VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 17.06.2010 - 7 K 695/08.A - asyl.net: M17564
https://www.asyl.net/rsdb/M17564
Leitsatz:

Keine Gruppenverfolgung von Tamilen in Sri Lanka.

Schlagwörter: Asylverfahren, Sri Lanka, Tamilen, Gruppenverfolgung, Verfolgungsdichte
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Kläger ist nicht als politisch Verfolgter aus Sri Lanka ausgereist. Er war vor seiner Ausreise weder in Gefahr, Opfer einer Gruppenverfolgung zu werden, noch war er von individueller politischer Verfolgung betroffen oder unmittelbar bedroht.

Eine Gruppenverfolgung zum Zeitpunkt der Ausreise seitens des srilankischen Staates oder Dritter lag nicht vor. Auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist keine Verfolgungssituation eingetreten, wonach der Kläger in Anknüpfung an seine tamilische Volkszugehörigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gruppenverfolgung seitens des srilankischen Staates oder Dritter befürchten müsste. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat in mehreren aufeinanderfolgenden Entscheidungen sowohl für das Jahr 2006 als auch die Zeiträume danach jeweils das Vorliegen einer Gruppenverfolgung betreffend Tamilen - oder relevanten Untergruppe, wie etwa der Gruppe der jungen männlichen Tamilen aus dem Norden oder Osten Sri Lankas - unter ausführlicher Auseinandersetzung mit den vorliegenden Gutachten und Auskünften mit detaillierten Ausführungen verneint (vgl. OVG NRW, Urteile vom 24. Mai 2006 - 21 A 3940/04.A -, vom 17. Januar 2007 - 21 A 554/02.A -, vom 29. April 2009 - 3 A 3013/04.A -, vom 8. Juli 2009 - 3 A 3295/07.A - und zuletzt Urteil vom 10. März 2010 - 3 A 784/08.A -).

Das Gericht schließt sich der Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen unter Berücksichtigung der in der Erkenntnisliste aufgeführten aktuellen Erkenntnisse seit Herbst 2009, die den Befund des Oberverwaltungsgerichts bestätigen, an. Danach ergibt sich zusammenfassend aus den Auskünften des Auswärtigen Amtes (AA), von amnesty international (ai), dem UNHCR, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), Human Rights Watch sowie weiterer in der Erkenntnisliste aufgeführter Organisationen und aktueller Presseberichte im Wesentlichen folgendes:

Seit Dezember 2006 verschlechterte sich die Sicherheitslage und die Menschenrechtslage in Sri Lanka erheblich. Die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und LTTE konzentrierten sich vorwiegend auf den Nordosten des Landes, auch wenn landesweit mit terroristischen Anschlägen der LTTE zu rechnen war. Tamilen standen unter einer Art Generalverdacht, in Verbindung zur LTTE zu stehen und mussten daher landesweit mit Kontrollen und Überprüfungen rechnen, wobei schon geringste Verdachtsmomente für eine Verhaftung ausreichten. Tamilen waren zudem nach übereinstimmender Auskunftslage deutlich überproportional von längeren Haftzeiten betroffen, als andere Bevölkerungsgruppen. Im Frühjahr des Jahres 2009 spitzten sich die Kampfaktivitäten zu. Hierbei kamen im Mai 2009 der LTTE-Chef Prabhakaran, sein Sohn und fast alle LTTE-Führungsmitglieder ums Leben. Trotz der Beendigung der Kampfhandlungen wurde der Ausnahmezustand auch nach dem Ende des Bürgerkriegs monatlich verlängert. Trotz der von der Regierung reklamierten Niederringung der LTTE, unterstellte sie zur Begründung des Ausnahmezustandes eine fortbestehende Bedrohungslage - insbesondere aus dem Ausland - für die staatliche Sicherheit. In der letzten Bürgerkriegsphase sollen von Januar bis April 2009 nach UN-Angaben ca. 7000 Zivilisten getötet worden sein und mehr als 280.000 (bis ca. 300.000) Binnenvertriebe (IDP) in Lager geflohen sein. Hiervon sollen nach Angaben des UNHCR im April 2010 noch ca. 82.000 in Flüchtlingslagern gelebt haben. In sogenannten "Rehabilitationslagern" befinden sich noch ca. 9.000 mutmaßliche ehemalige LTTE-Kämpfer, zu denen selbst das Internationale Rote Kreuz keinen Zutritt hat. Die Strukturen der LTTE sind zerstört. Neben in Haft oder Lagern befindlichen Kämpfern und ehemaligen Funktionären sind weitere LTTE-Angehörige in Sri Lanka oder im Ausland untergetaucht. Sie sind derzeit nicht in der Lage, koordiniert eine Nachfolgeorganisation der LTTE zu betreiben oder die Organisationsstrukturen der LTTE wiederaufzubauen (vgl. International Crisis Group, War Crimes in Sri Lanka, Bericht vom 17. Mai 2010; Deutscher Bundestag, Drucksache 17/1530, Antwort der Bundesregierung vom 27. April 2010 auf die Kleine Anfrage vom 13. April 2010 betreffend die Menschenrechtslage und den Friedensprozess in Sri Lanka; SFH, Positionspapier vom 8. Dezember 2009, wonach von ca. 280.000 IDP inzwischen 130.000 aus den Lagern freigelassen worden seien; SFH, Update vom 7. Juli 2009: u.a. zu dem Kriegsverlauf im Frühjahr 2009).

Nach Beendigung der militärischen Auseinandersetzung bemühte sich die Regierung in kleinen Schritten um eine Normalisierung der Lage und ließ zunächst Kommunalwahlen durchführen. Nach einer Phase einer gewissen Entspannung im zweiten Halbjahr 2009 nach Beendigung des Bürgerkrieges verschlechterte sich die Menschenrechtslage wieder mit dem Präsidentschaftswahlkampf im Dezember 2009 und dem Wahlkampf zu den Parlamentswahlen im April 2010. Oppositionelle (Tamilen und auch Singhalesen) hatten mit Einschüchterungen und Repressalien zu rechnen. Trotz einiger Unregelmäßigkeiten verliefen die Präsidentschaftswahlen am 26. Januar 2010 und die Parlamentswahlen am 8. April 2010 weitgehend ruhig, wobei Präsident Mahinda Rajapaksas und die Regierungsparteien in den Wahlen bestätigt wurden. Die Regierung unternahm seit Beendigung des Bürgerkrieges alles, um eine Neuformierung der LTTE zu verhindern. Die Sicherheitslage in Sri Lanka hat sich danach gegenüber der Phase der militärischen Auseinandersetzung weder erheblich verbessert noch verschlechtert (vgl. u.a. Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage - Lagebericht - vom 2. September 2009; SFH, Positionspapier vom 8. Dezember 2009; Deutscher Bundestag, Drucksache 17/1530, a.a.O.).

Für die Annahme einer Gruppenverfolgung kann für den Zeitraum seit 2006 zunächst nicht von einer ausreichenden Verfolgungsdichte ausgegangen werden. Unter Berücksichtigung der Anzahl der in Sri Lanka lebenden Tamilen und der belegten Anzahl von Festnahmen und berichteter Repressalien gegenüber Tamilen, fehlen ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass Tamilen im allgemeinen oder entsprechende Untergruppen tamilischer Volkszugehörigkeit (wie etwa die Gruppe zurückkehrender, junger tamilischer Männer, die aus dem Norden des Landes stammen) aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit landesweit oder regional einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sind. Das vorliegenende Erkenntnismaterial reicht nicht aus, um mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Dichte von Übergriffen (insbesondere auf aus Europa zurückkehrende Asylbewerber) annehmen zu können (vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. März 2010 - 3 A 784/08.A - mit weiteren Nachweisen).

Bezüglich der Verfolgungsintensität ist zu berücksichtigen, dass zurückkehrende Asylbewerber, die bislang ausschließlich über den Flughafen von Colombo einreisen können, dort mit Einreisekontrollen rechnen müssen. Bei denjenigen, die über keinen srilankischen Reisepass verfügen, können diese Kontrollen eingehender sein. Bei einer Rückkehr mit Dokumenten, die von srilankischen Auslandsvertretungen ausgestellt wurden (sog. Emergency-Pass oder ICOM) ist regelmäßig mit einer Personenüberprüfung und Befragung durch die Kriminalpolizei am Flughafen bezüglich Identität, persönlichem Hintergrund und Reiseziel zu rechnen (vgl. AA, Lageberichte vom 7. April 2009 und vom 2. September 2009).

Derartige Maßnahmen zur Identitätsfeststellung sind dem Grunde nach als Bestandteil präventiver und repressiver Tätigkeit staatlicher Sicherheitskräfte im Rahmen von Kriminalitäts- und Terrorismusabwehr einzustufen, denen in der Regel schon die erforderliche Eingriffsintensität fehlt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 2000 - 9 B 576.99 - Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 225).

Auch sofern im Zusammenhang mit Schwierigkeiten bei der Identifizierung kurzfristige Festnahmen erfolgen lässt sich jedenfalls bei einem Staat wie Sri Lanka, in dem seit mehreren Jahrzehnten Bürgerkrieg herrschte und die Sicherheitskräfte landesweit mit Terroranschlägen konfrontiert waren, aus einer Inhaftierung von wenigen Tagen ohne zusätzliche Rechtsverletzungen kein Ausschluss aus der staatlichen Friedensordnung herleiten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 2000 - 9 B 576.99 - a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 8. Juli 2009 - 3 A 3295/07.A - und vom 29. April 2009 - 3 A 3013/04.A -).

Den Auskünften lassen sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass (tamilische) Rückkehrer generell mit längerdauernden Verhaftungen, körperlichen Misshandlungen oder Folter rechnen müssten, auch wenn in Einzelfällen hierüber berichtet wurde und Haft und Folter nicht auszuschließen sind (vgl. AA, Lageberichte vom 7. April 2009 und vom 2. September 2009; SFH, Bericht vom 11. Dezember 2008 über im Frühjahr 2007 bekannt gewordene Verhaftungsfälle; SFH, Update vom 7. Juli 2009 mit Daten über bekannt gewordene Entführungen und Festnahmen in Colombo im Frühjahr 2009 (die sich sowohl gegen Tamilen als auch Singhalesen richteten)).

Auch die Verhältnisse in Colombo und Umgebung sind nicht geeignet, eine Gruppenverfolgung annehmen zu können. Eine allein ethnisch begründete Verfolgung von Tamilen in Colombo, die dort nach einer Studie aus dem Jahre 2005 die Bevölkerungsmehrheit stellen, fand und findet nicht statt. In diesem Zusammenhang fehlt es an Belegen für die notwendige Verfolgungsdichte bzw. dafür, dass quasi jeder dort lebende Tamile einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sei (vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. April 2009, a.a.O., wonach die Anzahl der dokumentierten Verhaftungsfälle in einer Größenordnung von 1-2 % der dort lebenden Tamilen (bzw. der Untergruppe junger Tamilen) liege; SFH, Update vom 7. Juli 2009: ca. 280 Verhaftungsfälle im Frühjahr 2009 - hiervon ca. 85 % betreffend Tamilen; SFH, Update vom 11. Dezember 2008: ca. 450 Verhaftungsfälle im Zeitraum von April 2008 bis November 2008; zudem sollen sich Anfang September 2009 ca. 1.200 junge Tamilen in Haftzentren Colombos befunden haben).

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass quasi jeder junge Tamile, der aus nördlichen Landesteilen stammt, in Colombo der Gefahr einer Gruppenverfolgung ausgesetzt ist. Viele der in Colombo lebenden Tamilen stammt aus dem Norden und zählen zu der jüngeren Bevölkerungsgruppe. Nach Auskunft der Schweizer Flüchtlingshilfe zogen allein im August 2008 weitere ca. 6.950 Personen dieser Gruppierung nach Colombo. Jeden Monat kämen weitere Tamilen aus verschiedenen Landesteilen ohne "valid reason" hinzu (vgl. SFH, Update vom 11. Dezember 2008; vgl. hierzu auch OVG NRW, Urteil vom 29. April 2009 - 3 A 30103/04.A -, wonach 1.200 junge Tamilen in Haft einem Bevölkerungsanteil von ca. 1,3 % der in Colombo lebenden jungen Tamilen entspreche).

Auch für die übrigen Landesteile fehlt es an der erforderlichen Verfolgungsdichte bezogen dort lebende ca. 2 Millionen Tamilen. Selbst die Vorkommnisse während der Großoffensive im Frühjahr 2009 rechtfertigen nicht die Einschätzung, das Vorgehen der staatlichen Sicherheitskräfte sei als politische Verfolgung einzustufen und gezielt gegen die tamilische Zivilbevölkerung gerichtet. Die vorliegenden Auskünfte stimmen darin überein, dass es der Regierung um die Zerschlagung der LTTE und Rückeroberung von ihr besetzter Gebiete ging (vgl. zur Berechnung des tamilischen Bevölkerungsanteils und bezüglich der Lage während der Großoffensive seit Januar 2009: OVG NRW, Urteil vom 29. April 2009, a.a.O. mit weiteren Nachweisen; Deutscher Bundestag, Drucksache 17/1530, a.a.O. S. 6 f.).

Es steht außer Frage, dass die überwiegend tamilische Bevölkerung im Norden und Osten Sri Lankas besonders unter den kriegerischen Auseinandersetzungen im Frühjahr 2009 zu leiden hatte. Bei Bewertung des Kampfgeschehens ergeben sich hingegen keine Anhaltspunkte dafür, dass es der Regierung um die physische Vernichtung der im Norden lebenden tamilischen Bevölkerungsgruppe ging. Auch rücksichtslose Aktionen der Sicherheitskräfte zielten nach ihrer objektiven Gerichtetheit nicht auf die Zivilisten ab, sondern betrafen sie allein wegen ihrer faktischen Anwesenheit in jeweils umkämpften Gebieten (vgl. OVG NRW, Urteil vom 8. Juli 2009 - 3 A 3295/07.A - mit weiteren Nachweisen).

Es liegen inzwischen zwar Anhaltspunkte dafür vor, dass in der letzten Kriegsphase durch Angehörige der Regierungstruppen verübte Kriegsverbrechen u.a. im Zusammenhang mit Angriffen auf Hospitäler erfolgt sein könnten. Soweit derartige Übergriffe von der Regierung eingeräumt werden, beruft sie sich zur Rechtfertigung darauf, die Einrichtungen seien von der LTTE als menschlicher Schutzschild missbraucht worden. Eine Aufarbeitung der Kriegsverbrechen der Regierung und der LTTE ist bislang nicht erfolgt (vgl. International Crisis Group, War Crimes in Sri Lanka, Bericht vom 17. Mai 2010; ai, Pressebericht vom 18. Mai 2010).

Bei wertender Betrachtung handelt es sich - auch wenn derartige Kriegsverbrechen noch zur Verurteilung einzelner Militärs führen sollten - letztlich um Exzesse, die Ausdruck von Rücksichtslosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber noch im Kampfgebiet lebenden Zivilisten sind.

Es bestehen schließlich auch keine Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm gegenüber Tamilen bzw. relevante Untergruppen. Regierungsverlautbarungen lässt sich nichts dergleichen entnehmen. Auch soweit die tamilische Bevölkerungsgruppe in höherem Maße von Verhaftungen und Anti-Terror-Maßnahmen aufgrund der Anti-Terror-Gesetzgebung betroffen ist, lässt sich hierin bei objektiver Betrachtung keine staatliche Gerichtetheit der Maßnahmen im Sinne einer Schlechterbehandlung von Tamilen erkennen. Sämtliche staatlichen Maßnahmen dienten vielmehr dem Ziel der Bekämpfung der LTTE und der Aufklärung oder Verhinderung von ihr verübter oder befürchteter Straftaten (vgl. OVG NRW, Urteile vom 29. April 2009, a.a.O., vom 8. Juli 2009 - 3 A 3295/07.A - und zuletzt Urteil vom 10. März 2010 - 3 A 784/08 -mit weiteren Nachweisen; Deutscher Bundestag, Drucksache 17/1530, a.a.O., S. 7).

Schließlich bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger befürchten müsste, eine Gruppenverfolgung seitens Dritter - insbesondere der LTTE - zum Opfer zu fallen. Nachdem die LTTE im Mai 2009 militärisch besiegt wurde und der Führungsstab der LTTE in den Kämpfen getötet wurde, ist die LTTE gegenwärtig rein faktisch nicht mehr in der Lage, generelle Verfolgungsmaßnahmen gegenüber größeren Teilen der tamilischen Bevölkerung zu verüben. Auch eine Verfolgung durch Mitglieder der Karuna-Gruppe, deren Herrschaftsbereich auf die Ostprovinz beschränkt ist, würde Tamilen nicht landesweit treffen (vgl. OVG NRW, Urteile vom 8. Juli 2009 - 3 A 3295/07.A - und vom 10. März 2010 - 784/08.A -, Deutscher Bundestag, Drucksache 17/1530, a.a.O. S. 6).

Auch soweit im Jahr 2005 Übergriffe der Sicherheitskräfte gegenüber aus dem Ausland abgeschobenen Asylbewerbern bei der Wiedereinreise nach Sri Lanka erfolgt sein sollen, gilt im Ergebnis nichts anderes. Derartige Übergriffe hätten für den Kläger, der auch freiwillig ausreisen könnte, keine Aussagekraft (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 2010 - 10 B 18.09 - und OVG NRW, Urteil vom 10. März 2010 - 3 A 784/08 -).

Unabhängig hiervon ist aufgrund der zwischenzeitlichen politischen Entwicklungen nunmehr außer der Rückkehrmöglichkeit nach Colombo von weiteren inländischen Ausweichmöglichkeiten (Umfeld von Colombo, oder südwestliche Provinzen - soweit möglich - auch die jeweilige Herkunftsregion) auszugehen, die auch jungen Tamilen, die nach Colombo zurückkehren oder dort leben, offen stünden. Zahlreiche Binnenvertriebene sind seit Mitte 2009 in ihre Heimatregionen zurückgekehrt. Von insgesamt 192.000 seit Kriegsende aus Flüchtlingslagern entlassenen Binnenvertriebenen konnten etwa 105.000 zu ihren ursprünglichen Wohnorten zurückkehren. Die Binnenvertriebenen nutzen zudem die Möglichkeit, Lager zu verlassen oder bei Bedarf wieder aufzusuchen. Während der Parlamentswahlen, den "Sinhala-Ferien" und dem tamilischen Neujahr trat eine dreiwöchige Unterbrechung der Rückkehrwelle ein. Im Anschluss hieran kehrten weitere 7.000 Binnenvertriebene (IDP) in die Distrikte Kilinochi und Mullaitivu zurück; die Rückkehr erfolgte auch in Gegenden mit erheblichen Zerstörungen. Die Betroffenen konnten entweder in die eigenen Häuser zurückkehren oder bei Freunden oder Verwandten in Vavuniya, Mannar, K. oder anderen Distrikten Zuflucht finden. Der UNHCR unterstützt die Rückkehr auch finanziell und gewährt rückkehrenden Familien eine Startunterstützung in Höhe von 220 US-Dollar (bzw. 25.000 Rupien). Bis März 2010 hatten mehr als 40.000 Familien eine solche Unterstützung erhalten. Neben der finanziellen Unterstützung werden Rückkehrern Moskitonetze, Schlafmatten und Kochgeschirr zur Verfügung gestellt. Der UNHCR unterstütz auch Aktivitäten zur Räumung von Minen und dem Wiederaufbau der Infrastruktur (vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 17/1530, S.7; UNHCR, Briefing vom 27. April 2010, wonach ca. 207.000 IDP die Lager seit August 2009 verlassen haben und an ihre Heimatorte in Vavuniya, Mannar, K. und anderen Distrikten zurückgekehrt seien; UNHCR, Pressebericht vom 28. April 2010). [...]

Beim Kläger liegen auch keine anderen individuellen Risikomerkmale vor, die die Annahme rechtfertigen, er müsse aus individuellen Gründen mit Verfolgungsmaßnahmen seitens srilankischer Sicherheitskräfte oder Dritter rechnen. Nachdem er unverfolgt ausgereist ist, braucht er nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine individuelle politische Verfolgung durch die Sicherheitskräfte zu befürchten. Auch wenn er im Falle einer Rückkehr am Flughafen von Colombo einer Personenüberprüfung unterzogen wird, hat er zunächst lediglich mit den üblichen Befragungen durch die Kriminalpolizei betreffend Identität, persönlichem Hintergrund und Reiseziel zu rechnen. Gegebenenfalls werden die Sicherheitskräfte hierbei feststellen, dass er aus der Gegend von K. stammt und tamilisch spricht. Selbst wenn der Kläger damit in den Anfangsverdacht einer LTTE-Unterstützung geraten könnte, ist hingegen nicht beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass er mit einer längeren Inhaftierung oder Folter zu rechnen hat.

Nach Einreise mit einem sog. Emergency-Pass erfolgt keine automatische Vorführung beim Magistrate Court mehr. Es ist nicht auszuschließen, dass der Datensatz des Betreffenden zu einem Vermerk im Reisedokument führt. Fälle diskriminierender Behandlung einreisender Tamilen sind nicht bekannt geworden (vgl. AA, Lageberichte vom 7. April 2009 und vom 2. September 2009).

Im Übrigen könnte der Kläger bei einer Befragung am Flughafen den etwaigen Verdacht einer LTTE-Nähe weitgehend ausräumen - indem er seine Lebensumstände in London - wie im Erörterungstermin vom 29. August 2008 - näher darlegt, wonach er von 1999 bis 2004 und von Oktober 2006 bis April 2007 in London gelebt habe und u.a. durch Arbeit in einer Hühnchen-Firma seinen Lebensunterhalt gesichert habe. Weiter könnte er gegenüber den Behörden durch Passeintragungen plausibel machen, dass er nicht in die Endphase des Bürgerkrieges involviert war, weil er in den letzten Jahren in Deutschland war (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2006 - 1 C 15/05 -, BVerwGE 126, 243 ff. sowie Beschluss vom 5. Januar 2007 - 1 B 131/06 -, Juris; OVG NRW, Beschluss vom 19. Februar 2008 - 20 A 2300/06.A -, Juris). [...]