VG Cottbus

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Zitieren als:
VG Cottbus, Beschluss vom 12.04.2010 - VG 7 L 69/10.A - asyl.net: M17247
https://www.asyl.net/rsdb/M17247
Leitsatz:

Keine vorläufige Aussetzung einer Dublin-Überstellung nach Griechenland im Eilverfahren. Allein die Möglichkeit von Schwierigkeiten in Griechenland hinsichtlich der Verfahrens- und Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge reicht für die Annahme eines individuell zu begründenden Ausnahmefalles als Einwendung gegen das Konzept der normativen Vergewisserung nicht aus.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, Griechenland, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Selbsteintritt, subjektives Recht, Ermessensreduzierung auf Null, EGMR, Bundesverfassungsgericht, Auswärtiges Amt, Konzept der normativen Vergewisserung, Iran,
Normen: VwGO § 123 Abs. 1, AsylVfG § 34a Abs. 2, AsylVfG § 27a, VO 343/2003 Art. 10 Abs. 1 S. 1, VO 343/2003 Art. 3 Abs. 2, AsylVfG § 26a Abs. 1, GG Art. 16a Abs. 2 S. 1, VerfO-EGMR Art. 39, RL 2004/83/EG Art. 15
Auszüge:

[...]

Soweit der Antragsteller Rechtsschutz im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO erstrebt, ist der Antrag mit Blick auf § 34 a Abs. 2 AsylVfG unstatthaft bzw. jedenfalls unbegründet.

Gemäß § 34 a Abs. 2 AsylVfG darf die Abschiebung grundsätzlich nicht nach §§ 80 oder 123 VwGO ausgesetzt werden, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) abgeschoben werden soll. Dies ist hier der Fall. Der Antragsteller ist am 22. August 2009 aus Griechenland kommend in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und soll dorthin abgeschoben werden. Nach überschlägiger Prüfung sieht das Gericht entgegen der Auffassung des Antragstellers – auch mit Blick auf zahlreiche abweichende Entscheidungen verschiedener deutscher Verwaltungsgerichte und unter Berücksichtigung der angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – wegen der gegenwärtig unzureichenden Umsetzung europarechtlicher Flüchtlingsschutzstandards in Griechenland keinen Anlass, von dieser das Gericht bindenden gesetzlichen Regel abzuweichen.

Griechenland ist für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers gemäß Art. 10 Abs. 1 Satz 1 der Dublin-II-VO zuständig, was der Antragsteller bei Lichte besehen ebenso einschätzt. Nicht gefolgt werden kann dem Antragsteller in der Auffassung, ihm stehe gleichwohl ein Anspruch darauf zu, dass Deutschland in seinem Fall von dem ihm in Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO eröffneten Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht. Es ist bereits fraglich, ob die Bestimmungen der Dublin-II-VO – auch hinsichtlich der Selbsteintrittskompetenz eines EU-Mitgliedstaates – subjektive Rechte des Asylbewerbers begründen. Viel spricht dafür, dass sie allein der internen Verteilung der Lasten und Verantwortung unter den EU-Mitgliedstaaten dienen (VG Berlin, Beschluss vom 28. Mai 2009 - VG 33 L 113.09. A -, juris). Selbst wenn man einen Anspruch des einzelnen Asylbewerbers auf fehlerfreien Ermessensgebrauch annehmen wollte, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, weshalb trotz der offenbaren Defizite im Bereich des Flüchtlingsschutzes in Griechenland ein behördliches Ermessen ausnahmsweise allein zu Gunsten eines Selbsteintritts der an sich unzuständigen Bundesrepublik Deutschland ausgeübt werden dürfte.

Der Auffassung des Antragstellers, die aktuelle Situation für Flüchtlinge in Griechenland ziehe eine den Erlass einer die Rückführung verhindernden einstweiligen Anordnung gebietende Ermessensreduzierung auf Null zu seinen Gunsten nach sich, vermag das Gericht nicht beizutreten. Bei der diesbezüglichen Beurteilung ist der mit verfassungsändernder Mehrheit zum Ausdruck gebrachte gesetzgeberische Wille in den Blick zu nehmen, dass sich ein Flüchtling grundsätzlich unter anderem dann nicht auf das Asylgrundrecht berufen darf, wenn er – wie hier geschehen – aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften und damit nach den Vorstellungen des nationalen Gesetzgebers aus einem sicheren Drittstaat im Sinne des § 26 a Abs. 1 AsylVfG, Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG eingereist ist. Dieser Grundgedanke findet seinen Niederschlag nicht zuletzt in § 34 a Abs. 2 AsylVfG, welcher in derartigen Fällen den Eilrechtsschutz ausschließt. Nach der vom rechts- und gesetzesgebundenen Gericht zu achtenden Grundentscheidung des Gesetzgebers, welche verfassungsrechtlichen Rang genießt, ist für die Prüfung des Asylantrags in einem solchen Fall nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern ausschließlich der sichere Drittstaat zuständig, im Falle des Antragstellers Griechenland. Sein in Deutschland angebrachter Asylantrag ist gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig. Es ist dem Antragsteller daher auch zuzumuten, seine Rechtsverfolgung in diesem hier nach der Dublin-II-VO zuständigen Staat zu betreiben. Dass nach Griechenland rücküberstellten Zufluchtsuchenden solches zumutbar ist, hat der Sache nach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Entscheidung vom 2. Dezember 2008 - 32733/08 -, NVwZ 2009, 965) unter Hinweis auf die Möglichkeit bestätigt, beim Gerichtshof ggf. eine vorläufige Maßnahme nach Art. 39 VerfO-EGMR zu erwirken.

§ 34 a Abs. 2 AsylVfG ist nach der das Gericht insoweit ebenfalls bindenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes verfassungsgemäß (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai - 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49, 52 und 113) und nur dann nicht anwendbar, wenn in bestimmten Ausnahmefällen Einwendungen des Ausländers zu einer individuellen Gefährdung im Drittstaat geltend gemacht werden können, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind. Eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer freilich nur erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der soeben genannten, im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. [...]

Es ist weder etwas dafür vorgetragen noch sonst erkennbar, dass ein den Selbsteintritt rechtfertigender Umstand im vorbeschriebenen Sinne gegeben ist. Der Antragsteller hat z.B. nicht glaubhaft gemacht, dass sich der griechische Staat seiner ohne jede weitere Prüfung des Asylbegehrens entledigen würde. Hierfür reichen seine allgemein gehaltenen Rügen die Ausgestaltung und Umsetzung des Flüchtlingsschutzes in Griechenland betreffend nicht aus. Dies entspricht nicht den vom Bundesverfassungsgericht geforderten strengen Anforderungen an eine Darlegung der einer Abschiebung ausnahmsweise entgegenstehenden Hinderungsgründe, zumal, wenn es sich wie hier um einen Vertragsstaat nach dem Dubliner Übereinkommen handelt. Soweit sich der Antragsteller pauschal und ohne nähere Darlegungen auf Erfahrungen anderer Asylbewerber in Griechenland stützt, die gravierende Mängel im griechischen Asylverfahren nahelegen, betrifft dies allgemeine, nicht konkret seine Person betreffende Umstände, welchen an dieser Stelle kein entscheidendes Gewicht beizumessen ist. Allein die Möglichkeit, dass er in Griechenland Schwierigkeiten haben könnte, sein Asylgesuch anzubringen, eine sachgerechte Bearbeitung zu erreichen und bis zum Abschluss des Verfahrens ohne staatliche Fürsorge auf sich allein gestellt sein könnte, reicht für die Annahme eines Ausnahmefalles im oben beschriebenen Sinne nicht aus.[...]

Es kann vorliegend sogar offen bleiben, ob die oben aufgeführten Sonderfälle abschließend sind. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte und auch die drohende Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30. September 2004, S. 12) das Selbsteintrittsrecht gebieten können sollte (vgl. insoweit VG Gießen, Beschluss vom 15. Juli 2008 - 10 L 1497/08.GI.A -, juris; ebenso VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 11. Januar 2008 - 7 G 3911/07.A -), stünde das Vorbringen des Antragstellers einer Abschiebung nach Griechenland nicht entgegen. Wie bereits oben erläutert, genügen seine Angaben den vom Bundesverfassungsgericht für die Darlegung eines individuell zu begründenden Ausnahmefalles geforderten strengen Anforderungen nicht. Der Antragsteller hat nach Maßgabe der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung seines gesamten Asylvorbringens außerdem nicht glaubhaft gemacht, tatsächlich der behaupteten politischen Verfolgung im Iran zu unterliegen. [...]

Der Vortrag zu der Ausreise und ihren zeitlichen Hintergründen erscheint ebenfalls nicht nachvollziehbar: [...]

Schließlich ist es nicht nachvollziehbar, mit welchen Mittel der Antragsteller die etliche 1 000 Euro teure Schleusung finanziert haben will, nachdem er in den letzten Jahren (nach 11-jährigem Schulbesuch und 2-jährigem Studium also ab 2006) nur gelegentlich als Aushilfskraft gearbeitet haben will. [...]

Soweit das Bundesverfassungsgericht in einigen inzwischen bekannt gewordenen Entscheidungen (u.a. diejenige vom 8. September 2009 - 2 BvQ 56/09 -) die Überstellung von Asylantragstellern verschiedener Nationalität nach Griechenland in Anwendung der Dublin II-Verordnung – VO (EG) 343/2003 vom 18. Februar 2003 – vorläufig untersagt hat, lässt sich den Entscheidungen nicht entnehmen, dass das Bundesverfassungsgericht mit seinen Entscheidungen einen faktischen Abschiebestopp von Asylbewerbern nach Griechenland bewirken möchte. Das Bundesverfassungsgericht hat jeweils aufgrund eines konkreten Sachverhalts die Überstellung eines Asylbewerbers nach Griechenland aufgrund einer Interessenabwägung in einem konkreten Einzelfall vorläufig ausgesetzt. Zur Verfassungsmäßigkeit der vorausgegangenen Entscheidungen oder der geplanten Abschiebungen äußert sich das Bundesverfassungsgericht in seinen Beschlüssen gerade nicht. Aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist nicht zu folgern, dass die Überstellung des Antragstellers zu untersagen wäre (vgl. VG München, Beschluss vom 14. Dezember 2009 - M 23 E 09.60092 -, juris). [...]