VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 11.05.2010 - 10 A 2658/06.A - asyl.net: M17329
https://www.asyl.net/rsdb/M17329
Leitsatz:

1. Wendet sich der Bundesbeauftragte im Wege der Beanstandungsklage gegen die Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes nach § 51 Abs. 1 AuslG (heute: § 60 Abs. 1 AufenthG), so ist die Entscheidung über nachrangigen Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG (heute: § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG), über den im Bundesamtsbescheid keine Entscheidung getroffen wurde, nicht Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Auch im Fall des Erfolges der Beanstandungsklage wird der nachrangige Abschiebungsschutz nicht Gegenstand des Klageverfahrens. Über die Gewährung subsidiären Abschiebungsschutzes hat das Bundesamt nach Abschluss dieses Klageverfahrens zu befinden, gegen dessen neue Entscheidung gegebenenfalls erneut um Rechtsschutz nachgesucht werden kann.

2. Ein Asylbewerber, der einen nach seiner Ausreise aus dem Heimatstaat eingetretenen neuen Verfolgungsgrund geltend macht, der in keinem Zusammenhang mit einer etwaigen, vor seiner Ausreise erlittenen Verfolgung steht, wird hinsichtlich des anzuwendenden Verfolgungsmaßstabs einem unverfolgt ausgereisten Asylbewerber gleichgestellt.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Bundesbeauftragter für Asylangelegenheiten, Abschiebungsverbot, subsidiärer Schutz, Nachfluchtgründe, Irak, Schiiten, Sunniten, Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Sadriyun, Muqtada al-Sadr, Mahdi-Miliz, gemischt-konfessionelle Ehe, Mischehe, gemischt-konfessionelle Partner, gemischt-konfessionelle Familie,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 2-5, AufenthG § 60 Abs. 7,
Auszüge:

[...]

I. Der Beigeladene hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798) sowie § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in der Neufassung des Aufenthaltsgesetzes auf Grund des Art. 8 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 1162). Seit dem 1. Januar 2005 ist § 60 Abs. 1 AufenthG gem. Art 15 Abs. 3 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthaltes und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004 an die Stelle des § 51 Abs. 1 AuslG getreten. [...]

Davon ausgehend kann dahin stehen, ob der Beigeladene den Irak in Bezug auf das Saddam-Regime vorverfolgt verlassen hat, d.h., ob der Beigeladene insofern glaubhaft vorgetragen hat, denn er ist vor asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen durch diese Machthaber bei einer Rückkehr in den Irak heute jedenfalls hinreichend sicher; damit sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass er bei einer Rückkehr in den Irak derzeit und in absehbarere Zukunft tatsächlich erneut von solcher Verfolgung bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 QRL). Insoweit lässt der Senat dahinstehen, ob und inwieweit mit Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie ein anderer als der bislang von der deutschen Rechtsprechung verwandte Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzuwenden ist, denn mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist jedenfalls davon auszugehen, dass nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG der nunmehr gem. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 QRL zu berücksichtigenden Beweiserleichterung in Form der widerlegbaren Vermutung einer fortdauernden Verfolgungsgefahr durch die Zugrundelegung der bisher von der Rechtsprechung entwickelten Prognosemaßstäbe Genüge getan ist. Demzufolge ist der allgemeine Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden, wenn der Betroffene sein Heimatland unverfolgt verlassen hat, während bei einer Rückkehr in den Heimatstaat nach bereits erlittener Verfolgung ein Wiederaufleben der ursprünglichen oder einer gleichartigen Verfolgung mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen sein muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2009, - 10 B 45/08 -, juris; BVerwG, EuGH-Vorlage vom 7. Februar 2008, - 10 C 33/07 -, juris, Rdnrn. 37 f.; BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2006, - 1 C 15/05 - , juris, Rdnr. 26; ebenso VGH München, Urteil vom 12. Januar 2009, - 11 B 06.30900 - , juris, Rdnr. 21; Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Stand: Okt. 2008, § 60 Rdnr. 31 f.; Treiber, in GK-AufenthG, Stand: Februar 2009, § 60 Rdnr. 119 f.).

Darüber hinaus droht dem Beigeladenen auch auf Grund sonstiger Ereignisse, die eingetreten sind, nachdem er sein Heimatland verlassen hat (§ 28 Abs. 1 a AsylVfG), weder seitens des jetzigen Regimes noch anderer nichtstaatlicher Akteure mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.

1. Der Beigeladene ist vor politischer Verfolgung durch das ehemalige Saddam-Regime hinreichend sicher. [...]

2. Seitens der heutigen irakischen Regierung oder sonstiger nichtstaatlicher Akteure hat der Beigeladene im Falle seiner Rückkehr in den Irak asylerhebliche Verfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG derzeit und in absehbarer Zukunft nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten.

Insoweit kommt der Verfolgungsmaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit unabhängig davon zur Anwendung, ob der Kläger den Irak im Jahre 2001 vorverfolgt verlassen hat, da eine etwaige Verfolgung durch die derzeitige Regierung infolge der grundlegenden Veränderungen der politischen Verhältnisse nicht die hierfür erforderliche Verknüpfung zur Vorverfolgung durch das Saddam-Regime aufweisen würde. Voraussetzung für die Anwendung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes der hinreichenden Verfolgungssicherheit ist ein innerer Zusammenhang zwischen den Umständen, vor denen der Flüchtling geflohen ist, und denen, auf Grund derer ihm nunmehr im Falle einer Rückkehr erneut Verfolgung drohen soll. Die Furcht eines Flüchtlings kann dementsprechend dann nicht länger als begründet angesehen werden, wenn sich die Verhältnisse in seinem Heimatland nachträglich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass eine Wiederholung der die Flucht auslösenden Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und im Falle der Rückkehr dem Flüchtling auch nicht aus anderen Gründen eine gänzlich neue oder andersartige Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Denn sind die Umstände entfallen, auf Grund derer die Verfolgung erfolgte, so vermag der Umstand, dass nunmehr neue, andersartige Verfolgungsgefahren geltend gemacht werden, die unmittelbar drohende Gefahr erneuter Verfolgung nicht zu indizieren (BVerwG, 7. Februar 2008, a.a.O., Rdnrn. 36 und 41; Urteil vom 12. Juni 2007, - 10 C 24/07, juris, Rdnr. 25; Hailbronner a.a.O. Rdnr. 34). Ein Asylbewerber, der einen nach seiner Ausreise aus dem Heimatstaat eingetretenen neuen Verfolgungsgrund geltend macht, der in keinem Zusammenhang mit etwaiger, vor seiner Ausreise erlittener Verfolgung steht, wird demzufolge hinsichtlich des anzuwendenden Verfolgungsmaßstabs einem unverfolgt ausgereisten Asylbewerber gleichgestellt (so auch EuGH, Urteil vom 2. März 2010, - C- 175/08 -, juris, Rdnrn. 88 f.). So liegen die Dinge hier, so dass es darauf ankommt, ob der Beigeladene bei Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen zu erwarten hat. Das ist nicht der Fall.

a) Anhaltspunkte dafür, dass der Beigeladene Verfolgungsmaßnahmen i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG durch das jetzige Regime mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat, sind nicht ersichtlich und von ihm auch nicht vorgetragen worden.

Das gilt auch hinsichtlich der von ihm behaupteten Gefährdung wegen des langen Auslandsaufenthalts. Insoweit hat das Auswärtige Amt in seinen Auskünften vom 20. Mai 2008 und 20. Januar 2010 im vorliegenden Verfahren (Bl. 282 und 475 d. GA) mitgeteilt, es sei unwahrscheinlich, dass der Beigeladene deswegen mit Haft zu rechnen habe; er laufe allerdings Gefahr, Entführungsopfer zum Zwecke der Lösegelderpressung durch kriminelle Elemente zu werden. Da eine solche Verfolgung jedoch nicht in Anknüpfung an eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten asylrelevanten Merkmale erfolgen würde, sondern schlicht kriminelles Unrecht wäre, kommt insoweit die Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

b) Dem Beigeladenen droht darüber hinaus - entgegen seiner Auffassung - im Falle seiner Rückkehr in den Irak auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch die Sadriyun (Miliz des Muqtada al-Sadr). Insoweit lässt der Senat dahingestellt, ob die Ausführungen des Beigeladenen hinsichtlich der von ihm für diese Gruppe in den Jahren 1991 bis 1999 geleisteten Unterstützungshandlungen sowie seine Angaben zu den Aufenthaltszeiten bei verschiedenen Verwandten während der Zeit seines Untertauchens zwischen Februar 1999 und der Ausreise im März 2001 als glaubhaft anzusehen sind. [...] Hinzu kommt, dass auch die Organisation des Muqtada al-Sadr nach den Operationen der Regierung im Frühjahr 2008 - bis auf sog. "special groups", die sich der Kontrolle al-Sadrs entziehen -, ihre Strategie geändert hat. Al-Sadr beschloss, der politischen Teilhabe Priorität einzuräumen und seine Milizen nicht weiter einzusetzen. Bei den Parlamentswahlen am 7. März 2010 hat seine Gruppierung überraschend stark abgeschnitten und al-Sadr angekündigt, sich stärker politisch zu engagieren und weitgehend auf Gewalt zu verzichten (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11. April 2010, Seiten 8, 10 und 12). Von der Gruppierung selbst sind daher Gewaltmaßnahmen derzeit nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten und selbst wenn einige der genannten "special groups" es ablehnen, sich dieser neuen Strategie al-Sadrs anzuschließen, lässt sich daraus angesichts der untergeordneten Rolle des Beigeladenen eine beachtlich wahrscheinliche Gefährdung seiner Person nicht herleiten.

c) Soweit der Beigeladene zudem geltend macht, die Sadriyun hätten in der früheren Saddam-Stadt - jetzt Sadr-City - ein eigenes Herrschaftsgebiet errichtet und er müsse im Gebiet der Sadriyun auf Grund seiner ihm wegen seiner Flucht, seines Auslandsaufenthalts sowie seiner Ehe mit einer Marokkanerin unterstellten Haltung mindestens mit Haft für unbestimmte Zeit rechnen, kann er auch daraus keinen Anspruch auf Zuerkennung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG herleiten.

aa) Eine individuelle, d.h. gezielte Verfolgung gerade des Beigeladenen scheidet insoweit - wie bereits dargelegt - angesichts der lange zurückliegenden angeblichen Unterstützungshandlungen und der untergeordneten Stellung des Beigeladenen aus.

bb) Zwar kann die Gefahr eigener Verfolgung sich für einen Ausländer nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichtete Maßnahmen, wenn diese wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung). Voraussetzung für eine derartige Verfolgung ist jedoch, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal treffen und die Verfolgungshandlungen im Verfolgungszeitraum und -gebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder abzielen. Es muss eine so große Zahl an Einzelhandlungen feststellbar sein, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt insoweit eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt (BVerwG, Urteil vom 21. April 2009, 10 C 11.08 -, juris, Rdnr. 13; BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2006, a.a.O., Rdnr. 20).

Eine diesen Anforderungen entsprechende Gruppenverfolgung ist hinsichtlich des Beigeladenen nicht festzustellen. Insoweit mag dahinstehen, ob eine solche Verfolgung angesichts der vom Beigeladenen als Ausgangspunkt für die von ihm befürchteten Maßnahmen genannten Umstände - die gemischt-konfessionelle Ehe mit einer Ausländerin, der lange Auslandsaufenthalt sowie die Erkrankung des Beigeladenen - überhaupt in Anknüpfung an eines der asylrelevanten Merkmale Religion, soziale Gruppe oder politische Überzeugung erfolgen würde, denn jedenfalls ist eine derartige Verfolgung mangels der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen Verfolgungsdichte nicht beachtlich wahrscheinlich.

(1) Insoweit können die Verhältnisse im Bagdader Stadtteil Sadr-City außer Betracht bleiben, weil sie, selbst wenn man insoweit die Angaben des Beigeladenen zugrunde legt (vgl. die dazu vom Senat eingeholten Auskünfte: Auswärtiges Amt vom 20. Mai 2008, Seite 1 und 20. Januar 2010, Seite 2; UNHCR vom 16. September 2009, Seite 6; amnesty international vom 12. Februar 2010, Seite 4), für das vorliegende Verfahren ohne Belang sind. Denn für die Frage, ob ihm eine Rückkehr in seine Heimat zuzumuten ist, ist zunächst auf den Ort bzw. die Region abzustellen, aus der er stammt bzw. in der er zuletzt gelebt hat. Nach eigenen Angaben kommt der Beigeladene jedoch nicht aus Bagdad, sondern aus Najaf und hatte - wie er dem Senat auf ausdrückliche Nachfrage des UNHCR mitgeteilt hat - auch keine nähere Beziehung zu Bagdad und dem Stadtteil Sadr-City; insbesondere hat er dort auch nicht längere Zeit gewohnt.

(2) Für Najaf lässt sich eine den oben genannten Anforderungen entsprechende Gruppenverfolgung durch die Sadriyun jedoch nicht feststellen. Zwar war es den Mahdi-Milizen bis August 2004, als al-Sadr einen landesweiten umfassenden Waffenstillstand ausrief und seine Beteiligung am politischen Prozess im Irak ankündigte, gelungen, ihr Einflussgebiet auszudehnen, so dass sie in der Folgezeit zumindest de-facto die Kontrolle über weite Teile einiger Städte - u.a. auch Najafs - ausübten. Im März 2008 kam es jedoch erneut zu heftigen Gefechten zwischen den Mahdi-Milizen und US-Truppen, die im Mai 2008 in einem Waffenstillstand endeten, der anhält. In der Folgezeit zogen sich die Mahdi-Milizen - durch die wochenlangen Kampfhandlungen in Bagdad und Najaf stark geschwächt - aus den Gebieten der größeren Städte zurück. Berichten zufolge sollen sich Teile in den Iran abgesetzt haben, während einzelne Gruppierungen nach wie vor aktiv sein sollen (UNHCR, a.a.O., Seite 4/5; vgl. auch die Ausführungen des Auswärtigen Amtes im Lagebericht vom 11. April 2010 zu den sog. "special groups", Seite 12). Najaf ist mit ca. 500.000 Einwohnern (Stand Januar 2007) die siebtgrößte Stadt des Irak (Wikipedia, Liste der Städte im Irak, Recherche vom 08. Januar 2010), so dass die Mahdi-Miliz sich auch dort zurückgezogen haben dürfte. Davon ausgehend lassen sich den dem Senat vorliegenden Auskünften keine Anhaltspunkte für die Annahme entnehmen, dass gemischt-konfessionellen Ehepaaren durch die Sadriyun/Mahdi-Miliz in Najaf, dem Herkunftsort des Beigeladenen, Verfolgungsmaßnahmen in einem Ausmaß drohen, das die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte erreicht. Auch die Ausführungen des Beigeladenen enthalten keine dahingehenden substantiierten Darlegungen und in der mündlichen Verhandlung hat er dazu ebenfalls keine weiteren Ausführungen gemacht.

d) Der Beigeladene hat darüber hinaus auch von sonstigen Fundamentalisten oder Gruppierungen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG zu befürchten.

aa) Auch durch derartige Akteure droht ihm keine anlassgeprägte Einzelverfolgung, da weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen ist, dass gerade er und seine Frau auf Grund ihrer ganz persönlichen Lage ins Visier sonstiger Fundamentalisten oder Gruppierungen geraten sein könnten.

bb) Eine Gruppenverfolgung durch sonstige nichtstaatliche Akteure lässt sich ebenfalls weder für gemischt-konfessionelle Paare noch für mit einer Sunnitin verheiratete Schiiten feststellen. Insoweit lässt der Senat auch hier dahinstehen, ob etwaige Verfolgungsmaßnahmen auf Grund dieser vom Beigeladenen angeführten Umstände in Anknüpfung an die Religion, die politische Überzeugung bzw. an die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe erfolgen würden, da jedenfalls eine derartige Verfolgung mangels der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen Verfolgungsdichte nicht beachtlich wahrscheinlich ist.

Aus der vom Senat eingeholten Auskunft des UNHCR ergibt sich zwar, dass gemischt-konfessionelle Paare nach dem Bombenanschlag auf die Al-Askari-Moschee in Samarra am 22. Februar 2006 in dem danach eskalierenden Konflikt zwischen alle Fronten gerieten und insbesondere in den Jahren 2006 und 2007 zahlreiche Quellen über zielgerichtete Angriffe auf gemischt-konfessionelle Paare und Familien berichtet haben, die von Beschimpfungen und Diskriminierungen über körperliche Angriffe bis hin zu gezielten Tötungen reichten. Hunderte dieser Paare seien in dieser Zeit von sunnitischen oder schiitischen Milizen oder eigenen Familienangehörigen zur Scheidung gedrängt worden und in den Jahren 2007 und 2008 hätten die Familiengerichte auch einen signifikanten Anstieg der Scheidungen gemischt-konfessioneller Paare verzeichnet (vgl. Auskunft vom 16. September 2009; Seite 8 f.). Gleichwohl ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass gemischt-konfessionellen Paaren in der Heimatregion des Beigeladenen Verfolgung in einem solchen Ausmaß droht, dass für jeden Einzelnen ohne weiteres die Gefahr eigener aktueller Betroffenheit zu bejahen ist. Zunächst schildern die zitierten Ausführungen des UNHCR die Zustände im Zusammenhang mit dem Höhepunkt der Eskalation der Auseinandersetzung zwischen Sunniten und Schiiten in den Jahren 2006 und 2007. Im weiteren Verlauf der Auskunft wird aber mitgeteilt, dass die extreme Gewalt insbesondere in den südirakischen Provinzen - u.a. auch in Najaf - seit Ende 2007 spürbar abgeebbt sei. Dieses führt der UNHCR zwar vor allem auf die Entflechtung der Bevölkerung des Landes zurück und berichtet, dass es nach wie vor in den gemischt-konfessionell bewohnten Gebieten zu konfessionell motivierten An- und Übergriffen komme und noch immer in den Straßen Bagdads und anderer gemischt-konfessioneller Gebiete gelegentlich Leichen sunnitischer und schiitischer Bewohner gefunden würden (Seite 9). Die daraus vom UNHCR gezogene Schlussfolgerung, dass gemischt-konfessionelle Paare - und damit auch der Beigeladene und seine Frau - in Gebieten mit sunnitischer oder schiitischer Bevölkerungsmehrheit keinen verlässlichen Schutz finden können und daher dort einer gewissen Gefährdung unterliegen, erscheint dem Senat deshalb plausibel. Das zugrundegelegt erreicht diese Gefährdung jedoch nicht eine Verfolgungsdichte, die die Annahme einer Gruppenverfolgung gemischt-konfessioneller Ehepaare rechtfertigen würde. [...]

Demgegenüber vermögen die vom UNHCR und von amnesty international mitgeteilten Tötungen dreier Paare, die der "Union for Peace in Iraq" zum Schutz gemischt-konfessioneller Paare angehörten und die diese Vereinigung mitbegründet haben, eben so wenig eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu begründen wie der Umstand, dass gemischt-konfessionelle Paare nach wie vor Schwierigkeiten in Gebieten haben, in denen die eine oder die andere Glaubensgemeinschaft die Mehrheit stellt (UNHCR Egibility, Seite 55). Hinzu kommt, dass im August 2009 mehr als 1.700 schiitisch-sunnitische Brautpaare im Rahmen einer Massenhochzeit aus einem Regierungsprogramm ein Geldgeschenk in Höhe von 1.400 € in Empfang genommen haben (Die Presse.com, 7. August 2009, recherchiert am 29. Dezember 2009). Dieses Ereignis ist zwar nicht geeignet, die von den Auskünften geschilderten Gefahren zu widerlegen, andererseits jedoch durchaus ein Indiz dafür, dass diese Paare das Risiko einer gemischt-konfessionellen Ehe nicht als lebensbedrohlich einschätzen, da sie andernfalls, wenn nicht von dieser Eheschließung überhaupt, so jedenfalls von der Teilnahme an einer öffentlichen Massenhochzeit Abstand genommen hätten. [...]

e) Eine etwaige Verfolgungsfurcht des Beigeladenen in Anbetracht der in der zweiten Jahreshälfte 2009 und auch in 2010 im Irak gehäuft aufgetretenen Anschläge mit z.T. zahlreichen Toten kann ebenfalls die Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht rechtfertigen. Denn den dem Senat vorliegenden Auskünften und Unterlagen lässt sich nicht entnehmen, dass diese Anschläge in Anknüpfung an asylrelevante Merkmale - und nur solche Verfolgungsmaßnahmen wären im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG relevant - erfolgt sind; sie sind vielmehr Ausdruck allgemeinen Terrors. [...]

II. Soweit der Beigeladene darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung beantragt hat, in Bezug auf seine Person hinsichtlich des Irak die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen, ist dieser Antrag abzulehnen. Denn die Frage, ob der Beigeladene einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG hat, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte lediglich den vom Beigeladenen erhobenen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter i.S.d. Art. 16a GG abgelehnt und ihm ein Abschiebungsverbot nach § 51 Abs. 1 AuslG zugesprochen. Ein weiterer darüber hinausgehender Regelungsgehalt ist in dem Bescheid - entsprechend § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG - nicht enthalten. Durch die Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten ist nur die positive Feststellung des Bundesamtes zu § 51 Abs. 1 AuslG (heute: § 60 Abs. 1 AufenthG) rechtshängig geworden, so dass Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens auch nur der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG ist. Dem Senat ist es daher verwehrt, über die Gewährung subsidiären Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG zu entscheiden. Durch diese Begrenzung des Streitgegenstandes wird der Beigeladene auch nicht schutzlos gestellt, denn über die Gewährung subsidiären Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG hat das Bundesamt nach Abschluss dieses Verfahrens erstmals zu befinden und gegen diese Entscheidung kann er sodann gegebenenfalls erneut um Rechtsschutz nachsuchen (vgl. ebenso BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2001, - 1 B 217/01 -, juris, Rdnrn. 5 und 7; Bay. VGH, Urteil vom 27. Oktober 2009, - 11 B 06.30503 -, juris, Rdnr. 29; OVG Lüneburg, Urteil vom 24. März 2009, - 2 LB 643/07 -, juris, Rdnrn. 163 ff.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 9. März 2006, - 3 L 176/01 -, juris, Rdnr. 68). [...]