OVG Saarland

Merkliste
Zitieren als:
OVG Saarland, Urteil vom 15.10.2009 - 2 A 329/09 - asyl.net: M17581
https://www.asyl.net/rsdb/M17581
Leitsatz:

Zur Unzumutbarkeit der Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG bei "faktischen Inländern" und einer daraus erwachsenden Rechtsposition aus Art. 8 EMRK.

Schlagwörter: Straftat, Versagungsgrund, Regelversagungsgrund, Altfallregelung, Bleiberecht, besondere Härte, Suizidgefahr, Unmöglichkeit der Ausreise, faktischer Inländer, Integration, wirtschaftliche Integration, Kinder, Kind, Achtung des Privatlebens, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen,
Normen: BZRG § 46 Abs. 1, BZRG § 51 Abs. 1, AufenthG § 104a Abs. 3 S. 2, AufenthG § 104a, AufenthG § 25 Abs. 5, AufenthG § 25 Abs. 5 S. 1, EMRK Art. 8,
Auszüge:

[...]

A.

Die Kläger haben keine Ansprüche auf Verlängerung beziehungsweise Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen. Solche Ansprüche ergeben sich weder aus § 25 AufenthG (1.), noch aus administrativen oder (inzwischen) gesetzlichen Bleiberechtsreglungen für langjährig in Deutschland lebende Ausländer (2. und 3.).

1. Ein Anspruch der Kläger auf Erteilung oder Verlängerung (§ 8 AufenthG) von Aufenthaltserlaubnissen ergibt sich nicht aus § 25 AufenthG.

a. Der § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG kommt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG können die Kläger, die alle drei erfolglos Asylverfahren in Deutschland durchlaufen haben, mangels dahingehender positiver Feststellung durch das in diesen Fällen allein zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gegenüber der Ausländerbehörde von vorneherein nicht mit Erfolg geltend machen (vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 26.11.2007 – 2 B 461/07 –, SKZ 2008, 102, Leitsatz Nr. 56, ständige Rechtsprechung). Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse standen im Übrigen allein im Fall der Klägerin zu 1) aufgrund einer bei ihr diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung und früher unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo im Raum. Dass davon nicht mehr ausgegangen kann, ist nach dem ausführlichen, sich zentral mit diesen Fragen beschäftigenden Urteil des Verwaltungsgerichts vom Februar 2007, (vgl. VG des Saarlandes, Urteil vom 21.2.2007 – 10 K 11/05.A –) durch das die Klage der Klägerin zu 1) gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamts vom 1.2.2005 rechtskräftig abgewiesen worden ist, geklärt. Im Übrigen nicht ersichtliche zwischenzeitliche negative Veränderungen des Krankheitsbildes oder der medizinischen Versorgungssituation im Herkunftsland wären allenfalls im Rahmen eines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gegenüber dem Bundesamt geltend zu machen.

Der Frage, inwieweit dem im Jahre 2002 in seine Heimat abgeschobenen und (wohl) kurze Zeit darauf wieder illegal eingereisten Kläger zu 2) nach zwischenzeitlicher Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Blick auf Art. 6 GG noch die Sperre des § 11 Abs. 1 AufenthG entgegen gehalten werden kann, bedarf daher keiner Vertiefung.

b. Die Voraussetzungen nach § 25 Abs. 5 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Danach kann einem Ausländer abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seiner Ausreise ein zwingendes dauerhaftes und von ihm nicht zu vertretendes Hindernis entgegensteht. Dies ist nicht erkennbar. Was die von den Klägern im Berufungsverfahren erneut als (inländisches) Ausreisehindernis eingewandte Suizidalität der Klägerin zu 1) betrifft, so hat der Senat bereits in dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren im Jahre 2008 klargestellt, dass die Ausländerbehörde bei ernsthaften Selbstmordabsichten eines Ausländers je nach den Gegebenheiten des Falles geeignete Vorkehrungen, unter anderem durch Sicherstellung einer ärztlichen Begleitung bei der Rückführung in das Heimatland, dafür zu treffen hat, dass sich der Gesundheitszustand durch den Abschiebevorgang nicht deutlich verschlechtert (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58). Dies steht der Annahme einer dauerhaften rechtlichen und/oder tatsächlichen Unmöglichkeit der "Ausreise" im Verständnis des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zwingend entgegen. Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte aktuelle fachärztliche Bescheinigung des behandelnden Arztes (vgl. das Attest des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie P. vom 13.10.2009, Blatt 159 der Gerichtsakte) rechtfertigt keine andere Beurteilung dieser Frage. Diese bezieht sich, insbesondere was die Ausführungen zum Erfordernis einer weiteren intensiven Behandlung der psychischen Erkrankung angeht, ohnehin überwiegend auf die Frage der Sicherstellung der Fortführung einer solchen im Zielstaat der Abschiebung und ist insoweit hier nach dem zuvor Gesagten in diesem Verfahren nicht von Bedeutung. Soweit mit dem Hinweis auf ein "erneutes Auftreten suizidaler Gedanken" bei der Klägerin zu 1) die Frage der Reisefähigkeit thematisiert wird, enthält das Attest keinerlei Hinweis auf neue Umstände oder eine (wesentliche) Veränderung gegenüber dem bisherigen Erkenntnisstand, der bereits Gegenstand mehrerer erfolgloser Eilrechtsschutzersuchen gewesen ist (vgl. dazu insbesondere OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58).

Eine "Unmöglichkeit" der Ausreise im Sinne des Art. 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt einer Unzumutbarkeit der Ausreise der Kläger beziehungsweise ihrer Rückkehr in den Kosovo lässt sich auch nicht aus Art. 8 EMRK herleiten. Das hat das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Senats zutreffend begründet. Eine Aufenthaltsbeendigung kann nur dann einen konventionswidrigen Eingriff in das "Privatleben" im Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über so "starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte" zum "Aufnahmestaat" verfügt, dass er aufgrund der Gesamtentwicklung "faktisch zu einem Inländer" geworden ist, dem wegen der Besonderheiten seines Falles ein Leben in dem Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann.

Eine schützenswerte Rechtsposition selbst eines im Kindesalter eingereisten und in Deutschland aufgewachsenen Ausländers auf der Grundlage des Art. 8 EMRK als so genannter "faktischer Inländer" kommt allenfalls in Betracht, wenn von seiner abgeschlossenen "gelungenen" Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Abschiebungshindernisses auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist, ausgegangen werden kann. Nicht ausreichend ist es hingegen, dass sich der Betreffende über einen langen Zeitraum im Inland aufgehalten hat (vgl. dazu zuletzt OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 9.4.2009 – 2 B 318/09 –, und vom 24.6.2009 – 2 B 348/09 –). Eine "gelungene" soziale und wirtschaftliche Integration kann im Falle der Kläger nicht angenommen werden. Die Kläger haben während ihres nun insgesamt über 16 Jahre währenden Aufenthalts in Deutschland durchgehend öffentliche Hilfen zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch genommen. Eine isolierte Betrachtung des minderjährigen, in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Klägers zu 3) kommt in dem Zusammenhang nicht in Betracht (vgl. auch hierzu bereits OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58). [...]

Die Revision gegen diese Entscheidung wurde vom BVerwG mit Urteil vom 11.1.2011 - 1 C 22.09 - (asyl.net, M18448) zurückgewiesen.