VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 08.04.2009 - AN 3 K 08.30139 - asyl.net: M17626
https://www.asyl.net/rsdb/M17626
Leitsatz:

Keine Hemmung oder Unterbrechung der Dublin-Überstellungsfrist durch vorläufigen Rechtsschutz.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, Griechenland, Überstellungsfrist, Zustimmungsfiktion
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a, VO 343/2003 Art. 18 Abs. 7, VO 343/2003 Art. 19 Abs. 4, VO 343/2003 Art. 20 Abs. 1d, VO 343/2003 Art. 8, VO 343/2003 Art. 10 Abs. 1, VO 343/2003 Art. 19 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Dem Klageantrag in Ziff. 1 der Klageschrift auf Aufhebung des angefochtenen Bescheids des Bundesamtes vom 1. April 2008 war stattzugeben, da der angefochtene Bescheid des Bundesamtes rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. [...]

Allerdings ist nach Auffassung der Kammer die Bundesrepublik Deutschland zwischenzeitlich für das Asylverfahren des Klägers zuständig geworden, so dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig geworden ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.

Nach Art. 10 Abs. 1 der Dublin-II-Verordnung (Verordnung EG Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003) ist hier nach den Feststellungen der Beklagten Griechenland für das Asylverfahren des Klägers ursprünglich zuständig gewesen, da dieser von der Türkei, also von einem Drittstaat aus kommend die Grenze des Mitgliedsstaates Griechenland illegal überschritten hat. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Bundesamt auch mit Schreiben vom 23. November 2007 unter Bezugnahme auf diese Feststellungen Griechenland um die Übernahme des Asylverfahrens des Klägers ersucht. Nachdem Griechenland auf diese Anfrage nicht innerhalb der Bearbeitungsfrist von zwei Monaten gemäß Art. 18 Abs. 1 der Verordnung geantwortet hat, gilt dies gemäß Art. 18 Abs. 7 der Verordnung als Zustimmung zum Aufnahmegesuch, so dass mit Ablauf des 23. Januar 2008 Griechenland zunächst für das Asylverfahren des Klägers zuständig war.

Zwar befristet Art. 10 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung die auf Grund von Art. 10 Abs. 1 Satz 1 begründete Zuständigkeit des betreffenden Staates auf zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Der illegale Grenzübertritt erfolgte hier nach den Angaben des Klägers Ende September 2007, spätestens aber am 8. Oktober 2007, da an diesem Tag der Kläger von Griechenland kommend mit dem Flugzeug in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Zuständigkeit Griechenlands gemäß Art. 10 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Ende September 2008, jedenfalls aber mit dem Ablauf des 8. Oktober 2008 geendet hat. Zum einen hat hier Griechenland am 5. Februar 2008 und damit eindeutig vor Ablauf der Jahresfrist die Übernahme des Klägers ausdrücklich zugesagt, so dass nach Auffassung der Kammer Art. 10 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung deshalb keine Anwendung findet. Außerdem erscheint es als fraglich, ob die Frist des Art. 10 Abs. 1 Satz 2 dem Kläger selbst ein Recht einräumen soll, oder ob sich diese Regelung nicht nur auf die beteiligten Staaten bezieht. Und letztlich erscheint es auch angesichts der Regelung des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung als angezeigt, den Zeitpunkt, zu dem die Jahresfrist abgelaufen sein muss, auf den Zeitpunkt der erstmaligen Asylantragstellung in einem Mitgliedsstaat der EG zu legen, so dass hier die Jahresfrist noch nicht verstrichen gewesen wäre.

Die Bundesrepublik Deutschland ist hier nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 Dublin-II-VO für das Asylverfahren des Klägers zuständig geworden. Nach Art. 19 Abs. 3 dieser Verordnung hätte die Überstellung des Klägers von Deutschland nach Griechenland erfolgen müssen, sobald dies materiell möglich ist, spätestens jedoch ab einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Die fiktive Annahme des Aufnahmebegehrens trat hier mit dem Ablauf des 23. Januar 2008 ein, da das Gesuch der deutschen Behörden um Aufnahme des Klägers in Griechenland mit Schreiben vom 23. November 2007 erfolgte, dieses Gesuch am selben Tag elektronisch an die griechischen Behörden weitergeleitet wurde und als nicht besonders dringlich gekennzeichnet war. Damit trat mit Ablauf des 23. Januar 2008 die Annahmefiktion des Art. 18 Abs. 7 i.V.m. Abs. 1 der Verordnung ein, so dass ab diesem Zeitpunkt die materiellen Voraussetzungen für die Überstellung des Klägers nach Griechenland gegeben waren. Dass die griechischen Behörden mit Schreiben vom 5. Februar 2008 nach Ablauf der Zweimonatsfrist des Art. 18 Abs. 1 der Verordnung ausdrücklich die Aufnahme des Klägers erklärten, ändert nichts am Fristbeginn. Damit war aber mit Ablauf des 23. Januar 2009 sogar die Jahresfrist gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 2 der Verordnung abgelaufen, wenn diese wegen der Inhaftierung des Klägers hier einschlägig gewesen sein sollte, die Regelfrist des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 der Verordnung von sechs Monaten war auf jeden Fall damit am 23. Juli 2008 gelaufen. Dies bedeutet, dass die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 19 Abs. 4 der Verordnung nun für das Asylverfahren des Klägers zuständig geworden ist.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 19 Abs. 3 Dublin-II-VO, soweit dort für den Fristbeginn geregelt ist, dass dieser statt wie regelmäßig mit der Annahme des Antrags auf Aufnahme ausnahmsweise mit der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Denn nach Auffassung der Kammer ergibt sich aus § 34 a Abs. 2 AsylVfG eindeutig, dass der Rechtsbehelf nach deutschem Recht gerade keine aufschiebende Wirkung besitzt und eine solche von den deutschen Verwaltungsgerichten auch nicht angeordnet werden kann. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass auf Grund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 14.5.1996, 2 BvR 1938/93 u.a.) in bestimmten Ausnahmefällen den deutschen Verwaltungsgerichten ungeachtet des eindeutigen Wortlauts des § 34 a AsylVfG gemäß der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen verfassungskonformen Auslegung dieser Vorschrift die Möglichkeit eröffnet wird, unter den vom Bundesverfassungsgericht in der zitierten Entscheidung näher bestimmten Voraussetzungen einstweiligen Rechtsschutz gegen die drohende Abschiebung im Rahmen des Dublin- II-Verfahrens zu gewähren und bei Vorliegen der Voraussetzungen diesen gewähren müssen, wie dies im vorliegenden Fall durch den Beschluss der Einzelrichterin geschah. Dies ergibt sich für die Kammer insbesondere aus der Entscheidung der 4. Kammer des Europäischen Gerichtshofs vom 29. Januar 2009 (C 19/08, Petrosian), die zwar ausdrücklich zu Art. 20 der Verordnung Nr. 343/2003 erging, aber auf Grund des insoweit wortgleichen Inhalts des Art. 19 auch auf diese Vorschrift angewendet werden kann. Denn in der zitierten Entscheidung hat der EuGH unter Nr. 36 bis 38 zur Frage, wann die Frist für die Überstellung des Asylbewerbers zu laufen beginne, ausgeführt, dies müsse in Abhängigkeit davon analysiert werden, ob es in den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaats einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung gebe oder nicht, wobei das Ziel zu berücksichtigen sei, weswegen die Verordnung Nr. 343/2003 eine Frist für die Durchführung der Überstellung vorsehe. Dabei laufe in der ersten Konstellation, wenn kein Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung vorgesehen sei, die Frist zur Durchführung der Überstellung ab der ausdrücklichen oder vermuteten Entscheidung, durch die der ersuchte Mitgliedsstaat die Wiederaufnahme des Betreffenden akzeptiere, unabhängig von den Unwägbarkeiten, denen der Rechtsbehelf unterliege, den der Asylbewerber gegen die seine Überstellung anordnende Entscheidung vor den Gerichten des ersuchenden Mitgliedsstaats erhoben habe. Unter Nr. 49 heißt es in dem Urteil weiter, die Mitgliedsstaaten, die Rechtsbehelfe schaffen wollten, die zu Entscheidungen mit aufschiebender Wirkung im Rahmen des Überstellungsverfahrens führen können, dürften nicht im Rahmen der Einhaltung des Erfordernisses einer zügigen Sachbehandlung in eine weniger günstige Lage versetzt werden als diejenigen Mitgliedsstaaten, die dies nicht für notwendig erachtet hätten. In Ziffer 51 der Entscheidung heißt es weiter, die Auslegung der Bestimmungen von Art. 20 Abs. 1 d der Verordnung (wortgleich Art. 19 Abs. 3), könne folglich nicht zu dem Ergebnis führen, dass sich der ersuchende Mitgliedsstaat im Namen der Einhaltung des Gemeinschaftsrechts über die aufschiebende Wirkung der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung hinwegsetzen müsste, die im Rahmen eines Rechtsbehelfs ergangen sei, der eine derartige Wirkung haben könne, die dieser Staat in seinem innerstaatlichen Recht vorsehen wollte.

Für Deutschland ergibt sich nach Auffassung der Kammer damit, dass der deutsche Gesetzgeber - wie § 34 a AsylVfG ausdrücklich und eindeutig belegt - keine aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln gegen die die Abschiebung in den Aufnahmestaat anordnende Verfügung schaffen wollte. Dass das Bundesverfassungsgericht in seiner oben zitierten Entscheidung für bestimmte außergewöhnliche Sonderfälle dennoch diese Möglichkeit im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung dieser Vorschrift einräumt, gehört nach Auffassung der Kammer zu den vom Europäischen Gerichtshof in Nr. 38 des genannten Urteils genannten "Unwägbarkeiten", denen der Rechtsbehelf unterliege; es kann jedenfalls im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten für die rechtliche Situation in Deutschland nicht davon ausgegangen werden, dass der deutsche Gesetzgeber diese aufschiebende Wirkung wollte und bewusst herbeigeführt hat. Dies ergibt sich auch daraus, dass in der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, soweit sie gemäß § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz gesetzesgleiche Wirkung besitzt, im Tenor ausdrücklich die Verfassungsgemäßheit des § 34 a AsylVfG festgestellt wird, während erst in den Gründen die ausnahmsweise Möglichkeit, für die hohe Hürden errichtet wurden, geschaffen wurde. Dieses Ergebnis führt auch nicht zu speziellen Nachteilen für Deutschland, da einerseits die Zahl der Fälle, die von dieser Konstellation erfasst sein dürften, äußerst gering sein sollte. Zum anderen steht es dem deutschen Gesetzgeber frei, entsprechend der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofs den Beginn der Frist von 6, 12 oder 18 Monaten gemäß Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 der Verordnung auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Rechtsbehelf zu verschieben, indem er, sei es generell oder nur im Umfang der vom Bundesverfassungsgericht im zitierten Urteil genannten Bedingungen die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen im Sinne des § 34 a Abs. 2 AsylVfG im Gesetz ausdrücklich regelt.

Damit ist die Bundesrepublik Deutschland für das Asylverfahren des Klägers jedenfalls jetzt zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zuständig geworden, ohne dass es noch darauf ankam, ob sich eine solche Zuständigkeit auch gemäß Art. 8 Dublin-II-VO im Hinblick auf das vom Kläger vorgetragene Asylbegehren seiner Ehefrau in Deutschland oder aus anderen Vorschriften ergeben könnte. [...]