1. Keine mittelbar staatliche Gruppenverfolgung von Yeziden in der Türkei wegen ihrer Religionszugehörigkeit; auch ein Widerruf ist insoweit gerechtfertigt.
2. Hinsichtlich des Prognosemaßstabs hat in Widerrufsverfahren (§ 73 Abs. 1 AsylVfG) die bisherige Rechtsprechung, dass der Vorverfolgte vor einer erneuten (gleichartigen) Verfolgung hinreichend sicher sein muss, (zunächst) weiter Bestand, soweit es die nach nationalem Recht richtende Asylanerkennung betrifft.
3. Ein nach Schließung der mündlichen Verhandlung eingereichter Schriftsatz ist nicht zu berücksichtigen, wenn dieser am Freitag eingeht, dem zuständigen Richter aber erst am Montag vorgelegt wird, nachdem das vollständige Urteil bereits der Geschäftsstelle vorlag, da sich dies im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs des Gerichts hält. Dies gilt umso mehr, als der Schriftsatz keine Hervorhebung auf eine besondere Eilbedürftigkeit und die Notwendigkeit einer sofortigen Weiterleitung enthielt.
[...]
Der Senat vertritt seit seinem Grundsatzurteil vom 27. Juli 2007 - 11 LB 332/03 - (veröffentlicht in juris) nach Auswertung des aktuellen Erkenntnismaterials die Auffassung, dass Yeziden in der Türkei seit 2003 nicht mehr einer mittelbar staatlichen Gruppenverfolgung wegen ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt und sie bei Rückkehr in die Türkei auch hinreichend sicher vor Verfolgung sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urteil durch Beschluss vom 23. April 2008 - 10 B 156.07 - zurückgewiesen. Das Bundesverfassungsgericht hat die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Beschl. v. 3.7.2008 - 2 BvR 1083/08 -). Zwar lag dem genannten Urteil des Senats ein Asylantrag und nicht - wie im vorliegenden Verfahren - ein Widerrufsbescheid zugrunde, doch hat der Senat in der Folgezeit mehrfach entschieden, dass die dortigen Feststellungen auch einen derartigen Widerruf rechtfertigen, wenn die Anerkennung - wie hier - wegen einer (seinerzeit angenommenen) Gruppenverfolgung von Yeziden in der Türkei ausgesprochen worden war (vgl. etwa zuletzt Beschl. v. 24.8.2010 - 11 LA 448/09 -). Dass sich gegenüber der vom Senat vorgenommenen Bewertung der Verfolgungslage eine nicht nur unwesentliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse ergeben und sich durch zusätzliche Informationen die Erkenntnislage zu bereits bewerteten Verhältnissen entscheidungserheblich verändert hat und die zusätzlichen Erkenntnismittel zumindest geeignet erscheinen, die vom Senat vorgenommene Bewertung in Zweifel zu ziehen, hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt. Die von ihm zitierten Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Dresden, Neustadt, Hamburg und Freiburg sind keine tatsächlichen Erkenntnismittel und enthalten keine neuen, vom Senat bislang noch nicht gewürdigten tatsächlichen oder rechtlichen Aspekte. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Auffassung des Senats auch von anderen Oberverwaltungsgerichten geteilt wird (vgl. OVG NRW, Urt. v. 24.3.2010 - 18 A 2613/07.A -; OVG Saarland, Urt. v. 11.3.2010 - 2 A 401/08 -).
Die von dem Kläger weiter als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage, welcher Prognosemaßstab bei der Anwendung des § 73 Abs. 1 AsylVfG zugrunde zu legen sei, ist ebenfalls geklärt. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 27. April 2010 (- 10 C 5.09 -; ergänzend nunmehr Beschl. v. 21.7.2010 - 10 B 41.09 - u. v. 22.7.2010 - 10 B 20.10 -) dazu ausgeführt, dass der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung (mehr) habe. Stattdessen privilegiere Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG den Vorverfolgten bzw. Geschädigten durch die (widerlegbare) Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung oder Schädigung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werde. Ob die Vermutung durch "stichhaltige" Gründe widerlegt sei, obliege tatrichtlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Wie sich aus den zuvor wiedergegebenen Leitsätzen der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt, ist damit bedingt durch die Vorgaben in der sog. Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG der - auch beim Widerruf maßgebliche - Wahrscheinlichkeits- bzw. Prognosemaßstab (bislang) nur insoweit geändert worden, als der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung betroffen ist. Hingegen hat danach die bisherige Rechtsprechung, dass der Vorverfolgte vor einer erneuten (gleichartigen) Verfolgung hinreichend sicher sein muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.11.2005 - 1 C 21.04 -, BVerwGE 124, 276), (zunächst) weiter Bestand, soweit die sich nach nationalem Recht richtende Asylanerkennung betroffen ist (vgl. Senatsbeschl. v. 18.8.2010 - 11 LA 310/10 -). [...]
Dass das Verwaltungsgericht aufgrund des Schriftsatzes des Klägers vom 23. Oktober 2009 die am 14. Oktober 2009 stattgefundene mündliche Verhandlung nicht wiedereröffnet hat bzw. die in diesem Schriftsatz enthaltenen Ausführungen im Urteil nicht berücksichtigt hat, vermag der Gehörsrüge aber nicht zum Erfolg zu verhelfen.
Das Gebot zur Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Beteiligten müssen deshalb demgemäß auch Gelegenheit erhalten, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen und zu den entscheidungserheblichen Rechtsfragen sachgemäß, zweckentsprechend und erschöpfend erklären zu können (vgl. BVerwG, Beschl. v.15.7.2008 - 8 B 24.08 -, Buchholz 310, § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 77). Im Hinblick auf den nachgereichten Schriftsatz des Klägers kommt es maßgeblich darauf an, ob im Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht das erstinstanzliche Urteil bereits wirksam und damit unabänderbar gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 318 ZPO geworden war. Denn ab diesem Zeitpunkt ist eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht mehr zulässig und die Berücksichtigung von Vorbringen der Beteiligten ausgeschlossen (vgl. Kuntze, in: Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 116 Rn. 10; Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: März 2008, § 166 Rn. 10; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 116 Rn. 3). Allerdings besteht im Falle der hier gemäß § 116 Abs. 2 VwGO erfolgten Zustellung anstelle der Verkündung Streit in Rechtsprechung und Literatur, ob eine derartige Bindungswirkung bereits mit Übergabe des vollständigen Urteils - bzw. zumindest des Tenors der Entscheidung (vgl. § 117 Abs. 4 Satz 1 VwGO) - an die Geschäftsstelle (so BVerwG, Beschl. v. 27.4.2005 - 5 B 107.04, 5 B 107.04 - , juris, u. Beschl. v. 11.6.2001 - 8 B 17.01 -, NVwZ 2001, 1150; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl., § 116 Rn. 14; Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl., § 116 Rn. 7; Kuntze, a.a.O., § 116 Rn. 10) oder erst mit der Aufgabe der ersten zuzustellenden Ausfertigung zur Post (so BVerwG, Beschl. v. 13.9.1999 - 6 B 61.99, 6 PKH 5.99 -, Buchholz 301 § 98 VwGO Nr. 97; Kopp/Schenke, a.a.O., § 116 Rn. 3; Clausing, a.a.O., § 116 Rn. 10; Kilian, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 116 Rn. 33 ff.) eintritt. Im vorliegenden Fall ging das vollständige und von der Einzelrichterin (Berichterstatterin) unterzeichnete Urteil ausweislich des jeweiligen Stempelaufdrucks am 23. Oktober 2009 bei der Geschäftsstelle ein und wurde am 26. Oktober 2009 (eine Uhrzeit ist nicht angegeben) an die Beteiligten abgesandt (Bl. 87 GA). Der per Fax übermittelte Schriftsatz des Klägers vom 23. Oktober 2009 ging nach dem Eingangsstempel am 23. Oktober 2009 - einem Freitag - beim Verwaltungsgericht um 10.53 Uhr ein (Bl. 95 GA). Die Berichterstatterin nahm ausweislich der Gerichtsakte von diesem Schriftsatz am 26. Oktober 2009 - einem Montag - Kenntnis und verfügte: "z.Vg." (ebenfalls auf Bl. 95 GA). Allerdings ist die Uhrzeit der Kenntnisnahme nicht festgehalten. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, ob der Berichterstatterin der Schriftsatz des Klägers vom 23. Oktober 2009 vor oder nach der Herausgabe des Urteils zur Post vorgelegt worden ist. Würde man mit der wohl herrschenden Meinung für die Wirksamkeit des Urteils auf den Zeitpunkt der Übergabe des vollständigen Urteils an die Geschäftsstelle abstellen, wäre die Einzelrichterin nicht berechtigt gewesen, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen bzw. den nachgereichten Schriftsatz zu berücksichtigen. Denn von diesem hat sie erst am 26. Oktober 2009 Kenntnis genommen, als das vollständige Urteil bereits der Geschäftsstelle vorlag. Zwar war dieser Schriftsatz bereits am 23. Oktober 2009 in die Verfügungsgewalt des Verwaltungsgerichts gelangt, doch ist nichts dafür erkennbar, dass die Posteingangsstelle bzw. Geschäftsstelle diesen Schriftsatz pflichtwidrig zu spät an die Einzelrichterin weitergeleitet hat. Es hält sich im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 20.6.1995 - 1 BvL 166/93 -, BVerfGE 93, 99), wenn ein am Freitag eingehender Schriftsatz am Montag der zuständigen Richterin vorgelegt wird. Dies gilt hier umso mehr, als der Schriftsatz des Klägers keine Hervorhebungen enthielt, die auf eine besondere Eilbedürftigkeit und die Notwendigkeit der sofortigen Weiterleitung hingewiesen hätten.
Würde man sich aber der Meinung anschließen, dass eine Bindungswirkung erst mit der Aufgabe des Urteils zur Post eintreten kann, ist es angesichts der fehlenden Dokumentation der jeweiligen Uhrzeiten - siehe oben - nicht auszuschließen, dass am 26. Oktober 2009 noch eine Zurückholung in den Spruchkörper möglich gewesen wäre. Der Senat kann diese Frage aber letztlich dahinstehen lassen, weil der Kläger jedenfalls nicht schlüssig dargelegt hat, aus welchen Gründen das im Schriftsatz vom 23. Oktober 2009 enthaltene Vorbringen geeignet gewesen wäre, zu einer für ihn günstigeren Entscheidung zu führen (vgl. zu diesem Erfordernis Berlit, in: GK-AsylVfG, § 78 Rn. 633 ff.; Schenk, in: Hailbronner, AuslR, § 78 AsylVfG Rn. 150). [...]