VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Beschluss vom 20.08.2010 - 2 B 192/10 MD - asyl.net: M17449
https://www.asyl.net/rsdb/M17449
Leitsatz:

Vorläufige Aussetzung einer Dublin-Überstellung nach Griechenland.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Griechenland, Rechtsschutzinteresse, Konzept der normativen Vergewisserung, Selbsteintritt, Ermessen
Normen: VwGO § 123 Abs. 1, VO 343/2003 Art. 20 Abs. 1, GG Art. 19 Abs. 4, AsylVfG § 34a Abs. 2, AsylVfG § 27a, GG Art. 16a Abs. 2 S. 3, VO 343/2003 Art. 3 Abs. 2, GG Art. 2 Abs. 2 S. 1, AsylVfG § 31 Abs. 1 S. 4
Auszüge:

[...]

Der Zulässigkeit des Antrags steht auch § 34a Abs. 2 AsylVfG nicht entgegen. Hiernach darf die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat, der - wie hier - auf dem Wege des § 27a AsylVfG ermittelt worden ist, nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden. Zwar liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 2 AsylVfG hier vor. Der Ausschluss der Möglichkeit, vorläufigen Rechtsschutz zu erlangen, gilt jedoch nicht uneingeschränkt und ist insbesondere in dem hier maßgeblichen Anwendungsbereich des § 27a AsylVfG verfassungsrechtlich problematisch. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seinem Urteil vom 14. Mai 1996 (2 BvR 1938/93) in Bezug auf die Drittstaatenregelung des § 26a AsylVfG ausgeführt, dass der Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes nicht über die Grenzen hinaus reiche, die dem der Drittstaatenregelung zu Grunde liegenden Konzept der "normativen Vergewisserung" des (Verfassung-) Gesetzgebers über die Sicherung im Drittstaat gesetzt seien, und insoweit einzelne Fallgruppen gebildet. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die Abschiebungsanordnung zur Abschiebung eines Asylantragstellers nach Griechenland als den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat in seiner aktuellen Rechtsprechung (B. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 - und B. v. 09.10.2009 - 2 BvQ 72/09 -) an die vorgenannte Entscheidung angeknüpft und im Rahmen einer Interessenabwägung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG die Vollziehung der Abschiebung nach Griechenland vorläufig untersagt, ohne sich daran durch Art. 16a Abs. 2 S. 3 GG und § 34a Abs. 2 AsylVfG gehindert zu sehen. Dieser aktuellen verfassungsrechtlichen Rechtssprechung kann auf fachgerichtlicher Ebene derzeit nur dadurch Rechnung getragen werden, dass in "Dublin II-Fällen", in denen es um Rücküberstellungen nach Griechenland geht, Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht bereits nach § 34a Abs. 2 AsylVfG als unstatthaft angesehen werden (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 19.11.2009 - 13 MC 166/09 -; OVG Münster, B. v. 07.10.2009 - 8 B 1433/09.A -, juris). Dieser Ansicht schließt sich das erkennende Gericht nach eigener Prüfung an. [...]

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Denn er hat gegenüber der Antragsgegnerin einen Anspruch darauf, dass diese von den ihr in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO eingeräumten Möglichkeiten des Selbsteintrittsrechts ermessensfehlerfrei Gebrauch macht. Ob Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO dem Ausländer grundsätzlich ein Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gewährt, kann an dieser Stelle offen bleiben. Jedenfalls besteht ein solcher Anspruch dann, wenn die Entscheidung durch nationales Verfassungsrecht, zum Beispiel durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG - wie hier - im Hinblick auf den unzureichenden Zugang zum Asylverfahren und die mangelnde Sicherstellung des Lebensunterhalts im Aufnahmeland - wie hier in Griechenland - geprägt wird (vgl. VG Düsseldorf, B. v. 8.12.2009, - 13 L 1840/09.A -; VG Leipzig, B. v. 10.02.2010 - A 1 L 18/10 -; zum Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts bzgl. Griechenland VG Frankfurt, U. v. 8.7.2009 - 7 K 4376/07.F.A, -). [...]