OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 07.09.2010 - 11 LA 392/09 [= ASYLMAGAZIN 2010, S. 388 f.] - asyl.net: M17614
https://www.asyl.net/rsdb/M17614
Leitsatz:

Mit der Einbürgerung des Stammberechtigten erlischt dessen Asylberechtigung, so dass hinsichtlich der Familienangehörigen der Widerrufstatbestand des § 73 Abs. 2 b Satz 2 AsylVfG eingreift.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Erlöschen, Stammberechtigter, Familienasyl, Familienflüchtlingsschutz, Widerruf
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 73 Abs. 2b S. 2, AsylVfG § 26, AsylVfG § 73 Abs. 1 Nr. 3
Auszüge:

[...]

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. In den Fällen des § 26 Abs. 1, 2 und 4 AsylVfG ist gemäß § 73 Abs. 2 b Satz 2 AsylVfG die Anerkennung als Asylberechtigter ferner zu widerrufen, wenn die Anerkennung des Asylberechtigten, von dem die Anerkennung abgeleitet worden ist, erlischt, widerrufen oder zurückgenommen wird und der Ausländer nicht aus anderen Gründen als Asylberechtigter anerkannt werden könnte.

Die Tatbestände, die zum Erlöschen der Asylberechtigung führen, sind in § 72 Abs. 1 AsylVfG aufgeführt. Gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG erlischt die Anerkennung als Asylberechtigter, wenn der Ausländer auf Antrag eine neue Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er erworben hat, genießt. Nach dem Wortlaut der Vorschrift gilt § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG auch für die Einbürgerung eines Asylberechtigten in die Bundesrepublik Deutschland. Aus dem Zusammenhang mit § 72 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG, der den Erlöschensgrund der freiwilligen Wiedererlangung der früheren Staatsangehörigkeit (und damit der Staatsangehörigkeit des Verfolgerstaates) regelt, ergibt sich, dass § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG den Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit, d.h. der Staatsangehörigkeit eines anderen Staates als der des Verfolgerstaates, betrifft. Dies kann aber auch der Asylstaat, d.h. die Bundesrepublik Deutschland, sein. Der Senat sieht keinen sachlichen Grund für eine einschränkende Auslegung dieser Vorschrift in dem Sinne, dass der nachträgliche Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht unter § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG subsumiert werden könnte (ebenso: Marx, AsylVfG, Komm., 7. Aufl., § 72 Rn. 53; Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht, Komm., § 72 AsylVfG Rn. 19; OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 28.6.2007 - 1 LB 4/07 -, m.w.N.; VG Aachen, Urt. v. 15.7.2010 - 6 K 1134/07.A - m.w.N.). Die von Renner (AuslR, Komm., 8. Aufl., § 72 Rn. 24) vertretene Auffassung, nach der der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit von § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG nicht erfasst werde, da diese die Anwendung asylrechtlicher Bestimmungen von vornherein ausschließe und eine zuvor erfolgte Asylanerkennung von selbst ("eo ipso") erledige, überzeugt den Senat nicht. Wenn der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit der Gewährung von Asyl oder der Flüchtlingsanerkennung vorausgeht, findet § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG deshalb keine Anwendung, weil einem deutschen Staatsangehörigen gar keine Asylberechtigung und kein Flüchtlingsstatus verliehen werden kann und es somit schon an der nach § 72 Abs. 1 1. Halbsatz AsylVfG vorausgesetzten Gewährung einer solchen Rechtsstellung fehlt. Anders liegt es aber dann, wenn ein Asylberechtigter oder anerkannter Flüchtling nachträglich die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt. Dieser Fall wird ohne Weiteres von dem Erlöschenstatbestand des § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG erfasst, so dass kein Anlass besteht, auf einen gesetzlich nicht geregelten Erledigungstatbestand ("eo ipso") zurückzugreifen.

Die von dem Kläger gestellten Fragen lassen sich daher dahingehend beantworten, dass durch die Einbürgerung des Stammberechtigten dessen Asylberechtigung erlischt und das Asylrecht nicht nur von den Einbürgerungsfolgen "überlagert" wird. Dass sich an der Verfolgungssituation im Heimatstaat möglicherweise nichts geändert hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Auch bei dem Erwerb der Staatsangehörigkeit eines dritten Staates kann mit Blick auf das Heimatland das Bedürfnis nach Schutz vor politischer Verfolgung durch den deutschen Staat fortbestehen. Gleichwohl erlischt die Asylanerkennung nach § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG, weil dem Schutzbedürfnis auf andere Weise nachgekommen wird. Da mit der Einbürgerung des Stammberechtigten dessen Asylanerkennung erlischt und somit hinsichtlich der Familienangehörigen der Widerrufstatbestand des § 73 Abs. 2 b Satz 2 AsylVfG eingreift, kann es auch nicht darauf ankommen, ob ohne die Einbürgerung die Asylanerkennung des Stammberechtigten widerrufen worden wäre. Die von dem Kläger aufgeworfene Frage, ob die Asylberechtigung eines Familienasylberechtigten widerrufen werden darf, wenn der Stammberechtigte ohne die Einbürgerung noch als Asylberechtigter anerkannt wäre, lässt sich daher aufgrund der gesetzlichen Regelungen ohne Weiteres bejahen. [...]