VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Beschluss vom 04.08.2010 - 4 B 3352/10 - asyl.net: M17409
https://www.asyl.net/rsdb/M17409
Leitsatz:

Einstweiliger Rechtsschutz gegen eine Zurückschiebung durch die Bundespolizei (BPol) nach § 18 Abs. 3 AsylVfG ist nicht gegen das BAMF, sondern gegen die BPol zu richten. Um eine Zurückschiebung handelt es sich auch dann, wenn der Zielstaat nicht der Staat ist, aus dem der Ausländer unmittelbar nach Deutschland eingereist ist; Zielstaat einer Zurückschiebung kann vielmehr jeder zur Aufnahme bereite Staat sein (hier: Einreise aus den Niederlanden, Zuständigkeit Maltas mangels Antwort auf Dublin-Ersuchen nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO). Der Zurückschiebung steht auch nicht entgegen, dass der Antragsteller aus der Sicherungshaft heraus einen Asylantrag gestellt hat.

Schlagwörter: Zurückschiebung, Dublin II-VO, Dublinverfahren, Bundespolizei, vorläufiger Rechtsschutz, Malta, Zurückschiebungshaft, Zustimmungsfiktion, sichere Drittstaaten, Niederlande, Asylantrag, Aufenthaltsgestattung
Normen: VO 343/2003 Art. 18 Abs. 7, VwGO § 123, AsylVfG § 18 Abs. 3, AsylVfG § 34a, AsylVfG § 27a, AsylVfG § 55 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Am 30.07.2010 hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.

Er hält eine Abschiebung ohne Bescheidung seines Asylantrages für unzulässig. Mit der Antragstellung habe der Antragsteller eine Aufenthaltsgestattung erworben, die der Aufenthaltsbeendigung entgegen stehe. Die Antragsgegnerin habe im Rahmen des Verfahrens der Dublin II-Verordnung zu prüfen, ob nicht im Wege des Selbsteintritts das Asylverfahren materiell in Deutschland durchgeführt werde.

Der Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nicht vor Ablauf von drei Werktagen nach einer förmlichen Zustellung eines Bescheides gemäß § 27a, § 34a AsylVfG erfolgen darf.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

Der Antragsteller solle gemäß § 18 Abs. 3 AsylVfG zurückgeschoben werden. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung lägen vor. Die Bundespolizei habe eine rechtliche bindende Zurückschiebungsverfügung erstellt, die auch Grundlage des Haftantrages beim Amtsgericht gewesen sei. Nur gegen diese Verfügung sei ein Rechtsmittel möglich. Von der Antragsgegnerin habe der Antragsteller daher lediglich ein nicht rechtsmittelfähiges Schreiben erhalten, in dem auf diesen Umstand hingewiesen worden sei. In den Fällen des § 18 Abs. 3 AsylVfG sei kein Asylverfahren beim Bundesamt durchzuführen. Entsprechende Anträge würden daher entsprechend den Vorschriften eines Erlasses des Bundesministeriums des Innern vom 03.03.2006 nicht zur Behandlung angenommen.

Der Antrag, mit dem der Antragsteller begehrt, nicht vor der förmlichen Zustellung eines Bescheides der Antragsgegnerin gemäß § 34a AsylVfG abgeschoben zu werden, hat keinen Erfolg.

Das folgt bereits daraus, dass es sich bei der für den 05.08.2010 vorgesehenen Überstellung nach Malta nicht um eine Abschiebung handelt, die in den Fällen des § 27a AsylVfG nur auf der Grundlage einer Abschiebungsanordnuhg gemäß § 34a AsylVfG zulässig wäre, sondern um eine Zurückschiebung auf der Grundlage einer Zurückschiebungsverfügung der Bundespolizei gemäß § 18 Abs. 3 AsylVfG.

Der Antragsteller müsste daher, wenn er sich gegen seine Überstellung wehren wollte, was der vorliegende Antrag schon nicht klar zum Ausdruck bringt, um einstweiligen Rechtsschutz gegen die von der Bundespolizei verfügte Rückschiebung, bei der es sich um einen Verwaltungsakt handelt (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 18 AsylVfG, Rn. 48), nachsuchen. Dabei ist schon sehr zweifelhaft, ob der Antragsteller, der in einen sicheren Drittstaat zurückgeschoben werden soll, dagegen überhaupt gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann (vgl. Hailbronner, a.a.O., Rn. 50). Abgesehen davon kann ein solcher Antrag auch materiell keinen Erfolg haben.

Gemäß § 18 Abs. 3 AsylVfG ist ein Ausländer zurückzuschieben, wenn er von der Grenzbehörde im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wird und die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 AsylVfG vorliegen. Gemäß § 18 Abs. 2 AsylVfG ist einem Ausländer die Einreise (unter anderem) zu versagen, wenn er aus einem sicheren Drittstaat einreist (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG) oder Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und ein Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird (§ 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG).

Diese Voraussetzungen liegen vor, was vom Antragsteller auch nicht in Abrede gestellt ist. Um eine Zurückschiebung handelt es sich auch dann, wenn - wie hier - der Zielstaat nicht der Staat ist, aus dem der Ausländer unmittelbar in das Bundesgebiet eingereist ist. Zielstaat einer Zurückschiebung kann vielmehr jeder zur Aufnahme bereite Staat sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.02.2009, - 2 BvR 1537/08 -).

Der Zurückschiebung steht auch nicht entgegen, dass der Antragsteller aus der Sicherungshaft heraus am 18.06.2010 einen Asylantrag gestellt hat. Der Asylantrag führt nicht zu einer Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 AsylVfG. Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG erwirbt der Ausländer im Falle einer unerlaubten Einreise aus einem sicheren Drittstaat die Aufenthaltsgestaltung mit der Stellung des Asylantrages. Das gilt allerdings nicht, wenn den zuständigen deutschen Behörden die materielle Prüfung des Asylantrages verwehrt ist, weil zunächst das Verfahren entsprechend den Vorschriften der Dublin II-Verordnung durchzuführen ist. Während der Dauer der Zuständigkeitsprüfung erwirbt der Betroffene keine Aufenthaltsgestattung (vgl. Bodenbender in: GK-AsylVfG, § 55 AsylVfG Rn. 65). Daher kann offen bleiben, ob eine Aufenthaltsgestattung der Zurückschiebung entgegengehalten werden könnte. [...]