Keine Verfolgungsgefahr für Homosexuellen in Bangladesch. Auch wenn der Kläger in Abwesenheit nachweislich von einem Dorfgericht zur Steinigung verurteilt worden ist und staatliche bangladeschische Stellen nicht willens sind, gegen die Vollstreckung solcher rechtswidriger außerstaatlicher Strafgewalt vorzugehen, besteht jedenfalls eine inländische Fluchtalternative.
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Der Kläger ist unverfolgt aus Bangladesch ausgereist. Staatliche Verfolgung durch bangladeschische Behörden macht er selbst nicht geltend. Allerdings geht die Kammer davon aus, dass nichtstaatliche Akteure (§ 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c) AufenthG) im Begriff waren, eine aufgrund homosexueller Handlungen gegen ihn verhängte Todesstrafe zu vollstrecken. Die im gerichtlichen Verfahren eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 31. Oktober 2005 vermerkt, dass der Kläger im Sommer 1997 im Dorf ..., Polizeistation ..., Distrikt ..., durch ein geheim abgehaltenes religiöses Dorfgericht unter Vorsitz des örtlichen Geistlichen wegen homosexueller Handlungen für schuldig befunden und, ebenso wie der weitere Beschuldigte ..., zu einer Strafe von 101 Peitschenhieben oder Steinigung verurteilt wurde. Der Zeuge der homosexuellen Handlungen, ..., berichtete gegenüber dem Auswärtigen Amt, er habe die beiden im Juni 1997 durch ein Fenster beobachtet. Ferner bestätigte er die Durchführung des Dorfgerichts unter Beteiligung von sechs namentlich benannten Dorfältesten einschließlich seiner selbst, ebenso die Verhängung der genannten Strafe gegen den Kläger. Der jüngere Bruder des ... gab seinerseits an, dass der Kläger und sein homosexueller Sexualpartner Cousins seien und die Tat im Jahr 1997 im Hause des Klägers stattgefunden habe. Hiernach steht fest, dass die Schilderungen des Klägers im Asylverfahren über homosexuellen Verkehr mit seinem Cousin und die hieraus folgende Verurteilung durch ein religiöses Dorfgericht zutreffen.
Es ist ferner festzustellen, dass staatliche bangladeschische Stellen i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c) AufenthG nicht willens sind, gegen die Vollstreckung der Dorfgerichtsstrafe vorzugehen. Laut der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28. August 2006 schreiten die Polizei sowie die Law Enforcement Agencies für gewöhnlich nicht gegen die Dorfgerichte ein, was diese als Signal verstehen, dass die Vollzieher der Dorfgerichtsstrafe unbehelligt bleiben; dementsprechend sind Dorfgerichtsbestrafungen nicht ungewöhnlich. Zwar hat der Oberste Gerichtshof Bangladeschs, wie das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 31. Oktober 2005 anführt, im Januar 2001 entschieden, dass die Dorfgerichtsstrafen außerhalb der staatlichen Strafgewalt rechtswidrig seien und unterlassen werden müssten; dieser Ausspruch werde in der Praxis von Polizei und Behörden indes nicht durchgesetzt, die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs sei überdies noch nicht rechtskräftig.
Es ist allerdings schon fraglich, ob der Kläger im Sinne der asylrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Homosexualität (BVerwG NVwZ 1988, 838) schicksalhaft homosexuell geprägt ist und im Weiteren durch Verhängung der Strafe des religiösen Dorfgerichts auch in seiner homosexuellen Veranlagung als einer asylrechtlich erheblichen Eigenschaft getroffen werden sollte. Für Letzteres mag die unerträgliche Härte der verhängten Strafe ein Indiz sein.
Jedenfalls hatte der Kläger eine inländische Fluchtalternative. Er befand sich nicht landesweit in einer ausweglosen Lage, sondern war in anderen Landesteilen hinreichend sicher (zu dem anzuwendenden Maßstab BVerfGE 80, 315 [344 f.]). Nach dem Lagebericht Bangladesch des Auswärtigen Amtes vom 16. Dezember 1997 (Seite 4) gab es zurzeit der Ausreise des Klägers aus Bangladesch für den Fall, dass sich in bestimmten Landesteilen Personengruppen verfolgt fühlten, Fluchtalternativen; dies galt besonders für die städtischen Zentren wie Dhaka mit 9 Millionen und Chittagong mit 1 Million Einwohnern. Grundsätzlich bestand kein rechtliches Hindernis, sich in Dhaka, Chittagong oder anderen Teilen des Landes eine neue Existenz aufzubauen. Dass die Fluchtalternative nicht zumutbar gewesen wäre, weil der Kläger ein Leben unter dem Existenzminimum zu erwarten gehabt hätte, das zu Hunger, Verelendung oder gar zum Tode führen könnte, ist weder dargetan noch ersichtlich. Im Gegenteil stammt er aus geordneten Verhältnissen und hat eine gute Schulbildung genossen, die ihm den Aufbau einer angemessenen Existenz ermöglichte. Er ist in einer Lehrerfamilie aufgewachsen und hat die Schule bis zur 8. Klasse besucht. Dass er im Anschluss keine Berufsausbildung durchlaufen hat, lag allein an seiner freien Entscheidung, seine Zeit nur noch mit der Betrachtung von Videofilmen zu verbringen. Dass es ihm als arbeitsfähigem, jungen, mit guter Schulbildung ausgestatteten Mann nicht hätte gelingen können, in einer Stadt wie Dhaka mit 9 Millionen Einwohnern seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, ist nicht nachvollziehbar. Zudem hat der Kläger gegenüber dem Bundesamt angegeben, sein Vater habe ihm bei den im Lichte des Ausspruchs des Dorfgerichts getroffenen Ausreisevorbereitungen geholfen und habe ihn nicht verlieren wollen. Dann wäre der Kläger aber auch in der Lage gewesen, sich mit Hilfe seines Vaters an anderem Orte in Bangladesch eine neue Existenz aufzubauen.
Nichts Anderes ergibt sich bei Betrachtung der dem Kläger bei jetziger Rückkehr nach Bangladesch drohenden Gefahren. Zwar erweist die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 31. Oktober 2005, dass die verhängte Strafe nach Auskunft des Vorsitzenden des religiösen Dorfgerichts weiterhin Gültigkeit hat; wegen der Schwere der Tat sei davon auszugehen, dass der Kläger bei Rückkehr in seine Gemeinde auch heute noch verfolgt würde. Der Kläger hat in Bangladesch jedoch auch jetzt eine inländische Fluchtalternative in den großen Städten des Landes. In der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 31. Oktober 2005 wird ausgeführt, dass bei Angelegenheiten mit engem lokalen Bezug und ohne Beteiligung politisch oder sonst prominenter Beschuldigter davon auszugehen sei, dass sich Personen einer Verfolgung durch Umzug in andere Landesteile entziehen können; es bestehe kein rechtliches Hindernis, sich in anderen Landesteilen niederzulassen, ebenso bestehe kein landesweites Meldewesen und kein polizeiliches Fahndungssystem. Zwar könne auch in städtischen Zentren wegen der traditionell engen Nachbarschaftsverhältnisse und der geringen geographischen Entfernungen im Lande ein Untertauchen schwierig sein. Wie die gleichlautende Formulierung in dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. Februar 2006 zeigt, bezieht sich diese Formulierung indes insbesondere auf bekannte bzw. politisch profilierte Personen; sie werden auch ohne eigenes Zutun von Dritten erkannt und ihre Identität wird auf diese Weise offengelegt. Zu der besagten Personengruppe gehört der Kläger nicht. Er ist vor neun Jahren als damals Fünfzehnjähriger aus einem Dorf im Distrikt ... nach Deutschland gekommen. Dass Personen, die ihn damals kannten, sich heute noch an ihn erinnern und ihn in einer Neun-Millionen-Stadt wie Dhaka auf der Straße identifizieren könnten, ist angesichts des Zeitablaufs und der im geringeren Alter des Klägers festzustellenden erheblichen Veränderung des Erscheinungsbildes innerhalb einer solch langen Zeitspanne nicht nachvollziehbar. Erst recht ist nicht vorstellbar, dass er auf diejenigen wenigen Personen aus seinem Dorf, die sich an die gegen ihn verhängte Strafe erinnern, auch nur treffen könnte, geschweige denn, dass sie genügend Verfolgungseifer an den Tag legen, um ihn in die auch nur entfernte Gefahr der Strafvollstreckung zu bringen.
Für den Kläger ist die Ergreifung der innerstaatlichen Fluchtalternative auch nicht unzumutbar. Gemäß der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28. August 2006 kann ein mittelloser ungelernter Mann vom Lande in einer bangladeschischen Großstadt eine für dortige Verhältnisse zumutbare Existenz aufbauen, auch wenn er keine Verwandten oder Bekannten hat. Zwar wird in der Auskunft weiter angeführt, dass sich auf Grund der hohen Anzahl von Familienangehörigen für gewöhnlich immer ein mehr oder weniger naher Verwandter finde, von dem Hilfe zu erwarten sei. Dies bedeutet jedoch nur, dass durch solcherlei Verwandte der Aufbau einer neuen Existenz erleichtert wird. Angesichts der vorherigen Feststellung, wonach der Aufbau einer zumutbaren Existenz gerade auch ohne Verwandte oder Bekannte möglich ist, bedarf es der Verwandten jedoch nicht. In diesem Lichte ist der Kläger beim Aufbau seiner Existenz nicht darauf angewiesen, sich an Personen aus seiner Verwandtschaft zu wenden, die dann möglicherweise Verfolgungseifer gegen ihn an den Tag legen könnten. Zudem ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers gegenüber dem Bundesamt, dass sein Vater ihm weiterhin gewogen ist. Er vermerkte, dass er noch Kontakt zu seiner Familie habe. Wie oben ausgeführt, war ihm sein Vater ferner bei den Ausreisevorbereitungen behilflich. Dies führt zu dem Schluss, dass der Vater den Kläger auch bei seiner Rückkehr nach Bangladesch unterstützen und ihn nicht dem Dorfgericht preisgeben wird.
Staatliche Verfolgung hat der Kläger bei Rückkehr nach Bangladesch nicht zu befürchten. Gemäß der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28. August 2006 ging bislang keine Anzeige gegen ihn bei der zuständigen bangladeschischen Polizeidienststelle ein. Selbst wenn eine Anzeige jetzt noch erfolgen könnte, werde sie sehr wahrscheinlich wegen der seither abgelaufenen Zeitspanne und des Fehlens eines medizinischen Berichts nicht weiter verfolgt; wenn trotz alledem ein Strafverfahren eröffnet werde, sei die Gefahr einer Verurteilung sehr gering. Gemäß der im Verwaltungsverfahren durch das Bundesamt eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 31. Juli 1998 gibt es in Bangladesch keine Vorschrift, die Homosexualität unter Strafe stellt oder sich diskriminierend gegen Homosexuelle richtet. Laut den weiteren Ausführungen in der genannten Auskunft sowie der weiteren Auskunft des Auswärtigen Amtes an die Kammer vom 28. August 2006 werden homosexuelle Handlungen zwar bestraft (§ 377 des bangladeschischen Strafgesetzbuches); in letzter Zeit sind jedoch auf Grund der Natur des Straftatbestandes, welcher eine Einwilligung beider Beteiligter voraussetzt, keine Strafverfolgungsmaßnahmen mehr durchgeführt worden. Nach Auskunft von Rechtsanwälten vor Ort gibt es keinen Präzedenzfall, in dem ein Homosexueller nach Maßgabe des § 377 angeklagt oder gar verurteilt worden wäre. Stattdessen bestehen Überlegungen, freiwillige homosexuelle Handlungen straffrei zu stellen.
Ohnehin ist auf Grund der Besonderheiten in der Person des Klägers nicht anzunehmen, dass dieser erneut in die Gefahr der Entdeckung etwaiger homosexueller Handlungen gerät. Nach seiner eigenen Darstellung hatte er solcherlei Beziehungen schon seit dem Jahre 1993 gehabt; hiervon erfuhr jedoch niemand. Demnach war er fünf Jahre lang in der Lage, seine Neigungen selbst unter den Bedingungen des Dorflebens geheim zu halten und ihnen nicht in einer Anstoß erregenden Weise nachzugehen. Auch die Beziehung zu seinem Cousin kam nur auf Grund eines einmaligen, ungünstigen Zufalls ans Licht, als beide während ihrer sexuellen Handlungen auf Grund der sehr heißen Witterung ein Fenster öffneten, was einem Bewohner des Dorfes den Einblick in die Wohnung gewährte.
Aus Art. 10 Abs. 1 lit. d der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (ABl. L Nr. 304, S. 12) - sog. Qualifikationsrichtlinie - kann der Kläger ebenfalls nichts für sich herleiten. Nach dieser Richtlinie haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen, dass als eine soziale Gruppe (so auch der Begriff in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) auch eine Gruppe gelten kann, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Ausrichtung gründet. Dem Kläger droht jedoch aus den oben genannten Gründen nicht auf Grund seiner Zugehörigkeit zu der Gruppe Homosexueller Verfolgung. [...]