VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Urteil vom 15.05.2007 - 11 K 3243/04.A - asyl.net: M17495
https://www.asyl.net/rsdb/M17495
Leitsatz:

Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG, da der Kläger die erforderliche medikamentöse Therapie aus finanziellen Gründen nicht erhalten kann (arterielle Hypertonie, Herzerkrankung, Nephropathie usw.). In Nigeria existiert keine staatliche Heilfürsorge und auch keine staatliche Krankenversicherung

Schlagwörter: krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Nigeria, Hypertonie, Herzerkrankung, Nephropathie, medizinische Versorgung, Medikamente,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Mit dem Hilfsantrag ist die Klage jedoch begründet, soweit der Kläger sinngemäß die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begehrt. Dem Kläger steht in dem für die gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz AsylVfG) ein Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Es ist nämlich überwiegend wahrscheinlich, dass für den Kläger in Nigeria eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben besteht. [...]

Jedoch ergibt sich das Bestehen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben des Klägers (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) aus seiner Erkrankung. [...]

Der Kläger leidet, wie von Dr. ... und dem Universitätsklinikum Münster weitgehend übereinstimmend und auch überzeugend ausgeführt, an einer schweren arteriellen Hypertonie mit Endorganschäden, einer hypertensiven Herzkrankheit, einem Fundus hypertonicus und einer hypertensiven Nephropathie (so Dr. ...) bzw. Nephrosklerose (so das Universitätsklinikum Münster). Wie von Dr. ... überzeugend ausgeführt, bestehen unter der medikamentösen Therapie gegenwärtig relativ stabile kardiale Verhältnisse; hierbei ist der Kläger jedoch regelmäßig auf die Überwachung der dauerhaft geschädigten Organe wie Herz, Nieren und Augen sowie auf die Überprüfung der Medikation angewiesen. Der Kläger hätte ohne die medikamentöse Therapie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine schwere lebensbedrohliche Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes zu erwarten. Wie von Dr. ... in der Bescheinigung vom 23. März 2007 - vor dem Hintergrund der Erkrankungen des Klägers überzeugend - ausgeführt, bestände dann nämlich die akute Gefahr, dass innerhalb weniger Wochen bis Monate der Blutdruck entgleiste und sich erneut schwere lebensbedrohliche Dekompensationen des Herzens und der Nieren in Form eines Lungenödems, von Herzrhythmusstörungen oder eines Herzversagens einstellten.

Der Kläger wird bei einer Rückkehr nach Nigeria die erforderliche medikamentöse Therapie - die mit einer regelmäßigen ärztlichen Überprüfung der Medikation und Überwachung der dauerhaft geschädigten Organe einhergehen muss - aus finanziellen Gründen nicht erhalten.

Nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16. Mai 2006 existiert in Nigeria keine staatliche Heilfürsorge und auch keine staatliche Krankenversicherung. Die Patienten müssen ihre Behandlung auch in staatlichen Krankenhäusern selbst bezahlen. Hilfsorganisationen, die für Not leidende Patienten die Kosten übernehmen wurden, seien dem Auswärtigen Amt nicht bekannt. Die wirtschaftliche und soziale Lage Nigerias bleibe aufgrund struktureller Schwächen schwierig und angespannt. Die tatsächliche Arbeitslosenquote dürfte landesweit bei ca. 30 % liegen, wobei die Grenze zwischen Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit schwimmend sei. Die breite Mehrheit der nigerianischen Bevölkerung leide unter Verarmung. Ca. 60 % der Bevölkerung lebe unterhalb der absoluten Armutsgrenze von 1 US $ pro Tag.

Angesichts dieser Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass der Kläger die für ihn erforderliche medizinische Behandlung in Nigeria aus finanziellen Gründen nicht erlangen kann. Denn es ist nicht erkennbar, dass er in der Lage wäre, die Kosten sowohl für die in erheblicher Anzahl benötigten Medikamente als auch für die unerlässliche regelmäßige, die medikamentöse Therapie begleitende ärztliche Überprüfung der Medikation sowie Überwachung der dauerhaft geschädigten Organe zu bezahlen. Der Kläger macht nicht den Eindruck, dass er zu den bemittelten Nigerianern gehört. Er gibt an, vor der Ausreise kein Geld verdient zu haben und keine Berufsausbildung zu haben. Diese Angaben, die sich in die Erkenntnislage über die wirtschaftliche und soziale Situation in Nigeria einfügen, erscheinen dem Gericht glaubhaft. [...]