1. Keine Gruppenverfolgung von Tamilen in Sri Lanka mangels hinreichender Verfolgungsdichte, d.h. mit Blick auf einen tamilischen Bevölkerungsanteil von 18 Prozent unter den 21,3 Millionen Menschen auf Sri Lanka ist es ausgeschlossen, dass für jeden Tamilen bzw. jede Tamilin grundsätzlich die Gefahr besteht, von ethnisch motivierten Verfolgungshandlungen betroffen zu sein.
2. Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG für minderjährigen Antragsteller, da er keine familiäre Unterstützung in Sri Lanka hätte und eine Existenzgrundlage nicht sichergestellt wäre.
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Es besteht kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG. [...]
Der Antragsteller kann sich nicht darauf berufen, allein wegen seiner tamilischen Volkszugehörigkeit politischer Verfolgung durch die srilankischen Behörden ausgesetzt gewesen zu sein.
In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung des OVG Münster (vgl. Urteil vom 20.01.2010, Az.: 3 A 2234/08.A) fehlt es in Anbetracht der Anzahl der in Sri Lanka lebenden tamilischen Volkszugehörigen und der dokumentierten Anzahl von Festnahmen und berichteter Repressalien gegenüber Tamilen an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen Verfolgungsdichte. So bilden Tamilen allein im Großraum Colombo rund ein Drittel der Bevölkerung. Damit ist ihr Anteil so hoch, dass sich die aktuelle Gefahr eigener Verfolgungsbetroffenheit für quasi jeden Angehörigen dieser Gruppe nicht feststellen lässt. Dies gilt auch für die übrigen Landesteile. Auch ist ein allein an die Ethnie anknüpfendes staatliches Verfolgungsprogramm nicht ersichtlich.
Bei dieser Einschätzung wird nicht verkannt, dass Tamilen landesweit, insbesondere auch in Colombo, auch noch nach dem Ende des bewaffneten Konflikts und der Kapitulation der LTTE gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen weit überproportional von Personenkontrollen, Hausdurchsuchungen sowie kurzzeitigen Inhaftierungen betroffen sind (vgl. www.tamilnet.com: "3 Tamil civilians arrested in Colombo", Meldung vom 01.07.2009), so dass das Auswärtige Amt die Auffassung vertritt, dass jeder Tamile im Generalverdacht stünde, ein Anhänger, Unterstützer oder gar Mitglied der LTTE zu sein (vgl. Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka vom 02.09.2009 - Stand: August 2009 -, Az.: 508-516.8013 LKA). Allerdings wird dabei nicht ausreichend berücksichtigt, dass allein die Feststellung zahlreicher Eingriffe nicht für die Annahme einer Gruppenverfolgung ausreicht. Wie bereits ausgeführt, leben in Colombo mehrere Hunderttausend Tamilen, so dass es schon von daher eine faktische Unmöglichkeit ist, jeden Tamilen gleichermaßen als verfolgungsgefährdet anzusehen. Im Übrigen gilt, dass die Kontrollen und Überprüfungen meist im Zusammenhang mit der teilweise noch immer angespannten Sicherheitslage stehen und als legitimes Mittel des Staates im Rahmen der Terrorismusabwehr anzusehen sind (vgl. OVG Münster, Urteil vom 20.01.2010, Az.: 3A 2234/08.A), zumal noch Suizidkämpfer der LTTE in Colombo vermutet werden (vgl. The Lanka Sun: "LTTE suicide cadres still in Colombo", Meldung vom 16.06.2009; so auch Auswärtiges Amt, Auskunft an das BAMF vom 03.07.2009, Az.: 508-516.80/46112) bzw. dass mit der People's Liberation Army (PLA) eine neu gegründete Organisation zur Fortsetzung des bewaffneten Kampfes aufgerufen hat (vgl. timesonline: "New Tamil group People's Liberation Army vows to start a fresh war", Meldung vom 07.12.2009). Die Sicherheitskräfte wollen insoweit abklären, ob es sich bei der kontrollierten Person um jemanden handelt, der der LTTE nahe steht oder ob von dieser Person aus sonstigen Gründen eine Gefahr für die innere Sicherheit des Staates ausgeht.
Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung können allerdings dann als asylrechtliche Verfolgung bewertet werden, wenn zusätzliche Umstände - z.B. eine gesteigerte Verfolgungsintensität in Form einer unüblichen oder vergleichsweise härteren Bestrafung oder Behandlung - darauf schließen lassen, dass der Betroffene jedenfalls auch wegen eines asyl- bzw. abschiebungsschutzerheblichen Merkmals verfolgt wird. Solche Anhaltspunkte liegen jedoch nicht vor. Die srilankischen Sicherheitskräfte beschränken sich weit überwiegend auf Maßnahmen zur Identitätsfeststellung, denen es in der Regel schon an der erforderlichen Eingriffsintensität fehlt und zwar auch dann noch, wenn sie - wie häufig in Sri Lanka - kurzzeitige Inhaftierungen zur Folge haben (vgl. OVG Münster, Urteil vom 20.01.2010, Az.: 3 A 2234/08.A).
Auch im Hinblick auf die übrigen Landesteile Sri Lankas lässt sich nicht feststellen, dass staatliche Maßnahmen asylerheblichen Gewichts gegen tamilische Volkszugehörige ergriffen werden, die die für eine Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte erreichen. Mit Blick auf einen tamilischen Bevölkerungsanteil von 18 Prozent unter den rund 21,3 Millionen Menschen auf Sri Lanka ist es ausgeschlossen, dass für jeden Tamilen bzw. jede Tamilin grundsätzlich die Gefahr besteht, von ethnisch motivierten Verfolgungshandlungen betroffen zu sein. In der Vergangenheit war die Sicherheitslage insbesondere in den Ost- und Nordprovinzen, den Hauptsiedlungsgebieten der tamilischen Bevölkerung, äußerst angespannt, immer wieder wurde hier von Kampfhandlungen und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen berichtet (vgl. Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka vom 02.09.2009 - Stand: August 2009 -, Az.: 508-516.80/3 LKA). Allerdings ging es den staatlichen Akteuren dabei nicht um die Vernichtung der tamilischen Bevölkerung, sondern um die Rückeroberung der von der LTTE kontrollierten Stellungen. In der Ostprovinz beträgt der Anteil der Tamilen mehr als 40 Prozent an der Bevölkerung, in der Nordprovinz stellen sie sogar deutlich die Bevölkerungsmehrheit. Dass die srilankische Regierung nicht die Vernichtung oder Vertreibung aller dieser Tamilen beabsichtigt, zeigt sich schon in dem Umstand, dass nach der Vernichtung der Tamil Tigers aktuell nicht mehr von bewaffneten Auseinandersetzungen berichtet wird und dass der srilankische Staat darum bemüht ist, die mehrheitlich tamilischen Vertriebenen wieder in ihren Stammgebieten anzusiedeln. Die Rückführung in die Ostprovinz ist dabei sogar bereits abgeschlossen. Problematisch stellt sich dagegen noch die Lage der Binnenflüchtlinge aus dem Norden dar, aber auch deren Rückkehr ist beschlossen (vgl. www.dailymirror.lk: "Eighty thousand IDPs still remain", Meldung vom 01.02.2010; Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Sri Lanka lässt Flüchtlinge frei", Meldung vom 23.11.2009). [...]
Von einer Abschiebung soll gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dem Ausländer eine erhebliche individuelle und konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht.
Der Antragsteller hat eigenen Angaben zufolge keine Verwandten in Colombo, die ihn aufnehmen und versorgen könnten, der Kontakt zu seinen Verwandten, die im Norden Sri Lankas leben, ist abgebrochen. Ohne eine Hilfestellung durch in Colombo etablierte Verwandte wäre der Antragsteller dort nicht überlebensfähig. Er wäre der Willkür der Behörden ausgesetzt und nicht in der Lage, bei den dortigen Behörden eine neue Identitätskarte zu erlangen. Diese Identitätskarte ist aber Voraussetzung für die Erteilung von Sozialleistungen. Zwar gibt es auch in Colombo Kinderheime, nach einem Bericht von Amnesty (Deutschland) vom 15.01.2001 hat der Internationale Sozialdienst dazu aber ausgeführt, dass diese Kinderheime für die singhalesische Mehrheit eingerichtet worden seien, die im Übrigen rein theoretische Möglichkeit einer Unterbringung eines tamilischen Kindes sei dort nicht vertretbar. In den Vertriebenenlagern im Norden ist unter den dort herrschenden humanitären Bedingungen eine ausreichende Existenzsicherung für alleinstehende Kinder nicht gewährleistet. Der Antragsteller wäre auf sich selbst gestellt und aufgrund seines Alters nicht in der Lage, sich ausreichend zu versorgen. Diese seine Existenz gefährdende Lage begründet das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. [...]