VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 09.07.2010 - 18 L 1110/10.A - asyl.net: M17297
https://www.asyl.net/rsdb/M17297
Leitsatz:

Erfolgreiche Gehörsrüge, da das BAMF das individuelle Vorbringen im Folgeverfahren nicht berücksichtigt und das Gericht insoweit lediglich auf den BAMF-Bescheid verwiesen hat.

Keine Änderung der allgemeinen politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen in Afghanistan seit Mai 2008, die Voraussetzungen für ein Asylfolgeverfahren sind daher nicht erfüllt.

Schlagwörter: vorläufiger Rechtsschutz, Asylfolgeantrag, Asylverfahren, Afghanistan, rechtliches Gehör, Gehörsrüge, Änderung der Sachlage, Glaubhaftmachung, Glaubwürdigkeit
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 5 S. 2
Auszüge:

[...]

II.

Die mit Schreiben vom 25. Juni 2010 fristgerecht erhobene Gehörsrüge gegen den Beschluss der Einzelrichterin der Kammer vom 10. Juni 2010 ist statthaft und hat Erfolg.

Der Beschluss vom 10. Juni 2010 verweist den Antragsteller auf den angefochtenen Bescheid vom 4. März 2010. Der angefochtene Bescheid verhält sich ausweislich seiner Gründe allein zum Vortrag des Antragstellers hinsichtlich der behaupteten Veränderungen der allgemeinen Lage in Afghanistan und des dort angeblich fehlenden Existenzminimums. Auf das individuelle Vorbringen des Antragstellers, der mit dem Folgeantrag auch durch Vorlage zweier Schreiben aus der Heimat und ein privates "Glaubwürdigkeitsgutachten" die im Urteil erster Instanz verneinte Glaubhaftigkeit seines individuellen Vorbringens herzustellen sucht, geht der angefochtene Bescheid nicht ein. Dieser Sachverhalt wird im "Tatbestand" des Bescheides nicht wiedergegeben. Die Passage auf Seite 2 im vorletzten Absatz des angefochtenen Bescheides "Grundsätzlich nicht ausreichend..." kann, wenn nicht sogar muss im Kontext mit dem nachfolgenden Satz so verstanden werden, dass damit allein die vom Antragsteller vorgenommene andere Beurteilung der Lage im Heimatland gemeint ist. Es drängt sich auf, dass das individuelle Vorbringen des Antragstellers vom Bundesamt unbeachtet geblieben ist.

Da auch dem Beschluss vom 10. Juni 2010, der auf den angefochtenen Bescheid verweist, kein Wort zum individuellen Vorbringen des Antragstellers zu entnehmen ist, liegt eine Gehörsverletzung nahe und war bei den hier nicht auszuräumenden Zweifel der angefochtene Beschluss aufzuheben und mithin über den Antrag des Antragstellers erneut zur Sache zu entscheiden,

II.

Der Sachantrag des Antragstellers vom 19. März 2010 hat keinen Erfolg.

Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Eine derartige Anordnung setzt voraus, dass ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) besteht und sich der Antragsteller auf einen Anordnungsanspruch berufen kann. Das Vorliegen beider Voraussetzungen ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO). Da die Ausländerbehörde bereits die Abschiebung betreibt, ist ein Anordnungsgrund gegeben. [...]

Das Bundesamt hat im Ergebnis rechtsfehlerfrei die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt, weil die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - nicht vorliegen (§ 71 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylVfG). [...]

Diese Beachtlichkeitsvoraussetzungen sind betreffend die behauptete Änderung der allgemeinen politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen im Herkunftsstaat Lage nicht gegeben. Diesbezüglich wird entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamtes vom 04.03.2010 und auf das vorangegangene Urteil vom 21.05.2008 Bezug genommen (18 K 1781/07.A, S. 5, 6 und 7 des amtl. Abdrucks).

Hinsichtlich der vom Antragsteller mit dem Anwaltsschreiben vorm 29. Dezember 2008 vorgelegten schriftlichen Zeugenaussagen, mit denen im Kern eine die das persönliche Schicksal des Asylbewerbers bestimmenden Umstände eingetretene Veränderung vorgetragen wird, fehlt es an der nach § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG gebotenen Darlegung, wann der Antragsteller Kenntnis von den Dokumenten erlangt hat und gegebenenfalls warum er sie nicht früher vorgelegt hat, obwohl er hierzu Veranlassung hatte. Darüber hinaus ist dem Antragsteller seit dem ersten Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. April 2007 bekannt, dass man seinen Vortrag für unglaubwürdig hält. Er hatte schon vor der mündlichen Verhandlung Anlass, sich um geeignete Mittel zur Glaubhaftmachung zu bemühen. Es kann daher dahin stehen, dass ein Dokument von einer dem Antragsteller nahestehenden Personen stammt und beide Dokumente in der erkennbaren Absicht verfasst worden sind, den weiteren Aufenthalt des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland zu unterstützen.

Das "Glaubwürdigkeitsgutachten" des Dr. Bernt Glatzer ist unergiebig und nicht geeignet, ein weiteres Verfahren zu veranlassen. Die Feststellungen im Urteil des ersten Verfahrens betreffend den Mangel der Glaubhaftigkeit des Vortrages des Antragstellers beruhen auf dem unmittelbaren Eindruck des erkennenden Richters vom Antragsteller aus dessen umfangreicher Anhörung in der mündlichen Verhandlung. Dieser unmittelbare Eindruck, der im Urteil schlüssig wiedergegeben wird, kann von einem Dritten, der der mündlichen Verhandlung nicht beigewohnt hat, auch bei anzunehmender erheblicher Kenntnisse über die allgemeinen Verhältnisse im Heimatland im Ansatz nicht erschüttert werden, zumal auch Dr. Glatzer Schwächen im Vortrag des Antragstellers sieht ("Nickerchen" im Park). Insoweit erachtet die Kammer es vom Ansatz her als ungeeignet, in Ansehung dieser vom Gutachter selbst erkannten Zweifel und des Mangels eines persönlichen Eindrucks allein aus der Wiedergabe der Ausführungen im Urteil auf die Glaubhaftigkeit der Einlassungen des Antragstellers schließen zu wollen. Im Übrigen nehmen die Erläuterungen des Gutachters zu den unterschiedlichen in Afghanistan verwendeten Kalendern den Feststellungen des Richters zu den abweichenden Angaben des Antragstellers nicht das Gewicht, weil zwanglos davon auszugehen ist, dass der Antragsteller im Umgang mit Bundesamt und Gerichten immer denselben Kalender verwendet.

Die Kammer kann diese Feststellungen treffen, auch wenn das Bundesamt aus den Erwägungen zu Ziffer 1. insoweit wahrscheinlich noch keine eigene Entscheidung getroffen hat. Über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ist eine gebundene Entscheidung zu treffen; Ermessen ist dem Bundesamt nicht eingeräumt.

Soweit der Antragsteller - sinngemäß - zur weiteren Begründung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes und der deshalb erforderlichen Rücknahme der Mitteilung gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG darauf abstellt, dass auch die Entscheidung zu § 60 Abs. 7 AufenthG rechtswidrig sei, wird auf die Ausführungen im vorangegangenen Urteil vom 21.05.2008 Bezug genommen (18 K 1781/07.A). An den darin enthaltenen Entscheidungsgründen hat sich inhaltlich nichts Wesentliches geändert (§ 117 Abs. 5 VwGO). Weiter verweist das Gericht auch in Ansehung des Vortrags des Antragstellers, der insoweit auf jüngere Entscheidung hinweist, auf die Rechtsprechung des OVG NRW (Urteile vom 19.06.2008, 20 A 4676/06.A und 20 A 2375/07.A) und ferner auf die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Juni 2010 (Aktenzeichen 10 C 9.10 und 10.10).

Der Antragsteller hat somit keinen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens, so dass auch keine Veranlassung besteht, die Antragsgegnerin zum Widerruf bzw. zur Rücknahme der Mitteilung gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG zu verpflichten. [...]