Inhaftierungen bei der Rückführung nach Syrien gekommen ist, beim Auswärtigen Amt angefragt, ob hierüber nähere Informationen vorliegen und welche Umstände bei einer Rückführungen nach Syrien zu einer Gefährdung führen können. Das Auswärtige Amt hat daraufhin zunächst unter dem 28.12.2009 einen Ad-hoc Ergänzungsbericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Syrien erstellt und diesen dann durch den neuen Ad-hoc Ergänzungsbericht vom 07.04.2010 ersetzt. Zu den neueren Erkenntnissen zur Behandlung von Rückkehrern führt das Auswärtige Amt dort aus, dass im vergangenen Jahr 2009 38 Personen mit syrischer Staatsangehörigkeit von Deutschland nach Syrien im Rahmen des Rückübernahmeabkommens zurückgeführt wurden. In drei Fällen sind dabei Inhaftierungen unmittelbar bzw. kurz nach der Rückführung bekannt geworden. In einem Fall konnte bestätigt werden, dass eine Inhaftierung über die übliche Befragung durch syrische Behörden nach der Ankunft hinausgegangen ist. Dabei handelt es sich um den am 01.09.2009 nach Syrien zurückgeführten K., der anlässlich einer ihm aufgegebenen Vorsprache bei einer Geheimdienststelle seines Heimatortes am 13.09.2009 für sieben Tage inhaftiert und der Staatsanwaltschaft Damaskus überstellt wurde. In einem strafgerichtlichen Verfahren wurde er in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von 4 Monaten sowie zu einer geringen Geldstrafe wegen Verstoßes gegen Art. 287 des syrischen Strafgesetzbuches verurteilt. Anklage und Urteil stützten sich nach Angaben des Betroffenen und seines Anwaltes auf den Vorwurf, in Deutschland an einer Demonstration gegen das deutsch-syrische Rückübernahmeabkommen teilgenommen zu haben. Die beiden anderen Fälle, von denen das Auswärtige Amt berichtet, führten zu einer in Gewahrsamnahme bei der Einreise für die Dauer von drei bzw. von 15 Tagen. Die Betroffenen sind zu den Ausreisegründen, den Grund des Aufenthaltes in Deutschland, zu ihren fehlenden Personaldokumenten und insbesondere nach der Art der Ausreise aus Syrien befragt worden.

Auf dieser Grundlage sieht die Kammer für den Antragsteller zu 1) eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit nicht. Die ausgewerteten Akten geben keinerlei Anhaltspunkte für eine wie auch immer geartete exilpolitische Tätigkeit des Antragstellers. Aller Voraussicht nach kann in Syrien nur der Vorwurf der illegalen Ausreise erhoben werden. Insoweit hat sich aber eine Änderung der Sachlage nicht ergeben. Auch die Lageberichte des Auswärtigen Amtes für die zurückliegenden Jahre gingen davon aus, dass rückgeführte Personen bei ihrer Einreise über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt sowie in manchen Fällen auch später noch einmal zum Verhör einbestellt werden. Bestanden mangels Vorlage von aktuellen Personalpapieren Zweifel an der Identität des Einreisenden, war schon immer eine mehrtätige Inhaftierung möglich. Deren Dauer gibt der letzte aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 09.07.2009 (S. 24) mit selten länger als zwei Wochen an. Auf dieser Tatsachengrundlage hat die Kammer - auch insoweit in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung - stets die Auffassung vertreten, das allein die illegale Ausreise aus Syrien, die Asylantragstellung in Deutschland und ein langjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet im Rückkehrfall nicht zu der Gefahr führt, von Organen des syrischen Staates Leib, Leben oder Freiheit beeinträchtigenden Beschränkungen von erheblichen Gewicht ausgesetzt zu werden. An dieser Einschätzung hat sich durch den jüngsten Ad-hoc Ergänzungsbericht vom 07.04.2010 nichts geändert.

Geändert hat sich allerdings hat sich die Sachlage zu Ungunsten des Antragstellers insoweit, dass auf der Grundlage des deutsch-syrischen Rückführungsabkommens vom 25.07.2008 (BGBl II S. 811) seit Anfang des Jahres 2009 auch staatenlose Personen zurückgeführt werden können, wenn diese einen Aufenthaltstitel in Syrien haben (Art. 2 Abs. 1 des Abkommens). Ein solcher Aufenthaltstitel für staatenlose Personen (vgl. auch Art. 5 Abs. 2 b des Protokolls zur Durchführung des Abkommens) ist die Registrierung in den syrischen Ausländerregistern, in denen auch der Antragsteller eingetragen ist. Damit sind die Gründe entfallen, aus denen das Urteil vom 16.09.2003 im Verfahren 11 A 933/03 die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet hat, die Bezeichnung Syriens als des Zielstaates der Abschiebung im Bescheid des Bundesamtes vom 15.12.1999, der im ersten Asylverfahren des Antragstellers ergangen ist, aufzuheben. Folgerichtig erlässt deshalb der angegriffene Bescheid des Bundesamtes nach § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 59 AufenthG eine erneute Abschiebungsandrohung hinsichtlich des Zielstaates Syrien und setzt die Dauer der einwöchigen Ausreisefrist gem. § 71 Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylVfG auf eine Woche fest. [...]