OVG Berlin-Brandenburg

Merkliste
Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.05.2010 - 2 S 100.09 - asyl.net: M17283
https://www.asyl.net/rsdb/M17283
Leitsatz:

Keine Verlängerung der eheunabhängigen Aufenthaltserlaubnis (§ 31 Abs. 4 S. 2 AufenthG) wegen fehlender Sicherung des Lebensunterhalts.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, vorläufiger Rechtsschutz, Suspensiveffekt, Sicherung des Lebensunterhalts, Unterhaltsanspruch, Verpflichtungserklärung, Pfändungsfreigrenze, atypischer Ausnahmefall, Verlobung
Normen: AufenthG § 31 Abs. 4 S. 2, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, AufenthG § 2 Abs. 3, AufenthG § 68, ZPO § 850c, AufenthG § 31 Abs. 1 Nr. 1
Auszüge:

[...]

Der angegriffene sofort vollziehbare Bescheid, mit dem der Antragsgegner den Antrag auf Verlängerung der der Antragstellerin erstmals am 26. Juni 2008 für ein Jahr erteilten eheunabhängigen Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG abgelehnt und ihr die Abschiebung angedroht hat, ist bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung nicht zu beanstanden.

Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts fehlt es bereits an der für die begehrte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erforderlichen Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG (vgl. hierzu u.a. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Februar 2006 - OVG 11 S 13.06 -, InfAuslR 2006, 277). Dass die - unstreitig nicht erwerbstätige - Antragstellerin ausweislich der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Bescheinigung des Job-Center vom 18. August 2009 keine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (Arbeitslosengeld II) bezieht, steht dem nicht entgegen, weil der Lebensunterhalt nicht gesichert ist, wenn ein Anspruch auf (aufstockende) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. August 2008 - 1 C 32.07 -, BVerwGE 131, 370). Der Einwand, die Antragstellerin wohne mit ihrem Verlobten, Herrn R.S., seit August 2009 in einer Haushalts- und Bedarfsgemeinschaft, so dass ein Leistungsbezug nicht in Betracht komme, greift bereits nicht durch, da es sich bei diesem Vorbringen um eine in keiner Weise glaubhaft gemachte Behauptung handelt.

Die im erstinstanzlichen Verfahren eingereichte Verpflichtungserklärung des Herrn R.S. vom 4. September 2009 gegenüber dem Antragsgegner rechtfertigt ebenfalls keine andere Beurteilung. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin handelt es sich hierbei nicht um eine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites bzw. Zwölftes Buch vorgehende, ihr gegenüber bestehende Leistungspflicht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. November 1993 - 6 S 2371/93 -, InfAuslR 1994, 109; Bayerischer VGH, Beschluss vom 23. Februar 1994 – 12 CE 94.101 -, InfAuslR 1996, 23, jeweils zu § 84 AuslG 1990). Auch macht der Antragsgegner zu Recht geltend, dass der Verpflichtende nicht über ausreichende Mittel verfügt.

Erklärt ein gegenüber dem Ausländer nicht zum Unterhalt verpflichteter Dritter, dass er für den Lebensunterhalt des Ausländers im Bundesgebiet aufkommen werde (§ 68 AufenthG), so setzt dies voraus, dass der Erklärende in wirtschaftlicher Hinsicht leistungsfähig ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. April 2009 - 3 B 8.07 -, juris). Bezieht der Erklärende ein Arbeitseinkommen, so dient als Anhaltspunkt für seine Leistungsfähigkeit - jedenfalls bei dem hier begehrten Daueraufenthalt - die Pfändungsfreigrenze des § 850 c ZPO (vgl. für eine Verpflichtungsdauer von fünf Jahren OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. September 2009 - 12 M 47.09 -, juris, m.w.N.). Ein Rückgriff auf die Pfändungsfreigrenze ist sachgerecht, weil durch die Verpflichtungserklärung gemäß § 68 AufenthG keine unmittelbaren Ansprüche des Ausländers gegen den Verpflichteten begründet werden, so dass die öffentliche Mittel (vor-)leistende Behörde gehalten ist, einen auf § 68 AufenthG gestützten Erstattungsanspruch gegenüber dem Verpflichtungsgeber geltend zu machen. Verweigert dieser die Zahlung und kommt es zur Vollstreckung nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz (§ 68 Abs. 2 Satz 2 AufenthG), so kann sein Arbeitseinkommen nur in dem gesetzlich zulässigen Maße gepfändet werden (§ 5 Abs. 1 VwVG, § 319 AO, § 850 c ZPO bzw. die entsprechenden Vorschriften in den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen der Länder, s. dazu Engelhardt/App, VwVG, 8. Aufl., § 5 Rn. 6 ff.). Nach alledem kann die Bonitätsprüfung des Verpflichtungsgebers nur dann zu seinen Gunsten ausgehen, wenn er über pfändungsfreies Einkommen in ausreichender Höhe verfügt (vgl. zum Vorstehenden OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. September 2009 - 12 M 47.09 -, a.a.O.). Gegenteiliges lässt sich auch den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Bundesministeriums des Innern zum AufenthG vom 26. Oktober 2009 nicht entnehmen. Diese weisen unter Ziffer 68.2.2 ebenfalls darauf hin, dass Forderungen aus Verpflichtungserklärungen nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes vollstreckbar sind mit der Folge, dass - wie oben dargestellt – die Pfändungsgrenzen zu beachten sind. Soweit die Beschwerde eine "sklavische" Prüfung der Leistungsfähigkeit anhand der Pfändungstabelle moniert und sich zur Begründung auf die genannten Allgemeinen Verwaltungsvorschriften beruft, handelt es sich bei den von ihr in Bezug genommenen Textstellen um weitere bzw. zusätzliche Anforderungen an die Bonitätsprüfung, die sich teilweise auf besondere - hier nicht gegebene - Fallgestaltungen beziehen.

Vorliegend fehlt es an pfändungsfreien Bezügen in ausreichender Höhe. Zutreffend weist der Antragsgegner darauf hin, dass bei der Ermittlung des pfändbaren Einkommens vorliegend zunächst die unpfändbaren Gehaltsbestandteile i.S.v. § 850 a ZPO zu berücksichtigen sind, da aus den von der Antragstellerin eingereichten Gehaltsbescheinigungen des Herrn R.S. hervorgeht, dass er Aufwandsentschädigungen, Auslösungsgelder und sonstige soziale Zulagen für auswärtige Beschäftigungen i.S.v. § 850 a Nr. 3 ZPO bezieht. Wegen der erheblichen monatlichen Einkommensschwankungen, die ausweislich der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Bescheinigungen für April 2009 sowie für die Monate Juni bis November 2009 bis zu 1.200,00 Euro betragen, ist der Berechnung ein durchschnittlicher Nettoverdienst in Höhe von 1.502,04 Euro zugrunde zu legen. Dabei hat der Senat gemäß § 850 a Nr. 3 ZPO lediglich die mit "Auslösung steuerfrei" und "Fahrtkosten steuerfrei" bezeichneten Beträge von dem ausgewiesenen Nettolohn abgezogen, ohne die Abzugsfähigkeit etwaiger weiterer in Betracht kommender Positionen zu prüfen. Bei Beachtung der in § 850 c ZPO i.V.m. der Bekanntmachung zu § 850 c ZPO vom 22. Januar 2007 (BGBl I S. 64) festgelegten Pfändungsgrenzen verbleibt danach selbst ohne Berücksichtigung einer etwaigen Unterhaltspflicht des Herrn R.S. gegenüber seiner - ggf. zwischenzeitlich geschiedenen - Ehefrau ein pfändbarer Betrag in Höhe von 360,40 Euro, der zwar knapp über dem Regelbedarf der Antragstellerin liegt, aber nicht einmal ausreicht, die laut eingereichter Bescheinigung der Barmer Ersatzkasse anfallenden Kranken- und Pflegeversicherungskosten von 210,79 Euro sowie Mietkosten zu decken. Dass Herr R.S. - wie behauptet - keine Unterhaltszahlungen zu leisten hat, ist bisher nicht in der gebotenen Form glaubhaft gemacht, so dass sich der pfändbare Betrag bei Berücksichtigung einer unterhaltsberechtigten Person auf 72,05 Euro reduzieren würde. Bei dieser Sachlage kommt es auf die unzureichende Form der Verpflichtungserklärung nicht an. [...]