VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 18.03.2010 - 29 K 20.10 - asyl.net: M17291
https://www.asyl.net/rsdb/M17291
Leitsatz:

Die Ermessensentscheidung in Hinblick auf Art. 8 EMRK wegen Verwirklichung eines Regel-Ausweisungsgrundes durch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, ist fehlerfrei.

Schlagwörter: Drogendelikt, Straftat, minderjährig, Jugendstrafe, Ausweisungsgrund, Ausweisung, Achtung des Privatlebens, Ermessen, Ermessensausweisung,
Normen: AufenthG § 54 Nr. 3, AufenthG § 56 Abs. 4, EMRK Art. 8,
Auszüge:

[...]

Die Klage, über die gem. § 6 VwGO der Vorsitzende als Einzelrichter entscheiden konnte, ist unbegründet. Der Bescheid des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 16. Juni 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Er ist in der Gestalt, die er im Termin gefunden hat, auch nicht ermessensfehlerhaft (§ 114 Satz 2 VwGO).

Der angefochtene Bescheid findet seine Rechtsgrundlage in § 54 Nr. 3 und 56 Abs. 4 AufenthG. Danach wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes zuwider ohne Erlaubnis Betäubungsmittel veräußert, an einen anderen abgibt oder in sonstiger Weise in Verkehr bringt oder mit ihnen handelt. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Kläger erfüllt aufgrund seiner Verurteilung durch das Amtsgericht Tiergarten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln den Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 3 AufenthG. Dieser erfordert nicht etwa eine mehrfache Begehung, sondern ist bereits erfüllt, wenn ein einfacher Verstoß vorliegt. Auch ist nicht etwa wie der der systematische Vergleich mit Nr. 1 der Vorschrift erkennen lässt, eine bestimmte Strafhöhe erforderlich. Vielmehr knüpft das Gesetz allein an die Verwirklichung des Tatbestandes an. Besondere Umstände, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigen können, sind nicht erkennbar; wie ausgeführt können sie nicht allein aus der einmaligen Begehung und dem Strafmaß hergeleitet werden (Discher in: GK Ausländerrecht, Ergänzungslieferung vom 16. Januar 2007, § 54 AufenthG, Rn. 68 und 81). Sie resultieren auch nicht aus der Situation des Klägers als aus Afrika stammender Flüchtling, der mit der gesetzgeberischen Ächtung des Handels mit Haschisch in Deutschland möglicherweise nicht vertraut ist bzw. diese nicht für sich als gültig anerkennt.

Auch der Anforderung des § 56 Abs. 4 AufenthG, wonach ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, nur unter der Bedingung ausgewiesen werden kann, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG abgeschlossen wird, wird der angefochtene Bescheid gerecht.

Allerdings liegt hier ein Ausnahmefall vor, weil die Ausweisung des Klägers dessen Recht auf Achtung des Privatlebens gemäß Art. 8 Abs.1 EMRK berührt. Wesentliches Ziel der Vorschrift ist der Schutz des Einzelnen vor willkürlicher Einmischung der öffentlichen Gewalt in das Privat- und Familienleben (OVG Lüneburg, Beschluss vom 5. September 2008 - 10 LA 17.07 - zitiert nach Juris). Der Kläger ist im Alter von 14 Jahren aus Guinea kommend in die Bundesrepublik eingereist und erhält hier Jugendhilfe. Sein Aufenthalt währt mittlerweile fast zwei Jahre. Damit ist der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK berührt und ein von der gesetzlichen Regel abweichender Ausnahmefall gegeben, so das eine umfassende Ermessensentscheidung erforderlich ist, bei der eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Falles erforderlich ist, wobei aber die Entscheidung über die Ausweisung nicht negativ präjudiziert ist (BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2007 – 1 C 10.07 - Rn. 24ff. - zitiert nach Juris). Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK sind Eingriffe in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienleben statthaft, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft u.a. für die öffentliche Ordnung, die Verteidigung der Ordnung oder zur Verhinderung strafbarer Handlungen notwendig ist, d.h. einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht und in Bezug auf das rechtmäßig verfolgten Ziel verhältnismäßig ist (OVG Lüneburg a.a.O. m.w. Nachw.).

Die Ausweisung des Klägers ist gesetzlich vorgesehen und in Bezug auf das vom Beklagten im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (BVerwG, Urteil vom 13. Januar 2009 – 1 C 2.08 - Rn. 12 des amtlichen Abdrucks) verfolgte Ziel, andere Ausländer von Rechtsverstößen der genannten Art abzuschrecken und zur Einhaltung der Rechtsnormen anzuhalten, verhältnismäßig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Gericht nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens des Beklagten setzen kann, sondern nur prüfen kann, ob Ermessensfehler vorliegen und ob insbesondere die gesetzliche Ermessensgrenze des Art. 8 EMRK eingehalten ist (§ 114 Satz 1 VwGO). Ermessensfehler sind jedoch nicht ersichtlich. Der Beklagte hat insbesondere das erwähnte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK folgende Recht auf Achtung des Privatlebens ausreichend berücksichtigt. [...]