OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.12.2009 - 3 B 6.09 - asyl.net: M17157
https://www.asyl.net/rsdb/M17157
Leitsatz:

1. Ein Verpflichtungsbegehren, das ein Visum für einen zeitlich begrenzten und kalendarisch bestimmten oder bestimmbaren Aufenthalt zum Gegenstand hat, erledigt sich mit Ablauf dieses Zeitraums (wie OVG Berlin, Urteil vom 27. August 2003 - OVG 8 B 17.02 -, entgegen OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Oktober 2008 - OVG 12 B 44.07 -).

2. Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. e SGK iVm § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG liegt auch dann vor, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss, der Ausländer, der ein Visum für einen kurzfristigen Aufenthalt beantragt, strebe in Wahrheit einen Daueraufenthalt an.

(Amtliche Leitsätze)

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Die Revision gegen diese Entscheidung wurde vom BVerwG mit Urteil vom 11.1.2011 - 1 C 1.10 - (asyl.net, M18317) zurückgewiesen.

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Schlagwörter: Visum, Visumsverfahren, Schengen-Visum, Besuchsvisum, Kurzaufenthalt, Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Rückkehrbereitschaft, effektiver Rechtsschutz, Schutz von Ehe und Familie, Eltern-Kind-Verhältnis, Ermessen
Normen: SGK Art. 5 Abs. 1 Bst. e, AufenthG § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, AufenthG § 81, AufenthG § 6 Abs. 2, GG Art. 19 Abs. 4, GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Klägerin, eine marokkanische Staatsangehörige, begehrt die Erteilung eines Visums für den Besuch ihrer im Bundesgebiet lebenden minderjährigen Kinder. [...]

Die nach ihrer Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das auf Erteilung eines Besuchsvisums gerichtete Begehren der Klägerin hat sich erledigt (1.) und die Ablehnung ihres Visumantrages war nicht rechtswidrig, so dass die Klage auch im Hilfsantrag ohne Erfolg bleibt (2.).

1. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Hauptantrag zu Unrecht stattgegeben. Das Begehren der Klägerin hat sich durch Zeitablauf erledigt.

a) Die Klägerin hat in ihrem Visumantrag als Datum der "Abreise", womit offenbar der Beginn des beabsichtigten Besuchsaufenthaltes gemeint war, den 25. Januar 2008 angegeben. Die von ihr vorgelegte Verpflichtungserklärung ihres Cousins galt ebenfalls ab diesem Tage. Das Bestehen einer Krankenversicherung (vgl. § 2 Abs. 3 AufenthG) hat sie für die Dauer eines Jahres, beginnend mit dem 20. Januar 2008, nachgewiesen. Da die Klägerin, wie ihr Bevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, für drei Monate zu Besuchszwecken ins Bundesgebiet einreisen wollte, betraf ihr Visumantrag den Zeitraum vom 25. Januar 2008 bis zum 24. April 2008. Dieser Zeitraum ist mit der Folge verstrichen, dass sich das darauf bezogene Klagebegehren erledigt hat.

b) Von der Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens ist unter anderem dann auszugehen, wenn der Erlass des erstrebten Verwaltungsaktes wegen veränderter Umstände für den Kläger objektiv nutzlos geworden ist (vgl. nur Gerhardt in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Februar 1996, Rz. 100 zu § 113). Das ist nach wohl einhelliger Auffassung der Fall, wenn der Zeitraum für die beantragte Genehmigung verstrichen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1969 - VIII C 149.67 - , DVBl. 1970, 276, 277; Urteil vom 18. Dezember 2007 - 6 C 47/06 -, NVwZ 2008, 571; OVG Münster, Urteil vom 22. Dezember 1993 - 23 A 865/91 -, NWVBl. 1994, 305, 306; OVG Lüneburg, Urteil vom 18. Juli 2002 - 7 LB 3835/01 -, GewArch 2002, 428; Gerhardt, a.a.O.; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, Rz. 308 zu § 113; Rozek, JuS 1995, 414, 418). Dies gilt auch für ein Verpflichtungsbegehren, das die Erteilung eines Visums für einen kalendarisch bestimmten oder in sonstiger Weise fest umschriebenen Aufenthaltszeitraum zum Gegenstand hat (OVG Berlin, Urteil vom 27. August 2003 - OVG 8 B 17.02 -; Beschluss vom 11. Juni 2004 - OVG 2 M 31.04 -; Beschlüsse des Senats vom 31. März 2009 - OVG 3 S 18.09 - und vom 22. Februar 2006 - OVG 3 M 6.06 -; so im Grundsatz auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. April 2009 - OVG 12 M 113.08 -, juris, Rz. 3). An der Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung eines Visums für einen zurückliegenden und bereits abgeschlossenen Zeitraum besteht für den Visumbewerber schlechterdings kein Interesse; von dem auf einen solchen Zeitraum bezogenen Ablehnungsbescheid gehen mithin keine ihn unmittelbar belastenden Rechtswirkungen mehr aus (OVG Berlin, Urteil vom 27. August 2003; Beschlüsse des Senats vom 31. März 2009 und 22. Februar 2006, jew. a.a.O.).

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Ausländer prinzipiell an seinem Aufenthalts- bzw. seinem Besuchswunsch festhält, denn insoweit fehlt es an dem erforderlichen behördlichen Antrag (vgl. § 81 AufenthG). Das Gesetz sieht für Visa, die für kurzfristige, also drei Monate nicht übersteigende (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) Aufenthalte erteilt werden, eine Gültigkeitsgrenze von fünf Jahren vor (§ 6 Abs. 2 AufenthG); bereits dies spricht gegen die Annahme, ein hinter dem Visumantrag stehender genereller Besuchswunsch könne die Erteilung des Visums ohne zeitliche Begrenzung rechtfertigen. Verpflichtungserklärungen, die im Falle von Besuchsvisumanträgen in der Praxis regelmäßig von Angehörigen abgegeben werden, um das Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) zu erfüllen, sind, auch wenn in ihnen keine Einschränkung vorgenommen ist, nicht ohne jegliche Begrenzung werthaltig und es kann nicht unterstellt werden, dass der Verpflichtete sich für einen in ungewisser Zukunft liegenden Zeitraum binden will. Hiermit steht der durchaus lebensnahe Hinweis des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung in Einklang, dass Besuchsaufenthalte nach den Erfahrungen der Auslandsvertretungen hinsichtlich des Aufenthaltszeitraumes vorab mit dem oder den zu Besuchenden abgesprochen und festgelegt würden. Im Hinblick darauf werden in aller Regel auch Auslandskrankenversicherungen in Übereinstimmung mit dem geplanten Auslandsaufenthalt abgeschlossen. Nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, dass auch die materiell-rechtliche Prüfung der Beklagten, insbesondere die Einschätzung des Risikos eines Missbrauchs des Besuchsvisums zur Begründung eines Daueraufenthalts, im Kontext der jeweils aktuellen Verhältnisse getroffen wird. Mithin ist von der Erledigung des Visumbegehrens, das auf einen kalendarisch bestimmten oder bestimmbaren Zeitraum bezogen ist, grundsätzlich und nicht nur dann auszugehen, wenn der Besuch zu einem zeitlich gebundenen und seiner Natur nach nicht wiederkehrenden Ereignis (etwa Hochzeit, Taufe, Beerdigung o.ä.) stattfinden soll.

Dem steht der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht entgegen (so aber OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Oktober 2008 - OVG 12 B 44.07 -; Beschluss vom 1. April 2009, a.a.O.). Es bleibt allein dem Ausländer überlassen, den Visumantrag seinem Aufenthaltswunsch entsprechend zu formulieren. Von Gesetzes wegen ist er nicht gehindert, einen nicht kalendarisch festgelegten Aufenthaltszeitraum zum Gegenstand des Visumantrags zu machen, dieses also beispielsweise für die Dauer von bis zu drei Monaten nach Erteilung bzw. nach der - noch nicht auf ein konkretes Datum bestimmten - Einreise zu beantragen. Tut er dies nicht und beantragt er das Visum für einen bestimmten Zeitraum, so kann der Rückgriff auf Art. 19 Abs. 4 GG angesichts der Dispositionsfreiheit des Ausländers nicht zu einem Absehen von der Erledigung des Antrages führen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass ein Ausländer, der möglicherweise in Unkenntnis der Folgen in seinem Visumantrag einen bestimmten, zwischenzeitlich verstrichenen Zeitraum angegeben hat, jederzeit einen neuen "offenen" Antrag stellen kann und ihm zudem - das erforderliche Feststellungsinteresse vorausgesetzt - die Möglichkeit zu Gebote steht, die Rechtmäßigkeit der Ablehnung des vorausgegangenen Antrags im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage gerichtlich überprüfen zu lassen.

2. Die Klage bleibt auch im Hilfsantrag ohne Erfolg.

a) Die hilfsweise erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage ist allerdings zulässig.

Das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, der hier auf das erledigte Verpflichtungsbegehren analoge Anwendung findet, erforderliche berechtigte Interesse der Klägerin an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ablehnung des Visumantrages ergibt sich aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr. Diese ist hier anzunehmen, weil die konkrete Gefahr besteht, dass die Beklagte in naher Zukunft auf einen gleichartigen Antrag hin eine auf gleichartigen Erwägungen beruhende negative Entscheidung treffen könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. August 1993 - 6 C 7/93 -, NVwZ-RR 1994, 234).

b) Die Ablehnung des Visumantrags durch den Remonstrationsbescheid der Deutschen Botschaft in Rabat vom 15. Februar 2008 war nicht rechtswidrig.

Rechtsgrundlage für die Erteilung des Visums für einen dreimonatigen Besuchsaufenthalt im Bundesgebiet war § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Danach mussten die Erteilungsvoraussetzungen des Schengener Grenzkodex’ (Verordnung [EG] Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen; ABl. L 105/1 - SGK -), die gemäß Art. 39 Abs. 3 SGK an die Stelle der aufgehobenen Art. 2 bis 8 SDÜ getreten sind, erfüllt sein. Zu diesen Voraussetzungen zählt unter anderem, dass der Visumbewerber keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaates darstellen darf (Art. 5 Abs. 1 lit. e SGK).

aa) Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. e SGK ist anzunehmen, wenn es dem Drittstaatsangehörigen an der Rückkehrbereitschaft fehlt und er beabsichtigt, das Visum zu einem anderen als dem angegebenen Aufenthaltszweck zu nutzen (Zeitler in HTK-AuslR, Stand September 2009, Anm. 6.2 a.E. zu § 6 Abs. 1 bis Abs. 3 AufenthG). Es besteht ein erhebliches Interesse der Mitgliedstaaten der Europäischen Union an der Verhinderung der illegalen Einwanderung. Dies verdeutlicht die sechste Begründungserwägung zum SGK. Danach liegen Grenzkontrollen im Interesse sämtlicher Mitgliedstaaten des Schengenraumes und haben unter anderem zum Ziel, zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung beizutragen. In dieselbe Richtung weisen die Festlegungen unter V. der Gemeinsamen konsularischen Instruktion an die diplomatischen Missionen und die konsularischen Vertretungen, die von Berufskonsularbeamten geleitet werden, vom 22. Dezember 2005 (ABl. C 326, 1). Hierin wird ausdrücklich daran erinnert, dass die Bekämpfung der illegalen Einwanderung ein wesentlicher Punkt bei der Bearbeitung von Visumanträgen, ist und auf das Erfordernis, das Migrationsrisiko abzuschätzen, hingewiesen.

Dem kann nicht unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Ausweisung von Unionsbürgern (Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 u.a. -, NVwz 2004, 1099) entgegengehalten werden, eine Störung der öffentlichen Ordnung sei erst dann zu bejahen, wenn eine Gesetzesverletzung vorliege, die eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstelle, so dass ein Grundinteresse der Gemeinschaft berührt sei (so Jobs, InfAuslR 2008, S. 9, 10). Dies übersieht, dass es vorliegend nicht um die Reglementierung der Freizügigkeit von Unionsbürgern innerhalb der Europäischen Union, sondern um die Überschreitung der Außengrenzen des Schengenraumes durch Drittstaatsangehörige geht.

Für die Beurteilung, ob eine Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. e SGK vorliegt, genügt allerdings nicht jeder Zweifel an der Rückkehrbereitschaft eines Ausländers, der ein Visum für einen kurzfristigen (Besuchs-)Aufenthalt begehrt. Ebensowenig wie dem Zweck des Aufenthaltsgesetzes entspricht es dem Zweck des Schengener Grenzkodex’, eine Ermessensentscheidung bei Besuchsaufenthalten nur ausnahmsweise zuzulassen. Daher müssen für die Annahme einer Gefahr für die öffentliche Ordnung nach Art 5 Abs. 1 lit. e SGK die Zweifel an der Rückkehrbereitschaft ein solches Gewicht haben, dass die anzustellende Rückkehrprognose negativ ausfällt, weil die Wahrscheinlichkeit eines beabsichtigten dauerhaften Verbleibs des Ausländers im Bundesgebiet wesentlich höher einzuschätzen ist als die Wahrscheinlichkeit seiner Rückkehr (vgl. OVG Münster, Urteil vom 31. Mai 1995 - 17 A 3538/92 -, NVwZ-RR 1996, 608; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. September 2007 - OVG 2 S 38.07 -, InfAuslR 2008, 22, 23; Bäuerle in GK-AufenthG, Stand November 2006 und Juni 2007, Rzn. 124, 129 f. zu § 5, jew. zum nationalen Recht der Bundesrepublik Deutschland). Unterhalb dieser Schwelle verbleibende Rückkehrzweifel sind im Rahmen der behördlichen Ermessensentscheidung bei der Abwägung zwischen den Interessen der Bundesrepublik Deutschland und dem Gewicht des Besuchswunsches zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Oktober 1996 - 1 B 113/96 -, NVwZ-RR 1997, 319; OVG Münster, Urteil vom 31. Mai 1995, a.a.O.; OVG Berlin, Urteil vom 27. August 2003, a.a.O.).

bb) Im Falle der Klägerin konnte die Rückkehrprognose nur zu ihren Ungunsten ausfallen. Die erkennbaren Tatsachen rechtfertigten auch bei Berücksichtigung des Gewichts, das Art 6 Abs. 1 GG dem Wunsch, ihre Kinder zu besuchen, verlieh, die Annahme, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit das Visum zu dem Zweck nutzen würde, einen ihr sonst verwehrten Daueraufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu begründen.

Insoweit ist zunächst auf das ärztliche Attest des Dr. A. vom 22. Januar 2008 zu verweisen, aus dem sich nicht nur ergibt, dass die bei den Kindern diagnostizierten neurotischen Störungen auf die Trennung von der Klägerin zurückzuführen sind, sondern auch, dass eine Besserung der Leiden durch "die Familienzusammenführung" (mit der Klägerin) zu erwarten sei. Dass ein nur vorübergehender, dreimonatiger Aufenthalt der Klägerin, der von vornherein mit der Aussicht auf eine erneute Trennung belastet wäre, geeignet gewesen sein sollte, die Gesundheitsstörungen der Kinder bessern, kann bei lebensnaher Betrachtung nicht angenommen werden und klingt in dem Attest auch nicht an. Vielmehr vermittelt es den Eindruck, dass dessen Verfasser von einem bevorstehenden bzw. beabsichtigten Daueraufenthalt der Klägerin ausgegangen ist. Dieser Eindruck findet im Übrigen seine nachträgliche

Bestätigung in dem Bericht des Dr. D. vom 16. Oktober 2008 und der darin wiedergegebenen Äußerung von Herrn B., seit langem werde mit allen Mitteln versucht, die Klägerin einreisen zu lassen. Auch die offenbar unbefangen von A. gegenüber seinem Klassenlehrer abgegebenen Äußerungen bestätigen den Eindruck, die Klägerin wolle dauerhaft im Bundesgebiet verbleiben.

Des weiteren hat die Klägerin mit der notariellen Erklärung vom 23. Dezember 2004 die Ausreise der Kinder zu ihrem geschiedenen Ehemann erlaubt und diese im Juni 2005 ins Ausland begleitet. Ihre Behauptung, dass die Sorgerechtsübertragung erfolgt sei, weil die Kinder ein Hindernis für die von ihr beabsichtigte Neuverheiratung gewesen sind, ist unsubstanziiert und nicht glaubhaft. Ferner ist nicht zu verkennen, dass sich schon Herr B. den Aufenthalt im Bundesgebiet dadurch verschafft hat, dass er mit einem Besuchsvisum eingereist ist, obwohl er - anders kann sein Visumantrag vom 11. Juli 2002 nicht verstanden werden - einen Daueraufenthalt beabsichtigte. Auch in ihrem Schriftsatz vom 8. Dezember 2009 räumt die Klägerin letztlich ein, dass Herr B. die Erteilung eines Einreisevisums zur Eheschließung nicht abgewartet, sondern statt dessen das Schengenvisum zu diesem Zweck benutzt hat. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin bei der Beantragung des Visums als zu besuchende Person ihren Cousin und als Aufenthaltszweck "Tourismus" angegeben hat, obwohl, wie das Remonstrations- und insbesondere das Klagevorbringen zeigen, es ihr ausschließlich darum gehen soll, ihre beiden Söhne zu besuchen. Eine Erklärung für die ursprünglichen, den tatsächlich beabsichtigten Aufenthaltszweck verschweigenden Angaben ist seitens der Klägerin nicht erfolgt.

Diese Umstände begründeten bei der gebotenen Gesamtschau Rückkehrzweifel in einem Maße, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen war, die Klägerin werde nach Ablauf des Visums das Bundesgebiet nicht wieder verlassen. Demgegenüber sind die von ihr geltend gemachten Gesichtspunkte, aus denen sie eine Verwurzelung in ihrem Heimatland herleitet, nämlich das Miteigentum an dem von ihr bewohnten Gebäude, ihr Schneidereibetrieb und die Tatsache, dass ihre Mutter und ihre beiden Schwestern in Marokko leben, von deutlich geringerem Gewicht und führen nicht zu einer anderen Würdigung. [...] Dass sie einen Aufenthalt im Bundesgebiet im Jahre 2006 durch freiwillige Ausreise beendet hat, lässt insbesondere angesichts der ärztlich attestierten Trennungsfolgen für die Gesundheit der Kinder die hohe Wahrscheinlichkeit für einen visumwidrigen Verbleib im Bundesgebiet nicht entfallen, zumal sie bei dem Voraufenthalt die Gültigkeitsdauer des Visums überschritten, sich also nicht an die rechtlichen Bestimmungen gehalten hat.

cc) Jedenfalls wäre nach den vorstehenden Erwägungen die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung nicht fehlerhaft, so dass die Visumablehnung auch dann nicht rechtswidrig war, wenn das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Schengener Grenzkodex bejaht wird. Dass die Botschaft in Rabat ihr Ermessen im Remonstrationsbescheid hilfsweise ausgeübt hat, unterliegt keinen Bedenken (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2007 - 1 C 10/07 -, NVwZ 2008, 326, 328; Urteil vom 7. Dezember 1999 - 1 C 13/99 - NVwZ 2000, 688, 689). Dem Einreisewunsch der Klägerin hat sie dabei im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG hohes Gewicht beigemessen, ist aber bei der Abwägung dieses Umstandes mit den gegen eine Rückkehr sprechenden Umstände zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin könne sich darauf verweisen lassen, familiäre Kontakte durch Schriftwechsel oder Telefonverkehr sowie durch Besuche etwa während der Ferienzeit in Marokko aufrechtzuerhalten. Das ist grundsätzlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Oktober 1996 - 1 B 113/96 -, NVwZ-RR 1997, 319). Dass es der Klägerin entgegen ihrer Behauptung durchaus möglich war, Besuchskontakte mit den Kindern in Marokko pflegen, zeigen die Äußerungen ihres Sohnes, wie sie in dem Schreiben der Grundschule an Herrn B. wiedergegeben sind. Abgesehen davon verfügte die Klägerin nach eigenen Angaben über ein für marokkanische Verhältnisse mehr als ausreichendes monatliches Nettoeinkommen und mit 7.000 € über beträchtliche Ersparnisse, aus denen sie die Kosten auch wiederholter Besuchsreisen ihrer Kinder und einer gegebenenfalls erforderlichen Begleitperson hätte aufbringen können. [...]