VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Urteil vom 10.06.2008 - 1 K 1424/06.A - asyl.net: M17464
https://www.asyl.net/rsdb/M17464
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung wegen drohender Genitalverstümmelung in Ghana. Es fehlt an der für eine politische Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Ausgrenzung aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit im Heimatland der Klägerin. Verfolgen nach dem dortigen Verständnis die Genitalverstümmelungen gerade den Zweck, betroffene Mädchen und Frauen als vollwertiges Mitglied in die Gesellschaft aufzunehmen und der Familie dadurch gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen, ist weder aus der Sicht des Staates noch aus der Sicht der bestehenden kulturellen dörflichen und ethnischen Gemeinschaft mit solchen Beschneidungszeremonien eine Ausgrenzung beabsichtigt.

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Ghana, geschlechtsspezifische Verfolgung, Genitalverstümmelung, politische Verfolgung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Denn es fehlt an der für eine politische Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Ausgrenzung aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit im Heimatland der Klägerin. Verfolgen nach dem dortigen Verständnis die Genitalverstümmelungen gerade den Zweck, betroffene Mädchen oder Frauen als vollwertiges Mitglied in die Gesellschaft aufzunehmen und der Familie dadurch gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen, ist weder aus der Sicht des Staates noch aus der Sicht der bestehenden kulturellen dörflichen und ethnischen Gemeinschaft mit solchen Beschneidungszeremonien beabsichtigt, die betroffenen Mädchen und Frauen aus der übergreifenden Friedensordnung der - dortigen - Gemeinschaft auszugrenzen. Im Gegenteil: Eine nicht beschnittene Frau wird nicht geachtet, sozial und ökonomisch ausgegrenzt. Zwar kann ein Ausschluss sich verweigernder Frauen aus der Gemeinschaft unter Umständen zu ihrer Intensität nach erheblichen Beeinträchtigungen für Leib und Leben der Betroffenen führen, etwa wenn junge Frauen aus einfachen Verhältnissen versuchen müssen, ohne den Rückhalt und die wirtschaftliche Unterstützung der Familie die eigene Existenz zu sichern. Eine solche Ausgrenzung führt gleichwohl nicht zur Annahme politischer Verfolgung, weil die aus einem etwaigen Ausschluss aus der Gemeinschaft resultierenden Gefahren für Leib und Leben keine dem Staat zurechenbare politische Verfolgung darstellen, sondern Folgen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sind (vgl. VG Münster, Urteil vom 23. August 2006 - 11 K 473/04.A).

Darüber hinaus ist die von der Klägerin vorgebrachte drohende Gefahr der Zwangsbeschneidung auch nicht glaubhaft. Sie hat nicht nur beim Bundesamt pauschale, unsubstantiierte und hinsichtlich des individuellen Verfolgungsschicksals detailarme Angaben gemacht Aufgrund des persönlichen Eindrucks von der Klägerin und ihrer Ausführungen in der mündlichen Verhandlung hält das Gericht ihren behaupteten Fluchtgrund für unglaubhaft. Sie hat einsilbig, teils widersprüchlich, ohne plastische und detaillierte Einzelheiten und ohne jegliche - bei den von ihr behaupteten Vorgängen zu erwartende - Gefühlsregung einen Sachverhalt geschildert, den sie zur Überzeugung des Gerichts nicht persönlich erlebt hat. War der angebliche Grund für die Zwangsbeschneidung eine bereits seit längerer Zeit zwischen den jeweiligen Familien abgesprochene Heirat, von der sie auch bereits seit ihrer Volljährigkeit (d.h. seit etwa 1995) wusste, so ist es völlig unglaubhaft, dass die durchaus gebildete Klägerin nicht einmal ungefähr das Alter des Mannes, der zudem ein Freund der Familie gewesen sein soll, kennt ("Alt war er nicht, jung aber auch nicht") Die Klägerin hat ferner trotz mehrerer Nachfragen nicht ansatzweise detailliert schildern können, wie es ihr gelingen konnte, sich zunächst im Mai und sodann im Juli 2006 der Beschneidungszeremonie zu entziehen. Hinsichtlich des Geschehens im Mai 2006 hat sie sich zudem widersprüchlich eingelassen. Bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt hatte sie noch angegeben, die Beschneidung habe nicht stattgefunden, weil sie Beulen im Intimbereich gehabt habe. In der mündlichen Verhandlung hat sie hingegen geschildert, sie sei mit der Hilfe ihrer Schwester geflohen. Nicht auflösbare Widersprüche im klägerischen Vorbringen bestehen auch im Zusammenhang mit dem Besitz eines Reisepasses. So hatte die Klägerin beim Bundesamt - und erneut in der mündlichen Verhandlung - erklärt, in Ghana nicht im Besitz eines Reisepasses gewesen und mit dem Reisepass ihrer Schwester ausgereist zu sein. Als sie nun aber in Deutschland einen Landsmann heiraten wollte, legte sie bei der Stadt Krefeld einen eigenen, bereits 2004 ausgestellten Reisepass vor. Soweit die Klägerin dort angegeben hat, sie habe diesen bisher nicht vorgelegt, weil ihr nicht bekannt gewesen sei, dass eine entsprechende Verpflichtung bestehe, ist dies nicht glaubhaft. Auch in der mündlichen Verhandlung hat sie weder ihre unterschiedlichen Angaben zum Besitz eines eigenen Reisepasses noch plausibel erklären können, warum sie nicht mit ihrem eigenen Pass ausgereist ist.

Die Klägerin hat schließlich auch keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG. Die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes liegen mit Blick auf die mangelnde Glaubhaftigkeit des Vortrages der Klägerin und in Ermangelung sonstiger Anhaltspunkte nicht vor. [...]