SG Kassel

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Zitieren als:
SG Kassel, Urteil vom 21.09.2010 - S 1 AS 1410/08 - asyl.net: M17616
https://www.asyl.net/rsdb/M17616
Leitsatz:

Das SGB II enthält keine Anspruchsgrundlage für die Übernahme von Passbeschaffungskosten (Passpflicht für Ausländer). Ob die Kosten einer Passverlängerung in den Regelsätzen enthalten sind, hält das Gericht für fraglich, denn nach § 3 der Gebührenverordnung zum Passgesetz kann von der Erhebung der Gebühr für die Passbeschaffung (eines Deutschen) abgesehen oder diese ermäßigt werden, wenn der Betroffene bedürftig ist. Auch der Sozialhilfeträger hat die Passbeschaffungskosten nicht zu tragen, da keine atypische Bedarfslage vorliegt, die eine Anwendung des § 73 SGB XII (Hilfe in sonstigen Lebenslagen) rechtfertigt. Bis zur Verlängerung des Passes Ende 2012 sind die Passbeschaffungskosten von 663,95 EUR daher anzusparen.

Schlagwörter: Passbeschaffungskosten, SGB II, SGB XII, Bedarf, Regelleistung, Zuschuss, Darlehen, Sozialhilfe, atypischer Ausnahmefall
Normen: SGB II § 21, SGB II § 20 Abs. 1 S. 1, SGB II § 23 Abs. 1, GG Art. 20 Abs. 1, SGB XII § 73, SGB XII § 28 Abs. 1 S. 2
Auszüge:

[...]

Was die Beklagte betrifft, hat die Klage keinen Erfolg, weil zunächst ein entsprechender wie vom Kläger geltend gemachter Bedarf als Zuschuss nicht von dem Leistungskatalog des SGB II umfasst ist. Im Gegensatz zu dem früheren Recht des BSHG enthält das SGB II von in § 21 SGB II normierten Ausnahmen abgesehen keine Regelungen über die Gewährung von einmaligen oder regelmäßigen Zuschüssen, insbesondere nicht in Form von Zuschüssen für die Passbeschaffung. Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden durch die Regelleistungen grundsätzlich alle laufenden und einmalige Bedarfe abgegolten. Diese Regelleistungen umfassen insbesondere die Ernährung, Kleidung, Körperpflege, den Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. So gesehen spricht vieles dafür, dass die Kosten für die Beschaffung eines Reisepasses einschließlich der Fahrtkosten zur Passbeschaffung von der Regelleistung nach § 20 Abs. 1 SGB II umfasst sein können (vgl. entsprechend Sächsisches Landessozialgericht, 22.08.2007 - L 3 AS 114/06 NZB; SG Bremen, 25.05.2010 - S 22 AS 39/10 ER -, jeweils juris). Ob die Kosten einer Passverlängerung tatsächlich in den Regelsätzen enthalten sind, hält das Gericht jedoch für fraglich. Aus § 3 der Gebührenverordnung zum Passgesetz (Ermäßigung und Befreiung von Gebühren) folgt. dass die Gebühr für eine Passbeschaffung (eines Deutschen) ermäßigt oder von ihrer Erhebung abgesehen werden kann, wenn die die Gebühren schuldende Person bedürftig ist. Aus der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Passgesetzes zu § 20 folgt des weiteren, dass ein Passbewerber eines deutschen Passes insbesondere dann als bedürftig im Sinne des § 3 Passgebührenverordnung anzusehen ist, wenn er Anspruch auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt oder Anspruch auf Sozialhilfe hat, die den Anspruch auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt beinhaltet oder entsprechende, das Existenzminimum sichernde Leistungen der Kriegsopferfürsorge erhält oder höchstens entsprechende Einkünfte hat. Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass kein Bedürfnis bestand, Kosten der Passverlängerung beispielsweise unter der Abteilung 12 in der Regelsatzverordnung zu berücksichtigen. Letztlich kann aber diese Frage hier offenbleiben. Denn vorliegend ergäbe sich für den Kläger auch nach § 23 SGB II kein Anspruch auf ein Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II, selbst wenn es sich um einen von der Regelleistung umfassten und nach den Umständen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes handeln sollte, der weder durch das Vermögen noch sonst gedeckt werden kann. Denn selbst wenn Kosten der Passbeschaffung von den Regelsätzen umfasst wären (so aber Sächsisches LSG, a.a.O.; SG Bremen, a.a.O.) bestände bereits deshalb kein Anspruch auf Gewährung des Darlehens, weil bis nahezu Ende 2012, dem erstmaligen Datum der eventuellen Erforderlichkeit eines Passes, für den Kläger noch genügend Zeit wäre, aus den Regelsätzen den entsprechenden Betrag anzusparen.

Ein Anspruch kann sich auch nicht aus Art. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (hierzu: BVerfG. 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 - u.a.) ergeben. Das Bundesverfassungsgericht hat in der genannten Entscheidung die Vorschriften des § 20 Abs. 2 und 3 SGB II a.F. für verfassungswidrig erklärt, indes aber ausgeführt, dass bis zur einer Neuregelung durch den Gesetzgeber die verfassungswidrigen Regelungen längstens bis zum 31.12.2010 weiterhin anwendbar sind. Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht eine Härtefallregelung geschaffen, die es allerdings erst ab Verkündung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ermöglicht, unabweisbare, laufende, nicht nur einmalige besondere Bedarfe zu bewilligen. Hier handelt es sich nämlich bereits nicht um einen laufenden Bedarf.

Eine Verpflichtung des Beigeladenen als Träger der Sozialhilfe für den Fall, dass es sich um einen nicht von den Regelleistungen umfassten Bedarf handeln sollte, scheidet ebenso aus. Denn es kann vorliegend keine atypische Bedarfslage angenommen werden, die die Anwendung des § 73 SGB XII (Hilfe in sonstigen Lebenslagen) rechtfertigt. Erforderlich ist das Vorliegen einer besonderen Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 - 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist und dadurch eine Aufgabe von besonderem Gewicht darstellt und nicht nur lediglich einen erhöhten Bedarf wie im Rahmen des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII (vgl. BSG, 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R -, juris). Bereits die erste Voraussetzung liegt nicht vor. Weder ist bei der Frage der Bewilligung von Passbeschaffungskosten bei wertender Betrachtung eine Nähe zu den Hilfen zur Gesundheit (5. Kapitel), zur Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (6. Kapitel), zur Hilfe zur Pflege (7. Kapitel), zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (8. Kapitel) oder zur Hilfe in anderen Lebenslagen (9. Kapitel) wie Hilfe zur Weiterführung des Haushalts, Altenhilfe, Blindenhilfe u.ä. zu sehen (a.A. SG Berlin, 26.11.2008 - S 51 AY 46/06 - mit der nach hiesigem Verständnis unzutreffenden Begründung, dass es bereits genügt, wenn die bedarfsauslösende Situation weder im SGB XII noch in anderen Bereichen des Sozialrechts geregelt und bewältigt wird). Fehlt es mithin daran, kommt eine Anwendung des § 73 SGB XII nicht in Betracht. Denn § 73 SGB XII stellt keine allgemeine Auffangvorschrift dar (vgl. BSG, 28.10.2009 - B 14 AS 44/08 R -). [...]

Die Berufung ist gesetzlich ausgeschlossen, weil der Gegenstandswert 663,95 Euro (Fahrtkosten nach Frankfurt am Main und zurück auf 31,00 Euro zzgl. Kostenforderung der Eritreischen Botschaft vom Dezember 2008 in Höhe von 397,95 Euro zzgl. weitere Kostenforderung in Höhe von ca. 85,00 Euro sowie Forderung der Botschaft in Höhe von 150,00 Euro) beträgt (§ 144 Abs. 1 SGG). Berufungszulassungsgründe (§ 144 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. [...]