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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 05.10.2010 - 5347143-286 - asyl.net: M17670
https://www.asyl.net/rsdb/M17670
Leitsatz:

1. Der ugandische Staat geht generell gegen die Praktizierung von Genitalvestümmelung vor, soweit dies faktisch möglich ist. Praktiziert wird die weibliche Genitalverstümmelung in Uganda ausschließlich vom Volk der Sebey.

2. Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG wegen fortgeschrittener, therapiebedürftiger HIV-Infektion. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes können in Uganda bislang erst ca. 40 % der Patienten mit antiretroviralen Medikamenten behandelt werden. Auch gibt es weiterhin Wartezeiten für eine Krankenbehandlung. Soweit betroffene Personen nicht in ein staatliches Programm aufgenommen werden, müssen sie die Medikamente selbst bezahlen.

Schlagwörter: Asylverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Abschiebungsverbot, Uganda, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Genitalverstümmelung, HIV/AIDS, medizinische Versorgung
Normen: GG Art. 16a Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigte sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

Aus dem Vorbringen der Antragstellerin ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sie sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb ihres Herkunftsstaates aufhält oder bei Rückkehr mit politischen Verfolgungsmaßnahmen rechnen muss.

Die Antragstellerin stützt ihr Asylbegehren ausschließlich darauf, dass sie ihr Heimatland aus Furcht vor Nachstellungen ihres Ex-Freundes verlassen habe, nachdem sie sich geweigert habe, dessen Forderung nachzukommen, sich einer Genitalbeschneidung zu unterziehen. Bei diesem Sachverhalt handelt es sich weder um eine staatliche politische Verfolgung noch wäre eine solche Bedrohung dem ugandischen Staat zuzurechnen. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der ugandische Staat weibliche Genitalbeschneidung initiiert oder auch nur duldet. Vielmehr geht der ugandische Staat generell gegen die Praktizierung von Genitalbeschneidungen vor, soweit dies angesichts der Lebensverhältnisse der betroffenen ethnischen Gruppen faktisch möglich ist (so schon Institut für Afrikakunde Hamburg, Gutachten vom 21.12.2004). [...]

Es besteht kein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Voraussetzung für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft ist gem. § 60 Abs. 1 AufenthG zunächst die Prüfung, ob eine politische Verfolgung vorliegt. Insoweit entspricht die Regelung des § 60 Abs. 1 AufenthG den Anerkennungsvoraussetzungen nach Art. 16a Abs. 1 GG. [...]

Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Verfolgung kann gem. § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausgehen vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen (staatsähnliche Akteure), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern staatliche oder staatsähnliche Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der landesweit drohenden Verfolgung zu bieten. Dies gilt unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch dann vorliegen, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft.

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall ebenfalls nicht erfüllt.

Die Antragstellerin konnte nicht glaubhaft machen, dass ihr mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit die zwangsweise Genitalbeschneidung oder eine Verfolgung deswegen drohe, weil sie sich der Genitalbeschneidung nicht unterziehen wollte. [...]

In Uganda wird die weibliche Genitalbeschneidung ausschließlich vom Volk der Sebey praktiziert (Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Minden vom 15. März 2005). Zwar gab die Antragstellerin an, ihr Ex-Freund stamme aus dem Distrikt der Sebey. Allerdings konnte die Antragstellerin keine genauen Angaben dazu machen, zu welcher Volksgruppe ihr Ex-Freund gehört. Es konnte somit schon nicht einmal mit der erforderlichen Genauigkeit festgestellt werden, ob der Ex-Freund der Antragstellerin tatsächlich zu dem Volksstamm gehört, bei welchem in Uganda noch weibliche Genitalbeschneidung praktiziert wird.

Abgesehen davon erscheint es schon unwahrscheinlich, dass eine erwachsene Frau im Alter der Antragstellerin - zum Zeitpunkt ihrer Ausreise aus Uganda war sie immerhin schon 45 Jahre alt - von Personen, die nicht einmal ihre Verwandten sind, gezwungen werden könnte, sich der Genitalbeschneidung zu unterziehen. Die Antragstellerin selbst gehört nach eigenen Angaben nicht dem oben genannten einzigen Volk an, bei welchem noch die weibliche Genitalbeschneidung praktiziert wird. Auch bei der Volksgruppe der Sebey wird die weibliche Genitalbeschneidung nur noch von weniger als 50 % der Bevölkerung praktiziert. Ferner wird auch dort die Entscheidungsfreiheit der Mädchen inzwischen akzeptiert (Urteil des Bay. Verwaltungsgerichtes Augsburg vom 24.04.2006, AZ: Au 7K 06.30015).

Demnach muss erst recht davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin als erwachsene Frau die Entscheidungsfreiheit besessen haben muss, sich einer Genitalbeschneidung zu widersetzen. [...]

Ferner kann der Antragstellerin auch nicht geglaubt werden, dass sie in Kampala nicht sicher vor etwaigen Nachstellungen ihres Freundes gewesen wäre. Zum einen gibt es gerade in der Großstadt Kampala Beratungs- und Hilfsangebote verschiedener staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen, die Frauen in einer Situation, in der sich die Antragstellerin angeblich befand, mit Rat und Tat zur Seite stehen. An solche Organisationen hätte sich die Antragstellerin wenden können. Es mag dahinstehen, ob die Polizei, an welche sich die Antragstellerin gewandt haben will, tatsächlich die Anzeige der Antragstellerin nicht weiter verfolgt hat, weil ihr Ex-Freund Militärangehöriger ist. Zweifel an diesem Sachverhalt bestehen schon deshalb, weil die Stadt Tororo, in welcher der Ex-Freund der Antragstellerin gelebt haben soll, über 200 Kilometer von Kampala entfernt ist. Zum anderen ist davon auszugehen, dass der Ex-Freund der Antragstellerin als Leutnant der Armee sich nicht in einer derart mächtigen Position befand, dass er sich über bestehende Gesetze des Landes hinwegsetzen oder gar den Polizeibehörden in der Hauptstadt Kampala deren Vorgehen hätte vorschreiben können.

Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Gefahr der Genitalbeschneidung für die Antragstellerin nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit gegeben war und ist. [...]

Es liegt jedoch ein Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Uganda vor. [...]

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen vor. Die Antragstellerin ist nachweislich an einer HIV-Infektion bzw. an Aids erkrankt. Bei der Antragstellerin liegt - durch ärztliche Bescheinigungen nachgewiesen - eine fortgeschrittene, therapiepflichtige HIV-Infektion vor. Sie müsste im Falle ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes rechnen.

Im Falle einer Rückkehr der Antragstellerin nach Uganda ist die lückenlose Fortsetzung der medikamentösen Behandlung und der begleitenden Kontrolluntersuchungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit gewährleistet. Zwar besteht nach einer Auskunft von Difäm vom 5. Juli 2005 an das Verwaltungsgericht Ansbach mittlerweile teilweise freier Zugang zur antiretroviralen Therapie in Uganda. Ein "universal access", also eine jedermann offenstehende Versorgung, sollte nach besagter Auskunft aber erst bis 2010 geschaffen werden.

In diesem Zusammenhang holte das Bundesamt eine Auskunft des Auswärtigen Amtes (Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Kampala) zu der Frage ein, ob die erwähnte bis 2010 in Aussicht gestellte generelle Versorgung mit antiretroviralen Therapien bzw. Medikamenten inzwischen erreicht worden ist.

Nach dieser Auskunft ist die Realisierung dieser Zielvorgabe nicht eingetreten. Bislang gibt es nach dieser Auskunft erst eine Abdeckung von ca. 40 % mit antiretroviralen Medikamenten. Auch gibt es weiterhin Wartezeiten für eine Krankenbehandlung. Bspw. nehme das staatliche Krankenhaus Mulago nur 5 Neupatienten pro Tag auf. Die Betroffenen müssen sich bei einem anerkannten "Health Center" melden, um in ein Behandlungsprogramm aufgenommen zu werden. Erfolgt diese Aufnahme, seien die Medikamente wie auch weitere Untersuchungen kostenlos. Soweit betroffene Personen nicht in ein staatliches Programm aufgenommen werden, müssten sie die Medikamente als Privatpatient selbst bezahlen (Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Kampala an das Bundesamt vom 23.03.2010).

Ob die Antragstellerin unmittelbar nach ihrer Rückkehr in ein Therapieprogramm aufgenommen werden würde, kann vor diesem Hintergrund nicht mit der erforderlichen Sicherheit vorhergesagt werden.

Es ist nach alledem als sehr ungewiss anzusehen, dass die Erkrankung angemessen behandelt werden kann. Bereits für normale Rückkehrer ist es schwierig, unmittelbar nach Rückkehr in den Genuss einer Behandlung zu kommen. Eine Behandlung in Uganda dürfte - selbst wenn die Antragstellerin in ein Behandlungsprogramm aufgenommen würde - daher zumindest mit Problemen verbunden sein. Selbst wenn daher in Uganda eine HIV-Erkrankung grundsätzlich behandelbar ist, besteht aufgrund der dargestellten Sachlage die Gefahr einer wesentlichen Verschlimmerung ihrer Erkrankung bei einer Rückkehr nach Uganda. [...]