SG Bremen

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Zitieren als:
SG Bremen, Beschluss vom 16.07.2010 - S 24 AY 19/10 ER - asyl.net: M17446
https://www.asyl.net/rsdb/M17446
Leitsatz:

Eine Kürzung der Leistungen nach § 1a AsylbLG ist nicht zulässig, da der Antragsteller wegen im Herkunftsland nicht finanzierbarer Diabetesbehandlung nicht abgeschoben werden darf. Zudem dauert die Kürzung der Leistungen nach dem AsylbLG bereits seit über sechs Monaten an. Das VG Bremen hat bereits Zeiträume von über drei Monaten ohne Unterbrechungen für einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gehalten.

Schlagwörter: Asylbewerberleistungsgesetz, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer, Mitwirkungspflicht, Passbeschaffung, Vorbezugsfrist, Verhältnismäßigkeit
Normen: SGG § 86b Abs. 2, AsylbLG § 1a, AsylbLG § 3, GG Art. 1 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Ein Anordnungsanspruch hinsichtlich der Leistungen nach § 2 AsylbLG ist weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Das ist Sache des Antragstellers, der keine Angaben zu seinem Lebensunterhalt seit seiner Einreise macht, sondern nur vorträgt, er sei seit mehr als 36 Monaten in der BRD, die aktuelle Fassung des AsylbLG verlangt jedoch 48 Monate Vorbezugszeit. Auch ein Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG unmittelbar ist nicht begründbar. Das gilt besonders im vorliegenden Eilverfahren, denn das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich zum SGB II entschieden, ".... wegen des gesetzgeberischen Gestaltungsermessens ist das Bundesverfassungsgericht nicht befugt, aufgrund eigener Einschätzungen und Wertungen gestaltend selbst einen bestimmten Leistungsbetrag festzusetzen. Die verfassungswidrigen Normen bleiben daher bis zu einer Neuerung durch den Gesetzgeber weiterhin anwendbar" (BVerfG 1 BvL 1/09 9 e.a. vom 9.2.2010).

Hinsichtlich des Hauptantrages und des ersten Hilfsantrages fehlt es mithin bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.

Hinsichtlich des zweiten Hilfsantrages verhält es sich jedoch anders, auch ein Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) ist glaubhaft gemacht. Zum einen dauert die Kürzung des Leistungsanspruchs des Antragstellers bereits seit über sechs Monaten an. Das VG Bremen hat hierzu bereits Zeiträume von über drei Monaten ohne Unterbrechungen für einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gehalten, weil die Betroffenen nicht mehr über Taschengeld verfügen, d.h. nicht Bahn fahren, telefonieren oder sonstige kleine erforderliche Ausgaben machen können. Zum anderen hat das BSG entschieden, dass eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer nicht vorliegt, wenn der Ast. auch ohne das vorgeworfene Verhalten nicht hätte abgeschoben werden können (B 8 AY 5/07, U. v. 17.06.2008). Davon ist vorliegend auszugehen, denn es sind bereits Abschiebungshindernisse für diabeteskranke Ausländer in vergleichbare afrikanische Länder behördlich und gerichtlich festgestellt worden. Es genügt nicht die Behandelbarkeit der Krankheit, sondern es muss auch die tatsächliche Erreichbarkeit (Bezahlbarkeit) der Behandlung zu erwarten sein. Das hat die Antragsgegnerin für das Heimatland des Antragstellers und seine Verhältnisse nicht ausreichend aufgeklärt, so dass der Kürzung aus Leistungen nach § 1a AsylbLG die Grundlage fehlt (ebenso bereits Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Rz. 59 zu § 1a AsylbLG). [...]