LSG Baden-Württemberg

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Zitieren als:
LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.02.2010 - L 13 AS 365/10 ER-B - asyl.net: M17356
https://www.asyl.net/rsdb/M17356
Leitsatz:

1. Ausschluss für Unionsbürger (Italien) von SGB II-Leistungen, da diese zwischenzeitlich nach Italien zurückgekehrt waren und dadurch ihr Freizügigkeitsrecht verloren hatten. Bereits aus dem Verlust des Freizügigkeitsrechts folgt, dass die früheren Zeiten der Freizügigkeit nicht mit den nach der Wiedereinreise verrichteten Zeiten der Beschäftigung für die Wiederbegründung eines neuen Freizügigkeitsrechts zusammengerechnet werden können.

2. Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass der Leistungsausschluss europarechtskonform ist, da das Arbeitslosengeld nach dem SGB II in Anlehnung an die Sozialhilfe nach dem SGB XII ausgestaltet ist.

Schlagwörter: SGB II, SGB XII, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Unionsbürger, Aufenthalt zum Zweck der Arbeitsuche, Unterbrechung, freizügigkeitsberechtigt, Unionsbürgerrichtlinie, Italien, Sozialhilfe, Arbeitnehmerbegriff, arbeitslos, Prozesskostenhilfe
Normen: SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 6, FreizügG/EU § 2 Abs. 3 Nr. 2, SGB III § 119, RL 2004/38/EG Art. 24 Abs. 2
Auszüge:

[...] Die Antragsteller können im Wege der einstweiligen Anordnung nicht die Verpflichtung des Antragsgegners verlangen, ihnen vorläufig ab 1. Dezember 2009 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren. Das SG hat zutreffend den für die beantragte Leistungsgewährung maßgeblichen Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II als erfüllt angesehen. Das Aufenthaltsrecht der Antragsteller ist allein aus dem Zweck der Arbeitssuche begründet. [...]

Der Antragsteller Ziff. 1 hat auch das vor der Ausreise nach Italien im Juni 2006 erworbene Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmer verloren. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU sind Unionsbürger als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt. Nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU bleibt dieses Recht aber nur unberührt bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit (BA) bestätigter Arbeitslosigkeit (nach mehr als einem Jahr Tätigkeit). Hieraus folgt für den Senat, dass die Arbeitslosigkeit gemäß § 119 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) Tatbestandsvoraussetzung für die Aufrechterhaltung dieses Freizügigkeitsrechts ist; die Arbeitnehmereigenschaft besteht nur solange fort, wie Arbeitslosigkeit in diesem Sinne gegeben ist (vgl. dazu auch Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 14 Dezember 2005 - 3 Bs 79/05 - veröffentlicht in Juris). Der Antragsteller Ziff. 1 ist spätestens seit der Ausreise nach Italien nicht mehr arbeitslos gewesen, da er den Vermittlungsbemühungen der BA nicht zur Verfügung stand (§ 119 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 SGB III). Da die anderen Antragsteller ebenfalls ausreisten, erlosch auch deren -abgeleitetes- Freizügigkeitsrecht (vgl. § 3 Freizügigkeitsgesetz/EU). Mangels anderslautender gesetzlicher Regelung folgt für den Senat bereits aus dem Verlust des Freizügigkeitsrechts (als Arbeitnehmer), dass die damaligen Zeiten der das Freizügigkeitsrecht begründenden Beschäftigung nicht mit den nach der Wiedereinreise verrichteten Zeiten der Beschäftigung für die Wiederbegründung eines neuen Freizügigkeitsrechts zusammengerechnet werden können.

Des Weiteren hat der Senat keinen Zweifel daran, dass der Leistungsausschluss europarechtskonform ist, da die 3. Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Urteil vom 4. Juni 2009, C-22/08, C-23/08, ohne nähere Darlegung sogar einen fehlenden Anspruch eines Unionbürgers billigte, wenn ein Drittstaatsangehöriger eine bessere Rechtsstellung innehat. Die Leistungen des SGB II zur Sicherung des Lebensunterhalts sind auch als Sozialhilfeleistung im Sinne des Artikel 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie (Richtline 2004 /38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten [ABl. L 158/77]) anzusehen (so überzeugend Beschluss des Landessozialgerichts [LSG] Niedersachsen-Bremen vom 29. September 2009, L 15 AS 909/09 B-ER m.w.N.). Denn das zum 1. Januar 2005 eingeführte Arbeitslosengeld II ist in Anlehnung an die Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) ausgestaltet. Es umfasst eine pauschalierte, dem Regelsatz zur Sozialhilfe vergleichbare Regelung zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie die Übernahme der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Ähnlich wie in der Sozialhilfe sind für verschiedene Bedarfslagen Leistungen für Mehrbedarfe vorgesehen (vgl. § 21 SGB II). Die nunmehr bestehende Aufteilung in erwerbsfähige (SGB II) und nicht erwerbsfähige (SGB XII) Hilfebedürftige ist für die Zuordnung zur Lebensunterhaltssicherungsfunktion unerheblich. Jedenfalls stellen die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Kapitel 3 Abschnitt 2 des SGB II keine solche Leistungen dar, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen a.a.O. m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Dezember 2009, L 34 AS 1350/09 B ER). [...]

Die Rechtsverfolgung bietet allerdings zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife eine hinreichende Erfolgsaussicht gemäß § 73a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung und erscheint nicht mutwillig, weshalb den Antragstellern, die die Kosten der Prozessführung nicht aus eigenen Mitteln aufbringen können, Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt St. für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen ist. Denn eine hinreichende Erfolgsaussicht kann nicht abgelehnt werden, wenn die Entscheidung der Hauptsache - wie hier - von der Beantwortung schwieriger Rechtsfragen abhängt (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.). [...]