VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Urteil vom 27.07.2010 - 3 K 103/09.KS.A - asyl.net: M17462
https://www.asyl.net/rsdb/M17462
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für Hindu aus Afghanistan wegen Verfolgungsgefahr aus religiösen Gründen.

Schlagwörter: Asylverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Afghanistan, Hindu, religiöse Verfolgung, Diskriminierung, Muslime
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b, RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Soweit die Klage aufrechterhalten bleibt, hat sie im Hauptantrag Erfolg. Dem Kläger ist die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil ihm als Hindu in Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung aus religiösen Gründen im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG droht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). [...]

Jedenfalls die Störung und Verhinderung des für hinduistische Gläubige zum unveräußerlichen religiösen Glaubenskern zählenden Bestattungsritus durch die muslimische Mehrheit (vgl. S. 16 des Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 13.09.2007 zur aktuellen Lage afghanischer Hindus in Afghanistan) stellt eine schwere Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ergänzend anzuwendenden Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 -). Letztlich kommt es aber auch darauf nicht entscheidend an, denn die zielgerichtet an die Religionszugehörigkeit anknüpfende allgemeine Diskriminierung von Hindus beim Zugang zu Arbeit und Lohn gefährdet deren Leib und Leben und ein Eingriff in diese Rechtsgüter stellt immer eine beachtliche Verfolgungshandlung dar. Dass in Afghanistan zurückgebliebene Angehörige oder in Deutschland lebende Verwandte in der Lage wären, den notwendigen Lebensunterhalt der fünfköpfigen Familie des Klägers in Kabul sicherzustellen, ist den vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen. [...]