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VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Beschluss vom 26.07.2010 - 8 E 20126/10 Me - asyl.net: M17382
https://www.asyl.net/rsdb/M17382
Leitsatz:

Vorläufige Aussetzung einer Dublin-Überstellung nach Griechenland für die Dauer von sechs Monaten.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Griechenland, Zustellung, Konzept der normativen Vergewisserung
Normen: VwGO § 123 Abs. 1, AsylVfG § 34a Abs. 2, VO 343/2003 Art. 18 Abs. 7, AsylVfG § 27a, AsylVfG § 31 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist zulässig.

Dem Antragsteller fehlt nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Die nach Art. 18 Abs. 1 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 - sog. Dublin II-VO - genannte Zwei-Monats-Frist ist abgelaufen, so dass der Antrag auf Aufnahme des Antragstellers seitens Griechenland als angenommen gilt.

Zwar befindet sich in der Akte weder ein Bescheid noch ein Entwurf für einen solchen. Die Antragsgegnerin hat aber zu erkennen gegeben, dass sie den Asylantrag nach § 27a AsylVfG für unzulässig hält und beabsichtigt, die Abschiebung nach Griechenland anzuordnen und den Antragsteller gemäß der Dublin II-VO nach Griechenland zu überstellen. Dem Antragsteller ist jedoch nicht zuzumuten, den Erlass und die Zustellung eines Bescheides abzuwarten. § 31 Abs. 1 S. 4-6 AsylVfG sieht vor, dass die Entscheidung dem Antragsteller selbst zuzustellen ist und einem beauftragten Bevollmächtigten nur ein Abdruck der Entscheidung zugeleitet wird. Aus der Zustellpraxis der Antragsgegnerin ist bekannt, dass diese immer erst kurz vor der Abschiebung erfolgen, so dass kaum Zeit bleibt, um Rechtsschutz nachzusuchen (so auch VG Minden, B. v. 10.09.2009 - 9 L 467/09. A -). Darüber hinaus wird der Rechtsschutz dadurch erschwert, dass zwei Behörden der Antragsgegnerin, nämlich deren Außenstellen in Hermsdorf und in Dortmund sowie die Ausländerbehörde in den Dublin II-Verfahren involviert sind und aufgrund dessen Zweifel daran bestehen, dass die mit der Abschiebung befasste Stelle bei der genannten Zustellpraxis rechtzeitig erreicht werden könnte, was für den Antragsteller zu Rechtsnachteilen im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG führen könnte (VG Meiningen, B.v. 22.07.2009 - 8 E 20082/09 Me -).

Der Zulässigkeit steht auch § 34a Abs. 2 AsylVfG nicht entgegen. Danach darf die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen sicheren Drittstaat (§ 27a AsylVfG) nicht nach § 80 VwGO oder § 123 VwGO ausgesetzt werden. Der Ausschluss der Möglichkeit, vorläufigen Rechtsschutz zu erlangen, gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Grundsatzurteil vom 14.05.1996 (- 2 BvR 1938/93 -, BVerfGE 94, 49) ausdrücklich festgestellt, dass der Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes des Art. 16a Abs. 2 GG i.V.m. § 34a AsylVfG nicht über die Grenzen hinausreicht, die dem der Drittstaatenregelung zugrunde liegenden Konzept der "normativen Vergewisserung" des Gesetzgebers über die Sicherheit im Drittstaat gesetzt sind (so auch OVG Lüneburg, B.v.19.11.2009 - 13 MC 166/09 -). In gewissen Sonderfällen ist es statthaft und verfassungsrechtlich geboten, vorläufigen Rechtsschutz zu ermöglichen; an die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind strenge Anforderungen zu stellen. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Beschlüssen ausgeführt, dass auch in dem hier maßgeblichen Anwendungsbereich des § 27a AsylVfG Anlass besteht, zu untersuchen, ob und gegebenenfalls welche Vorgaben das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 und 3 GG für die fachgerichtliche Prüfring der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung bei der Anwendung von § 34a Abs. 2 AsylVfG trifft, wenn Gegenstand des Eilrechtsschutzantrages eine beabsichtigte Abschiebung in einen nach der Dublin II-Verordnung zuständigen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften ist. [...]