OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.05.2010 - 19 E 655/09 - asyl.net: M17218
https://www.asyl.net/rsdb/M17218
Leitsatz:

Die Verwaltungspraxis, die Einbürgerung nach § 8 StAG grundsätzlich von einem achtjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt abhängig zu machen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach Satz 3 der ergänzenden Anmerkung zu Nr. 8.1.2.3 Sätze 1 bis 3 VAH (Fassung Oktober 2007) kann vom Grundsatz des achtjährigen Aufenthalts aber abgewichen werden, wenn die Nichtanrechnung von Gestattungs- und Duldungszeiten zu Härtefällen führt. Vorliegend fehlt es an einem solchen Härtefall, da keine besonderen Integrationsleistungen vorliegen und auch keine ausreichenden Deutschkenntnisse vorhanden sind.

Schlagwörter: Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Ermessenseinbürgerung, Härtefall, Integration, Deutschkenntnisse
Normen: StAG § 8 Abs. 1, StAG § 10 Abs. 1, VwGO § 114 S. 2
Auszüge:

[...]

Diese Verwaltungspraxis, die Einbürgerung nach § 8 StAG grundsätzlich von einem achtjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt abhängig zu machen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach höchstrichterlich gebilligter obergerichtlicher Rechtsprechung dürfen die Einbürgerungsbehörden im Rahmen ihrer Ermessensausübung bei der Einbürgerung nach § 8 Abs. 1 StAG die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse prüfen und diese von einer bestimmten Mindestdauer des rechtmäßigen Inlandsaufenthalts abhängig machen. Sie dürfen dabei grundsätzlich die in den hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften festgelegten langjährigen Aufenthaltszeiten zu Grunde legen (BVerwG, Beschluss vom 20.8.1996 - 1 B 138.96 -, juris, Rdn. 2; Nds. OVG, Urteil vom 17. 4. 1996 - 13 L 5084/95 -, juris, Rdn. 21 f. (jeweils zum 10-jährigen Mindestaufenthalt, den die Verwaltungspraxis bis Ende 1999 nach Nr. 3.2.1 EinbRL forderte); Bad.-Württ. VGH, Urteil vom 16.10.2008 - 13 S 313/08 -, juris, Rdn. 25 (zum 8jährigen Mindestaufenthalt nach Nr. 8.1.2.2 Satz 1 VAH)).

Auch der rechtssystematische Unterschied zwischen § 8 Abs. 1 StAG als Ermessensermächtigung und § 10 Abs. 1 StAG als zwingender Anspruchsnorm steht dem nicht entgegen. Dieser Unterschied bewirkt lediglich, dass die Verwaltungspraxis bei § 8 Abs. 1 StAG, sofern dessen tatbestandliche Mindestvoraussetzungen erfüllt sind, im Rahmen der Vorgaben des § 40 VwVfG NRW nach sachgerechten Kriterien, Mindestfristen und Anrechnungsregeln für einen mehr- oder langjährigen rechtmäßigen gewöhnlichen Inlandsaufenthalt festlegen darf. Demgegenüber knüpft § 10 StAG den Einbürgerungsanspruch in Abs. 1 von Gesetzes wegen zwingend an einen achtjährigen rechtmäßigen gewöhnlichen Inlandsaufenthalt und lässt eine Verkürzung dieser Aufenthaltsdauer nur unter den Voraussetzungen des Abs. 3 zu.

Der genannte rechtssystematische Unterschied verwehrt es der Verwaltungspraxis auch nicht, ihr Ermessen nach § 8 Abs. 1 StAG grundsätzlich an der gestaffelten Aufenthaltsdauer nach § 10 Abs. 1 und 3 StAG auszurichten und damit beide Einbürgerungsarten im praktischen Ergebnis einander in diesem Punkt anzugleichen. Ebenso wenig ist die Verwaltungspraxis im Rahmen ihres Ermessens nach § 8 StAG gehindert, für die Berechnung der jeweils einschlägigen Mindestdauer des rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts dieselben Anrechnungsregeln heranzuziehen, die nach der Rechtsprechung des BVerwG für den Begriff des rechtmäßigen Inlandsaufenthalts in den §§ 4 Abs. 3, 10 Abs. 1 StAG zwingend gelten. Die Verwaltungspraxis darf außerdem Duldungszeiten unberücksichtigt lassen. Die gegenteilige Auffassung des VG Stuttgart (Urteil vom 5.11.2007 11 K 4416/07 , juris, Rdn. 36; insoweit korrigiert durch Bad.-Württ. VGH, Urteil vom 16.10.2008 - 13 S 313/08 -, juris, Rdn. 23) schränkt demgegenüber den Ermessensspielraum der Behörden zu stark ein.

Der Beklagte hat sein Ermessen nach § 8 Abs. 1 StAG rechtmäßig ausgeübt. Im Ablehnungsbescheid hat die Bezirksregierung ... zwar nur diejenigen Verkürzungsgründe für den grundsätzlich achtjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt in Betracht gezogen, die im Fall der Kläger ohnehin nicht erfüllt sind und auf die sich die Kläger auch gar nicht berufen hatten (Asylberechtigung, Integrationskurs). Von vornherein gar nicht erst erwähnt hat sie hingegen denjenigen Verkürzungsgrund, auf den sich die Kläger in ihrer Anhörungsstellungnahme vom 17.12.2007 berufen hatten: Nach Satz 3 der ergänzenden Anmerkung zu Nr. 8.1.2.3 Sätze 1 bis 3 VAH (Fassung Oktober 2007) kann nämlich vom Grundsatz des achtjährigen Aufenthalts auch dann abgewichen werden, wenn die Nichtanrechnung von Gestattungs- und Duldungszeiten zu Härtefällen führt. Einen solchen Härtefall hatten die Kläger der Sache nach geltend gemacht und zur Begründung auf die Auskunft des BMI verwiesen, dass "die Nichtanrechenbarkeit von Gestattungs- und Duldungszeiten ... vor allem bei langjährig Geduldeten eine Härte bedeuten" könne.

Insoweit hat die Bezirksregierung ... jedoch ihre Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO im erforderlichen Umfang ergänzt. Mit ihrer Klageerwiderung vom 1.2.2008 hat sie ausgeführt, die Nichtanrechnung der Gestattungs- und Duldungszeiten bedeute im Einzelfall der Kläger keine Härte, weil bei ihnen keine besonderen Integrationsleistungen vorlägen und bei ihnen nach dem Sprachtest im November 2007 auch ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache nicht vorhanden seien. Der Beklagte hat sich diese Ergänzung nach seinem Eintritt in das Klageverfahren durch Schriftsatz vom 7.10.2008 zu eigen gemacht. [...]