Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG, da nach Auskunft der ZIRF (Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung des BAMF) für die an Multipler Sklerose erkrankte Klägerin zwei der notwendigen Behandlungsmaßnahmen (Krankengymnastik nach PNF und Cortison-Pulstherapie) in der Türkei gar nicht vorhanden sind. Die von der Beklagten vorgelegten Auskünfte aus den Jahren 2002 und 2004 beziehen sich zum einen nicht auf eine Cortison-Pulstherapie mit Prednisolon und sind zum anderen nicht geeignet, eine ganz aktuelle Auskunft einer Institution der Beklagten in Zweifel zu ziehen.
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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass der Bescheid der Beklagten vom 09.06.2008 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 VwGO). [...]
Der Klägerin droht bei einer Abschiebung in die Türkei eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aufgrund ihrer MS. [...]
Die Klägerin wird in der Türkei die notwendige Behandlung nicht erhalten. MS ist eine Krankheit mit höchst unterschiedlichen Symptomen und Krankheitsverläufen. Eine einzige Behandlungsmethode gibt es nicht, so dass für jeden Betroffenen eine individuelle Therapie gefunden werden muss (s. beispielhaft www.multiplesklerose.com). Die Klägerin hat durch zahlreiche ärztliche Stellungnahmen nachvollziehbar, auch von der Beklagten letztendlich nicht bestritten, vorgetragen, dass zur Erhaltung ihres Gesundheitszustandes ein auf sie individuell abgestimmtes Therapiekonzept aus mehreren Behandlungsmaßnahmen notwendig ist. Nach der Auskunft der ZIRF sind zwei der notwendigen Behandlungsmaßnahmen, die Krankengymnastik nach PNF und die Cortison-Pulstherapie mit Prednisolon, in der Türkei gar nicht vorhanden und eine weitere, die Psychotherapie, nur durch privat praktizierende Psychotherapeuten zu erhalten. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung eindrücklich und überzeugend geschildert, dass ohne die Krankengymnastik nach PNF ihre Bewegungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt wären. Die Krankengymnastik verhindere das Eintreten einer Gefühllosigkeit in Beinen und Armen. Die Gefühllosigkeit würde dazu führen, dass sie nicht mehr allein gehen können, weil sie ihre Beine nicht mehr spüre. Auch könne sie keine Gegenstände mehr greifen. Sie sei dann vollständig auf fremde Hilfe angewiesen. Da die Krankengymnastik nach PNF in der Türkei nicht durchgeführt werden kann, würde die Klägerin schon allein deshalb unmittelbar nach einer Abschiebung einer erheblichen Verschlechterung ihrer Gesundheit ausgesetzt sein. Darüber hinaus ist die Klägerin bei einem Krankheitsschub auf eine Cortison-Pulstherapie mit 3 x 1 g Prednisolon dringend angewiesen. Sie erklärte anschaulich, dass sich ein Schub durch ein Nachlassen der Seh- und Hörfähigkeit ankündige. Wenn sie dann nicht sofort die Therapie erhalte, verstärkten sich die Einschränkungen erheblich. Die Pulstherapie ist ebenfalls in der Türkei nicht vorhanden. Die von der Beklagten vorgelegten Auskünfte aus den Jahren 2002 und 2004 beziehen sich zum einen nicht auf eine Cortison-Pulstherapie mit Prednisolon und sind zum anderen nicht geeignet eine ganz aktuelle Auskunft einer Institution der Beklagten in Zweifel zu ziehen. Da die Abschiebung der Klägerin in die Türkei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen neuen Krankheitsschub auslösen würde, besteht deshalb auch durch das Fehlen der Pulstherapie eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit der Klägerin in unmittelbarem Zusammenhang mit der Rückkehr. Ob die Klägerin darüber hinaus finanziell in Lage wäre, die übrigen Behandlungsmaßnahmen zu bezahlen, und welche Behandlungen von der Yesil Kart gedeckt wären, bedarf deshalb keiner Prüfung mehr. [...]