Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht zur Prüfung, ob § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB i.V.m. Art. 229 § 16 EGBGB mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
1. Nach Auffassung des Gerichts verstößt die zum 1.6.2008 gesetzlich neu eingeführte Vaterschaftsanfechtungsberechtigung einer Behörde als echte Rückwirkung gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes.
2. Selbst wenn von einer unechten Rückwirkung auszugehen ist, sind die gesetzlichen Neuregelungen der normierten Altersgrenze, nach deren Ablauf ein Kind ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand seiner Staatsangehörigkeit entwickelt hat, mangels hinreichender Bestimmtheit nicht verfassungsgemäß.
3. Die neue gesetzliche Regelung führt ferner zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung ehelicher und nichtehelicher Kinder, denn Kinder, die während einer bestehenden Ehe geboren werden, sind von dem behördlichen Vaterschaftsanfechtungsrecht nicht betroffen.
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Selbst für den Fall, dass die Möglichkeit einer Anfechtung der Vaterschaft durch die Behörde für Altfälle im Hinblick auf das fortwirkende Kindschaftsverhältnis und Statusrecht als unechte Rückwirkung anzusehen wäre (so OLG Oldenburg FamRZ 2009, 1925, 1927), bei der die Neuregelung somit gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft betrifft und gleichzeitig Positionen der Vergangenheit entwertet (BVerfGE 10), 239, 263), sind die § 1600 I Nr. 5 BGB, Art. 229 § 16 EGBGB nach Auffassung des Gerichts als nicht verfassungsgemäß anzusehen.
In der Neueinführung der Anfechtungsberechtigung der Behörde ist eine Grundrechtsverletzung des Beklagten zu 1) zu sehen, die der Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung entgegen steht. Die Zulässigkeit bestimmt sich grundsätzlich nach der Einschränkungsmöglichkeit des nach der bisherigen Rechtsordnung erlangten subjektiven Rechts und ist somit vorrangig an den Grundrechten zu messen (BVerfGE 97, 67, 79; 101, 239, 263). In dem für den Beklagten zu 1) heranzuziehenden grundrechtlichen Maßstab fließen die allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit, aber auch der Verhältnismäßigkeit in der Weise ein, wie dies allgemein bei der Auslegung von Grundrechten im Hinblick auf die Fragen des materiellen Rechts geschieht (BVerfGE 76, 256, 347-349).
Bei der für die Frage der Zulässigkeit vorzunehmenden Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer Änderung der bisherigen Rechtslage und dem schutzwürdigen Vertrauen des Betroffenen überwiegt hier das Vertrauen des Beklagten zu 1).
Das Interesse des Gesetzgebers, missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen entgegenzuwirken, um Verbleibensrechte von Ausländern und damit verbundene sozialstaatliche Belastungen der Allgemeinheit zu verhindern, hat zwar grundsätzlich einen hohen Stellenwert. Dieser Stellenwert relativiert sich jedoch unter Berücksichtigung der nicht nachgewiesenen Anzahl tatsächlicher Missbrauchsfälle und dem dadurch entstehenden Generalverdacht gegen binationale Beziehungen erheblich. Demgegenüber steht das Vertrauen des anerkannten Kindes auf die mit der Abstammung verbundenen unterhalts-, erb-, steuer- und sozialrechtlichen Folgen sowie insbesondere das Vertrauen auf die Auswirkungen auf sein Statusrecht. Dieses Vertrauen mag im Hinblick auf die absolute Fünfjahresfrist des § 1600b I a, 3 BGB, die gerade dem Vertrauensschutz Rechnung tragen soll (BT-Drs. 16/3291, S. 15; Grün, FuR 2007, 12, 16; Zypries/Cludius, ZRP 2007, 1, 4), das öffentliche Interesse nicht überwiegen (OLG Oldenburg FamRZ 2009, 1925, 1927). Obwohl nach Auffassung des Gerichts Zweifel daran bestehen, dass mit der Fristenregelung des § 1600b I a, 3 BGB den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NJW 2007, 425, 425) im Hinblick auf Art. 16 I GG Genüge getan wunde (a.A.: Gaaz, Stellungnahme zur BT-Drs. 16/3291, S. 6).
Die absolute Fünfjahresfrist ist dahingehend zu verstehen, dass mit ihr eine Altersgrenze verbunden sein soll, nach deren Ablauf ein Kind ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand seiner Staatsangehörigkeit entwickelt hat, welche es von der Vaterschaft ableitet. Das nach Ablauf der Frist erlangte Vertrauen geht dann dem öffentlichen Interesse an einer Anfechtung der Vaterschaft vor.
Bei einem solchen Verständnis des § 1600b I a, 3 BGB erscheint die normierte Altersgrenze jedoch im Hinblick auf Art. 16 I GG als zu unbestimmt bzw. unangemessen. Schon bei der ersten normierten Alternative, der Inlandsgeburt, sind unterschiedliche Altersgrenzen denkbar, da die Grenze in Abhängigkeit zur Wirksamkeit der Anerkennung steht. Beispielsweise kann die Anerkennung bereits mit der Geburt des Kindes wirksam werden, sie kann es aber auch erst, wie im vorliegenden Fall, im Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung der Mutter. Bei der zweiten normierten Alternative, der Einreise des anerkannten Kindes, sind unterschiedliche Altersgrenzen der Regelfall. Dem Bestimmtheitsgrundsatz, wonach die Vorschrift ein festes Alter normiert, bei dessen Erreichen davon auszugehen ist, dass das betroffene Kind ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand seiner Staatsangehörigkeit aufgebaut hat, genügt § 1600 b I a, 3 BGB somit nicht.
Auch erscheint eine Regelung, die einen solchen Vertrauensschutz bei einem Alter jenseits des Beginns des sechsten Lebensjahres nicht anerkennt, unangemessen (vgl. VG München, Urteil v. 16.4.2009, M 10 K 08.5928: noch kein schutzwürdiges Vertrauen bei einem dreijährigen Kind; VG Bremen, Urteil v. 23.3.2009, 4 K 3157/06: kein Vertrauensschutz eines noch nicht fünfjährigen Kindes). Dieser Bewertung wird allenfalls die erste Alternative gerecht, bei der bei einem 11-jährigen Kind eine Anfechtungsberechtigung der Behörde ausgeschlossen ist, sofern die Anerkennung bereits bei der Geburt des Kindes wirksam war. Allerdings besteht auch bei dieser Alternative die Gefahr, dass das betroffene Kind im Zeitpunkt der gerichtlichen Aufhebung der Vaterschaft und dem damit verbundenen Verlust der deutschem Staatsangehörigkeit bereits älter als fünf Jahre ist. Denn die Frist des § 1600 b I a, 3 BGB ist seitens der Behörde gewahrt, sofern sie vor deren Ablauf die Vaterschaft gerichtlich anficht.
Eine verfassungskonforme Auslegung des § 1600 b I a, 3 BGB im Hinblick auf die aufgezeigten verfassungsrechtlich bedenklichen Altersgrenzen erscheint vorliegend nicht möglich, da dabei zu sehr in den Kompetenzbereich des Gesetzgebers eingegriffen würde (vgl. BVerfG NJW 2007, 425, 427, 428).
Unabhängig von der Frage, ob das o.g. Vertrauen des Beklagten zu 1) insbesondere im Hinblick auf Art. 16 I GG das öffentliche Interesse, missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen entgegenwirken zu wollen, überwiegt, steht jedenfalls das Vertrauen des Beklagten zu 1), dass die Anerkennung der Vaterschaft nur von ihm selbst, der Mutter, dem rechtlichen oder biologischen Vater angefochten werden kann, der Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung entgegen. Daraus erwächst nämlich auch ein Vertrauen darauf, dass im Hinblick auf die Abstammung für eheliche und nichteheliche Kinder die gleichen Regelungen gelten. In diesem in Art. 6 V GG, als besondere Ausprägung von Art. 3 I GG, verankerten Recht auf Gleichbehandlung wird der Beklagte zu 1) durch die Neuregelung unzumutbar beeinträchtigt.
Eine Beeinträchtigung von Art. 6 V GG ist bei einer Ungleichbehandlung anzunehmen, die vorliegt, wenn zwei vergleichbare Sachverhalte in Abhängigkeit von der Unehelichkeit unterschiedlich behandelt werden und dies für das nichteheliche Kind zu einem Nachteil führt (BVerfGE 17, 148, 153; 22, 163, 172; 44, 1 18). Erfasst wird insofern auch eine mittelbare Anknüpfung an das Merkmal der Unehelichkeit (Jarass/Pieroth-Jarass, Art. 6, Rn. 65). Eine Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung ist nur anzunehmen, wenn eine förmliche Gleichstellung in ebenso geschätzte Rechtspositionen Dritter eingriffe oder der besonderen sozialen Situation des nichtehelichen Kindes nicht gerecht würde. Zudem müsste die Benachteiligung möglichst anderweitig ausgeglichen werden, um die materielle Gleichwertigkeit zu erreichen (BVerfGE 74, 33, 39; 84, 168, 185; 85, 80, 88).
Vorliegend ergibt sich die nachteilige Ungleichbehandlung für den Beklagten zu 1) daraus, dass Kinder, die während einer bestehenden Ehe geboren wurden, von dem behördlichen Anfechtungsbescheid nicht betroffen sind, obwohl insbesondere bei einer Scheinehe anzunehmen ist, dass das Kindschaftsverhältnis ebenfalls missbräuchlich herbeigeführt wurde (Helms, Stellungnahme zur BT-Drs. 16/3291, S. 7; Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V., Anhörung im Rechtsausschuss am 23.05.2007, S. 6; Gernhuber/Doester-Waltjen, § 52, S. 627, 628, Rn. 111; Genenger, FPR 2007, 155, 160). Diese Ungleichbehandlung ist dabei jedenfalls mittelbar an das Merkmal der Unehelichkeit des Beklagten zu 1) geknüpft, denn bei der Behördenanfechtung wird neben dem Fehlen einer biologischen bzw. sozial-familiären Beziehung lediglich objektiv vorausgesetzt, dass mit der Anerkennung rechtliche Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt des Kindes oder eines Elternteiles geschaffen werden. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich darauf verzichtet, in Missbrauchsfällen die Anfechtung der Vaterschaft von einem zusätzlichen subjektiven Element im Hinblick auf die Erlangung aufenthaltsrechtlicher oder sozialstaatlicher Vorteile abhängig zu machen (BG-Drs. 16/3291, S. 14; juris PK-Nickel, § 1600, Rn. 40), weshalb anzunehmen gewesen wäre, dass die Ungleichbehandlung nicht von der Unehelichkeit, sondern von dem Zweck des rechtlich begründeten Kindschaftsverhältnisses abhängt.
Eine Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlungen, die den hohen Anforderungen des Art. 6 V GO genügt, ist nicht ersichtlich. Vielmehr geht die Errungenschaft der Kindschaftsrechtsreform, nämlich die grundsätzliche Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern, die für das Kindschaftsrecht seit 1998 prägend ist (Gerhardt/von Heintschel-Heinegg/Klein-Pieper, 3. Kap., S. 226, Rn 70, 71; Wellenhofer, FamR, § 30, S. 228, Rn. 2), wieder verloren. [...]