OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Urteil vom 04.02.2010 - 2 A 448/08 - asyl.net: M17270
https://www.asyl.net/rsdb/M17270
Leitsatz:

Rechtswidrige Ausweisung wegen atypischen Ausnahmefalls. In Verhalten und Persönlichkeit des Klägers hat sich eine positive Entwicklung ergeben, die zum einen zu erfolgreicher Drogentherapie, Berufsabschluss und (Re-)Integration in die wirtschaftlichen Verhältnisse im Bundesgebiet und zum anderen zu einer Stabilisierung im persönlichen Bereich durch eine nunmehr bereits seit zwei Jahren bestehende nicht eheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen geführt haben.

Schlagwörter: Ausweisung, Drogendelikt, zwingende Ausweisung, Regelausweisung, besonderer Ausweisungsschutz, Niederlassungserlaubnis, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, atypischer Ausnahmefall, Verwurzelung, allgemeines Persönlichkeitsrecht, Verhältnismäßigkeit, Achtung des Privatlebens, notwendig in einer demokratischen Gesellschaft, Wiederholungsgefahr, Straftat,
Normen: AufenthG § 53 Nr. 2, AufenthG § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 56 Abs. 1 S. 2, AufenthG § 56 Abs. 1 S. 4, GG Art. 6, EMRK Art. 8, GG Art. 2 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung ist nach der Änderung der – bis dahin auf die letzte Behördenentscheidung abstellenden - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit Urteil vom 15.11.2007 (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45.06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nunmehr bei allen Ausländern (zuvor bereits für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH: BVerwG, Urteile vom 3.8.2004 – 1 C 30.02 -, BVerwGE 121,297, und – 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315) einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich; dabei ließ sich das Bundesverwaltungsgericht davon leiten, dass zum einen der EGMR in seiner Rechtsprechung die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung vor dem Hintergrund der Situation bewertet, in der die Ausweisung rechtskräftig wurde, und zum anderen auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen in diese Richtung weist.

Der angefochtene Bescheid stellt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats als rechtswidrig dar.

Der Kläger, der durch Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 - 5-19/05 / 24 Js 609/04 - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde, erfüllt unstreitig den Tatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG. Ebenso unstreitig genießt er besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG, da er im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung vom 5.10.2005 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis - als solche gilt die ihm 1993 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 101 I 1 AufenthG fort - war und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte. Somit wird er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen (§ 56 I 2 AufenthG) und die Ist-Ausweisung wird zur Regelausweisung zurückgestuft (§ 56 I 4 AufenthG).

Regelfälle sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden, Ausnahmefälle sind dagegen durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Bei der uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegenden Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, sind alle Umstände einer evtl. strafrichterlichen Verurteilung sowie die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen, die in § 55 III AufenthG nicht abschließend genannt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10.07 -, BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008,116 m.w.N.). Ein Ermessensspielraum steht der Behörde nur dann zu, wenn kein Regel-, sondern ein Ausnahmefall im genannten Sinne vorliegt (BVerwG, Beschluss vom 13.11.1995 – 1 B 237.94 -, InfAuslR 1996, 103). Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung – und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung – ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10.07 -, BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116) bereits dann anzunehmen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass nach seinen Erfahrungen der bisherige Maßstab, der ergebnisbezogen auf die Unvereinbarkeit der Ausweisung mit höherrangigem Recht abgestellt habe, nicht ausreiche, um den von Art. 6, Art. 2 I GG und Art. 8 EMRK geschützten Belangen in der Praxis zu einer ausreichenden Berücksichtigung zu verhelfen. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass schutzwürdige, von den Tatbeständen des § 48 I AuslG bzw. § 56 I AufenthG nicht (voll) erfasste Belange des Betroffenen im Verwaltungsvollzug schematisierend ausgeblendet würden. Insbesondere bei der im Laufe der Zeit angewachsenen Gruppe im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener Ausländer bedürfe es bei der Entscheidung über eine Ausweisung einer individuellen Würdigung, inwieweit der Ausländer im Bundesgebiet verwurzelt sei und dies angesichts der konkreten Ausweisungsgründe bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles einer Ausweisung entgegenstehe. Aber auch in anderen Fällen erweise sich der schematische Blick der Verwaltung auf die Ist- und Regelausweisung als wenig hilfreich, um das gesamte Spektrum betroffener Belange in den Blick nehmen zu können. Die Ermessensentscheidung als der dritte vom Gesetzgeber vorgesehene Entscheidungsmodus biete demgegenüber in der Verwaltungspraxis höhere Gewähr für eine Berücksichtigung aller Aspekte des jeweiligen Einzelfalles und die angemessene Gewichtung anlässlich der Entscheidung über den Erlass einer Ausweisung.

Hiervon ausgehend ist festzuhalten: Die Ausweisung des Klägers greift zum einen in sein durch Art. 2 I GG geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein, da ihm durch diese Maßnahme sein Aufenthaltsrecht entzogen wird und er infolgedessen zur Ausreise verpflichtet ist. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Eingriffs setzt seine Verhältnismäßigkeit voraus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007,1300 = InfAuslR2007,443). Zum anderen stellt die Ausweisung einen Eingriff in das durch Art. 8 I EMRK geschützte Recht des betroffenen Ausländers auf Privatleben dar (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 23.6.2008 – 1638/03 – (Maslov II), InfAuslR 2008, 333, und vom22.4.2004 – 42703/98 -, InfAuslR 2004, 374), der ebenfalls nur rechtmäßig ist, wenn er sich als verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 II EMRK darstellt. Die persönliche Entwicklung des Klägers nach seiner Verurteilung vom 16.6.2005, der seine Drogensucht energisch bekämpfte und sich für einen Neubeginn von seinem bisherigen Umfeld auch räumlich trennte, lässt vorliegend eine Einzelfallbeurteilung unter Würdigung sämtlicher Umstände geboten erscheinen. Liegt also ein Ausnahmefall vor, sind die Ausweisungsgründe mit dem Gewicht, das in dem gestuften System der Ausweisungstatbestände zum Ausdruck kommt, in die Ermessensentscheidung einzubeziehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10.07 -, BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116).

Der EGMR hat allgemeine Leitlinien (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 28.6.2007 – 31753/02 -, InfAuslR 2007, 325 m.w.N.) zur Bewertung entwickelt, ob die Ausweisung eines Ausländers in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht. Von diesen Kriterien sind – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der in Deutschland aufgewachsene Kläger unverheiratet ist und keine Kinder hat – vorliegend die folgenden anzuwenden:

- Art und Schwere der begangenen Straftaten

- Dauer des Aufenthalts im Gastland

- die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen in dieser Phase

- die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gastland und zum Bestimmungsland (vgl. EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II)).

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien des EGMR und unter Würdigung sämtlicher sich aus den Akten ergebender relevanter Umstände ist die Ausweisungsverfügung jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht – mehr - rechtmäßig. [...]

Vorliegend spricht alles dafür, dass der Kläger seine Drogenabhängigkeit überwunden und sich dauerhaft vom Drogenmilieu – also auch vom Drogenhandel - gelöst hat, dass somit von ihm aller Voraussicht nach künftig keine Drogendelikte mehr drohen.

Ausweislich des Urteils vom 16.6.2005 hatte der Kläger bereits ab Mitte 2004 seinen Drogenkonsum modifiziert und nur mehr Haschisch geraucht, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Schon das Aussageverhalten, die geleistete Aufklärungshilfe und die vollumfängliche geständige Einlassung des Klägers im Strafverfahren hatten deutlich gemacht, dass er einen "Schlussstrich" unter seine rund 8jährige "Drogenkarriere" ziehen wollte und seine Inhaftierung als – vielleicht letzte - Chance zu einem Neuanfang begriff. Er hat seinen Entschluss bisher soweit ersichtlich auch konsequent in die Tat umgesetzt. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme hat er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Nachdem der unverbüßte Rest seiner Strafe gemäß § 35 BtMG ausgesetzt worden war, hat er ab dem Tag seiner Entlassung aus der Haft seine Polytoxikomanie in den Klinken Daun behandeln lassen. Daran anschließend unterzog er sich ab dem 17.7.2006 im Adaptionshaus in A-Stadt einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Im Rahmen dieser Maßnahme leistete er bei seinem späteren Arbeitgeber in A-Stadt ab dem 31.7.2006 ein Berufspraktikum ab, das am 4.10.2006 zum Abschluss eines Berufsausbildungsvertrages im Ausbildungsberuf Bauten- und Objektbeschichter/ Schwerpunkt Maler und Lackierer führte. Am 20.6.2009 hat der Kläger die Abschlussprüfung vor der Handwerkskammer A-Stadt bestanden und wurde hieran anschließend bei seinem Ausbilder als Bauten-Maler eingestellt.

Der Kläger hat seine gegenüber dem Landgericht dargelegte Absicht, sich aus dem Drogenmilieu zu lösen, umgesetzt. Er hat zu diesem Zweck nicht nur seine Drogensucht bekämpft, sondern seiner glaubhaften und vom Beklagten nicht in Frage gestellten Darlegung nach auch seine Verbindungen zu seinem früheren Bekanntenkreis im saarländischen Drogenmilieu abgebrochen und sich dafür entschieden, auf Dauer im Bereich A-Stadt zu wohnen. Schließlich hat der Kläger, der bereits vor seiner Inhaftierung – trotz fehlendem Schul- und Ausbildungsabschluss – wirtschaftlich integriert war, seine beruflichen Chancen durch einen Berufsabschluss generell deutlich verbessert und – wie der von ihm mit Schriftsatz vom 12.1.2010 glaubhaft dargelegte "nahtlose" Übergang von der Lehre in eine anschließende Beschäftigung zeigt - den Weg – zurück – in das Erwerbsleben erfolgreich beschritten. Somit hat er seit seiner Entlassung aus der Haft am 17.1.2006 in nunmehr vier Jahren eine gute Grundlage für ein künftig straffreies Leben geschaffen. Für eine erneute Straffälligkeit gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

Die Anforderungen, die an das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr im Falle einer spezialpräventiv begründeten Ausweisung zu stellen sind, können nicht einheitlich festgelegt werden; der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit erneuter Verstöße gegen die Rechtsordnung differiert vielmehr nach der Schwere des Verstoßes nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Bei schweren Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung reicht ein geringerer Wahrscheinlichkeitsgrad aus, während bei leichteren Verfehlungen eine höhere Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist (Hailbronner, Ausländerrecht, A 1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 27). Entscheidend ist vielmehr, ob bei Anwendung praktischer Vernunft neue Verfehlungen nicht mehr in Rechnung zu stellen sind, das vom Ausländer ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes ist, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht (BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 B 61.84 -, InfAuslR 1985, 33). Trotz des vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vermuteten Zusammenhangs zwischen dem "Wohlverhalten" des Klägers und der ihm gewährten Strafaussetzung zur Bewährung, die im Falle einer erneuten Straffälligkeit widerrufen worden wäre, hält es der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände für gerechtfertigt, eine Wiederholungsgefahr im dargelegten Sinne im Falle des Klägers zu verneinen, da er nicht nur erneute Straftaten unterlassen, sondern alles ihm Mögliche unternommen hat, nachhaltig sich aus dem kriminellen Umwelt zu lösen, durch Absolvieren und erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung seine Wiedereingliederung in das Berufsleben zu fördern und neue soziale Kontakte am neuen Lebensmittelpunkt zu knüpfen. Auch die Begründung einer seit nunmehr zwei Jahren bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen belegt, dass er sein Leben neu geordnet und stabile Strukturen gefunden hat, die ihn bei seinem weiteren straffreien Leben unterstützen.

Soweit die Begründung des angefochtenen Bescheides auf Generalprävention abstellt, ist die Maßnahme zwar grundsätzlich zulässig, denn die Straftat wiegt schwer und deshalb besteht ein erhebliches Bedürfnis dafür, über eine etwaige Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Von einer abschreckenden Wirkung kann in Fällen schwerer Kriminalität selbst dann ausgegangen werden, wenn der Betroffene zeitweilig mit der Polizei zusammengearbeitet und damit zur Überführung anderer Straftäter beigetragen hat (BVerwG, Urteil vom 6.4.1989 – 1 C 70.86 -, InfAuslR 1989, 225 in Bezug auf illegalen Rauschgifthandel). Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers aber gleichwohl – nunmehr - unverhältnismäßig.

Zu sehen ist, dass der Kläger, der mit seiner Mutter im Alter von 7 Jahren ausweislich des angefochtenen Bescheids im Wege des Familiennachzugs ins Bundesgebiet zu seinem hier aufenthaltsberechtigten Vater eingereist war, sich im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung bereits seit 20 Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhielt. Die Zeiten seines rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland sind auch nicht mit Blick auf den besonderen Ausweisungsschutz des Klägers nach § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG als "verbraucht" anzusehen, denn diese Vorschrift setzt nur einen rechtmäßigen Aufenthalt des Niedergelassenen von mindestens fünf Jahren voraus. Der Kläger hielt sich jedoch bei Erlass der Ausweisungsverfügung allein seit 12 Jahren mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet auf, so dass der fünf Jahre ganz erheblich übersteigende rechtmäßige Aufenthalt ebenfalls zu berücksichtigen ist.

Die Familie des Klägers, die ihn während der Ausbildung finanziell unterstützt hat, lebt seit langem in Deutschland; sein Vater, der bereits seit mindestens 1974 in Deutschland arbeitete (Bl. 9 Verwaltungsunterlagen), ist mittlerweile in Rente und seine sämtlichen Geschwister besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit (Bl. 20 Gerichtsakte). Auch der Kläger hatte 2002 einen – wohl unbeschieden gebliebenen - Antrag auf Einbürgerung gestellt, der jedoch wegen seiner Straffälligkeit offensichtlich keinen Erfolg hatte. Der Kläger, der die Grundschule und danach die Gesamtschule bis zur 9. Klasse besucht hat und demzufolge sicherlich über gute deutsche Sprachkenntnisse verfügt, entstammt somit einer Familie, die nachhaltig in die deutsche Gesellschaft integriert ist. Dass er selbst sich in die deutschen Lebensverhältnisse unbedingt (re-) integrieren will bzw. integriert hat, hat er durch seinen Kampf gegen seine Drogensucht und seine konsequente Abkehr vom Drogenmilieu durch – auch – räumliche Entfernung zur Minderung der Rückfallgefahr (vgl. "Aufenthaltsbescheinigung" des Adaptionshauses Koblenz vom 10.8.2006, Bl. 47Gerichtsakte) sowie Stärkung seiner beruflichen Situation durch Beginn einer erneuten Berufsausbildung noch im Alter von 29 Jahren und Nachholung eines Berufsabschlusses eindrucksvoll gezeigt. Er hat somit die Chance, die ihm, mit dessen Abschiebung sich die Staatsanwaltschaft bereits unter dem 20.10.2005 zum 1.12.2005 einverstanden erklärt hatte, der deutsche Staat mit der – bereits im Urteil des Landgerichts in Aussicht gestellten – Aussetzung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG, der Behandlung seiner Polytoxikomanie sowie der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme gewährt und finanziert hat, zweckentsprechend genutzt.

Zu den familiären Beziehungen des Klägers geht aus den Akten hervor, dass er weiterhin auf den persönlichen Kontakt zur Familie angewiesen sei, die ihm jegliche Unterstützung biete (Schriftsatz vom 11.8.2008, Bl. 32 Gerichtsakte). Da der Kläger jedenfalls mit Beginn seiner Behandlung in den Kliniken Daun den Kontakt zu seinem – kriminellen – Bekanntenkreis im Saarland abgebrochen hat, ist zweifellos ein Großteil seiner – allerdings negativen - sozialen Beziehungen im Bundesgebiet zum Erliegen gekommen. Es ist insoweit nachvollziehbar, dass die familiären Beziehungen zu Eltern und Geschwistern in der bisher zweifellos schwierigen Zeit des Kampfes gegen die Drogen und für einen Berufsabschluss im Alter von um die 30 Jahre für den aus eigenem Entschluss von seiner bisherigen Umgebung isoliert lebenden Kläger große Bedeutung hatte und noch hat. Es ist ihm mittlerweile aber auch gelungen, in der neuen Umgebung – ab Juli 2006: A-Stadt - neue soziale Kontakte aufzubauen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei seine seit zwei Jahren bestehende nichteheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen.

Außerdem hat er nach Ausbildungsabschluss und vorübergehender Übernahme durch den Ausbildungsbetrieb, der ihn aber aus Auslastungsgründen nicht auf Dauer beschäftigen konnte, eine Anstellung bei einem Leiharbeitsunternehmen gefunden, die zu seiner Festeinstellung bei einem Betrieb geführt hat, für den er zuvor als Leiharbeiter tätig war. Es ist insofern besonders zu würdigen, dass er sich nach Ausbildungsende zielstrebig um eine Weiterbeschäftigung bemüht und eine Festeinstellung ohne jegliche zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit erreicht hat.

Den dargestellten starken Bindungen familiärer, persönlicher und wirtschaftlicher Natur in Deutschland stehen bezogen auf sein Heimatland nur seine algerische Staatsangehörigkeit, seine einen arabischen Dialekt beinhaltenden Sprachkenntnisse und eine Großmutter als dortige einzige Verwandte gegenüber.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine ordnungsgemäße Ermessensausübung durch die Ausländerbehörde, die in Ausweisungsfällen zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung verpflichtet ist (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45.06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156), unter Würdigung aller Aspekte des vorliegenden Einzelfalls und angemessener Gewichtung mit Blick auf Art. 8 I EMRK ermessensfehlerfrei nur zu dem Ergebnis führen kann, dass die Ausweisung des Klägers keinen Bestand haben kann. Zwar hat die Ausländerbehörde im angefochtenen Bescheid, in dem sie sich zu einer Ermessensausübung nicht berechtigt geglaubt, aber in der Sache gleichwohl hilfsweise u.a. familiäre Beziehungen, die Einreise des Klägers im Kindesalter sowie seinen langen rechtmäßigen Aufenthalt unter Verhältnismäßigkeitaspekten gewürdigt hat, zu Recht die Schwere der Straftaten des Klägers hervorgehoben und auf die - neben der beabsichtigten Spezialprävention - mit seiner Ausweisung bezweckte generalpräventive Wirkung in Bezug auf andere Ausländer, die von - insbesondere ähnlichen – Straftaten abgehalten werden sollen, abgestellt. Im nunmehr für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt sind jedoch auch die veränderten Umstände in die Abwägung einzubeziehen. Ausgehend von den 2004 begangenen schweren Straftaten hat sich in Verhalten und Persönlichkeit des Klägers – unmittelbar beginnend nach seiner Festnahme - eine grundlegende positive Entwicklung ergeben, die zum einen zu erfolgreicher Drogentherapie, Berufsabschluss und (Re-)Integration in die wirtschaftlichen Verhältnisse im Bundesgebiet und zum anderen zu einer Stabilisierung im persönlichen Bereich durch eine nunmehr bereits seit zwei Jahren bestehende nicht eheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen geführt haben. Diese Entwicklung lässt nicht nur eine Rückfallgefahr verneinen, sondern sie verdeutlicht insbesondere seine besondere – während seines langen rechtmäßigen Aufenthalts gewachsene - Bindung an Deutschland. Daher gebührt dem Interesse des Klägers, in Deutschland bleiben zu können und nicht den beträchtlichen Einschränkungen seines Rechts auf Privatleben ausgesetzt zu werden, nachdem er die mit der Strafvollstreckung, Suchtbehandlung und Rehabilitationsmaßnahme verbundenen Erwartungen des deutschen Staates voll erfüllt hat, Vorrang vor dem staatlichen Interesse an seiner Ausweisung aus insbesondere generalpräventiven Gründen, so dass das behördliche Ermessen sich dahingehend verdichtet, dass von einer Ausweisung abzusehen ist. Die angefochtene Entscheidung, an der der Beklagte, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigt hat, auch in Ansehung der dargelegten positiven Entwicklung der Lebensumstände des Klägers festhält, kann daher keinen Bestand (mehr) haben. [...]