VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 24.06.2010 - 10 K 484/09 - asyl.net: M17331
https://www.asyl.net/rsdb/M17331
Leitsatz:

1. Für ethnische Roma, die sich während des Krieges nicht ausdrücklich auf die Seite Serbiens gestellt haben oder in gewalttätige Handlungen gegen Kosovo-Albaner verwickelt waren, liegen keine Erkenntnisse über eine Gefährdung seitens der albanischen Bevölkerung vor.

2. Hinsichtlich der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG greift die Sperrwirkung des Satzes 3. Auch wenn sich aus der schlechten allgemeinen Lage insbesondere der Angehörigen von Minderheiten Gefahren i.S.v. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG im Kosovo ergeben, können sich die Kläger hierauf nicht berufen. Dies gilt auch angesichts des Umstands, das der Kläger zu 1. das Rentenalter überschritten hat und beide Kläger gesundheitliche Beschwerden geltend gemacht haben. Damit unterscheiden sie sich nicht von der Bevölkerungsgruppe der Roma im Kosovo, zu der wiederum eine Vielzahl von Personen gehören, die die Familien- und Alterssituation mit den Klägern teilen.

3. Es ist davon auszugehen, dass den Klägern bei einer Rückkehr an ihrem Herkunftsort im Kosovo möglich sein wird, so dass ihnen auch grundsätzlich alle Maßnahmen der Sozialhilfe und der Teilhabe am öffentlichen Gesundheitssystem zur Verfügung stehen. Das Existenzminimum werden sie zudem durch Transferleistungen ihrer in Westeuropa lebenden Kinder sichern können.

Schlagwörter: Asylverfahren, Abschiebungsverbot, Kosovo, Roma, medizinische Versorgung, Registrierung, Sozialhilfe, Existenzgrundlage, Abdula Preseva
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 3
Auszüge:

[...] Die Kläger haben bei einer Rückkehr in den Kosovo alleine in Anknüpfung an ihre Roma-Volkszugehörigkeit Repressalien weder durch staatliche Organe oder Dritte zu erwarten. Dies gilt, wie die Beklagte in dem angefochtenen Bescheiden bereits zutreffend ausgeführt hat, auch unter Berücksichtigung der Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie. Ergänzend gilt insoweit Folgendes:

Auch nach den zum Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisquellen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger bei Rückkehr in den Kosovo als ihr Herkunftsland Repressionen und Übergriffen im Sinne von § 60 Abs. 1 bis 5 und 7 AufenthG ausgesetzt sein werden. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie und im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG und des § 60 Abs. 7 AufenthG sowie des Lageberichts des Auswärtigen Amtes zur Republik Kosovo (Stand: September 2009), vom 19.10.2009, 508-516.80/3 KOS.

Danach sind die Lebensbedingungen der Angehörigen der ethnischen Roma, wie auch der Minderheiten der Ashkali und Ägypter, geprägt von der wirtschaftlichen Not aller in vergleichbarer Situation lebenden Einwohner des Kosovo, wobei ihre Lebensbedingungen in den städtischen Gebieten als schwierig einzustufen sind. Nur wenige Familien seien in der Lage, ihren Lebensunterhalt alleine zu bestreiten; bei einer Arbeitslosenquote von derzeit ca. 45 % fänden nur wenige Angehörige dieser Volksgruppen einen festen Arbeitsplatz und erhielten nur wenige Familien wegen der strengen Anspruchsvoraussetzungen staatliche Leistungen in Form von Sozialhilfe oder Renten. Demgegenüber seien die Lebensbedingungen dieses Personenkreises in ländlichen Gebieten vergleichbar mit denen der albanischen Bevölkerung. Für ethnische Roma, die sich während des Krieges nicht ausdrücklich auf die Seite Serbiens gestellt hätten oder in gewalttätige Handlungen gegen Kosovo-Albaner verwickelt gewesen seien, lägen keine Erkenntnisse über eine Gefährdung seitens der albanischen Bevölkerung vor (zur Lage im Kosovo vgl. weiter: Dzihic/Kramer, Friedrich Ebert Stiftung (Hrsg.). Der unabhängige Kosovo im Herbst 2009, Oktober 2009; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem Kosovo, 09.11.2009, HCR/EG/KOS/09/01; European Return Fund (Hrsg.), Social, administrative an economic background of sustainable return to Kosovo, Fact Finding Mission Report 2009 (Text: englisch)).

Unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines Anspruchs nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG ist zu beachten, dass die so festzustellende Situation insbesondere auch der Gruppe der Minderheit der Roma im Kosovo alle Angehörigen der Gruppe, der die Kläger zuzuordnen sind, trifft und damit § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG eingreift. Danach sind Gefahren in dem Zielstaat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt sind, alleine bei der Entscheidung nach § 60 a Abs. 1 S. 1 AufenthG zu berücksichtigen. Auch wenn sich also aus der

schlechten allgemeinen Lage insbesondere der Angehörigen von Minderheiten Gefahren i. S. v. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG ergeben, können sich die Kläger hierauf nicht berufen. Dies gilt auch, angesichts des Umstandes, dass der Kläger zu 1. das Rentenalter überschritten hat und beide Kläger gesundheitliche Beschwerden geltend gemacht haben. Damit unterscheiden sie sich nicht von der Bevölkerungsgruppe der Roma im Kosovo, zu der wiederum eine Vielzahl von Personen gehören, die die Familien- und Alterssituation mit den Klägern teilen. [...]

Nach Auffassung der Kammer ist bereits mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Kläger sich bei einer Rückkehr an ihren Herkunftsort, Gnjilane, wo sie in der "Avdulah-Presheva 00" (vgl. die Angabe des Kläger zu 1., Bl. 59 BA) gewohnt und ein 32 ar großes Hausanwesen besessen haben, registrieren lassen können. Nach den Erkenntnissen der Kammer (vgl. insbesondere Ministerium für Inneres, Sport und Integration des Landes Niedersachsen, Bericht über die Reise einer Delegation des niedersächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration in die Republik Kosovo vom 15. – 18.11.2009; Mattern, Kosovo: Zur Rückführung von Roma; Update der SFH-Länderanalyse, Bern, 21.10.2009; ai Berlin, Stellungnahme zur Situation der Roma im Kosovo, 06.05.2010) können sich aus dem Ausland zurückkehrende frühere jugoslawische Staatsangehörige aus dem Kosovo -durchweg Flüchtlinge, wie die Kläger- grundsätzlich nur an dem Ort registrieren lassen, für den sie vor ihrer Ausreise aus dem Kosovo zuletzt gemeldet waren, und ist eine freie Wahl des Ortes der Wohnsitznahme nach einer Rückkehr aus Deutschland insoweit nicht möglich, als auch nur am letzten Wohnort Sozialleistungen beantragt werden können. Dementsprechend setzt das Verfahren zur Prüfung der Rückübernahmeersuchen aus Deutschland auch die Überprüfung einer entsprechenden Registrierungsmöglichkeit voraus. Aufgrund der vorliegend eindeutig zu erwartenden Wohnsitznahme der Kläger bei einer Rückkehr am Ort ihrer Herkunft ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass irgendetwas einer Registrierung an diesem Ort entgegenstehen könnte, auch wenn nach Verkauf des dortigen Wohngrundstücks eine Rückkehr an diese Adresse nicht mehr möglich sein dürfte. Von daher kommt es auch nicht darauf an, dass es nach einem Bericht des Idealvereins (Chachipe a.s.b.l., Béreldange, Luxemburg, Wer ist verantwortlich? Berichterstattung über ethnisch motivierte Gewalt gegen Roma im Kosovo – Eine Fallstudie, vom 18.08.2009, vgl. www.romarights.wordpress.com) gerade in der Abdula-Preseva, einem traditionellen Roma-Viertel in Gnjilane am 30. oder 31.07.2009 ein Übergriff von Kosvo-Albanern gegenüber dort lebenden Roma gegeben haben soll. Dem Bericht lässt sich dieser Vorfall und darüber hinausentnehmen, dass den eingeschalteten Sicherheitsbehörden eine Aufklärung des Vorfalls letztlich nicht möglich war. Dort ist aber zugleich zu entnehmen, dass im fraglichen Ort eine Romagemeinschaft existiert und aus dem Vorfall und seiner polizeilichen Verarbeitung letztlich nicht geschlossen werden kann, dass die Sicherheitsbehörden im Großen und Ganzen nicht schutzbereit sind, zumal deutliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass die polizeiliche Sicht, der Fall sei nicht als ethnisch motiviert einzustufen und die daran beteiligten Personen hätten untereinander noch einige offene Rechnungen im Zusammenhang mit "Treibstoff-Delikten (Schmuggelgeschäften)", nicht widerlegt ist. Von daher kann weder von einer allgemeinen Gefährdungslage ausgegangen werden noch eine tatsächliche Registrierung und Wohnsitznahme für Roma in Gnjilane als unmöglich angesehen werden.

Ist mithin davon auszugehen, dass den Klägern bei einer Rückkehr eine Registrierung an ihrem Herkunftsort im Kosovo möglich sein wird, so stehen ihnen auch grundsätzlich alle Maßnahmen der Sozialhilfe und der Teilhabe am öffentlichen Gesundheitssystem zur Verfügung (vgl. zur Sozialhilfe das Gesetz Nr. 2003/15, LAW ON THE SOCIAL ASSISTANCE SCHEME IN KOSOVO, vom 18.08.2003, Official Gazette of the Provisional Institutions of Self Governement in Kosovo, Pristina, Nr. 15 vom 01.08.2007, www.ks-gov.net/gazetazyrtare).

Was die Sicherstellung des wirtschaftlichen Existenzminimums anbelangt, kommt es im Falle der Kläger indes letztlich nicht darauf an, ob sie tatsächlich in den Genuss der im Kosovo bestehenden Möglichkeit der Sozialhilfe, die strengen Anforderungen unterliegt, kommen werden. Der Kläger zu 1. hat in der Anhörung in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass in der Zeit des Aufenthalts in Mazedonien Transferleistungen durch die in Westeuropa lebenden Kinder der Kläger in Höhe von insgesamt 200,-- Euro im Monat erfolgt sind. Auf diese Transferleistungen, die den Sozialhilfesatz einer 2-Personen-Familie in Höhe von 50,- Euro pro Monat und auch den Satz einer 7-Personen-Familie in Höhe von 75,- Euro pro Monat eindeutig um ein Mehrfaches übersteigen, müssen sich die Kläger verweisen lassen, zumal sie nach den vorliegenden Erkenntnisquellen im Hinblick auf diese Transferleistungen von dem Bezug von Sozialhilfe ausgeschlossen wären. Von daher kommt es nicht darauf an, ob Gewährung von Sozialhilfe eventuell bezogen auf andere Voraussetzungen scheitern könnte (vgl. die Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Pristina an das BAMF vom 26.06.2009, RK 516.80-E101/08). [...]