VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Beschluss vom 05.11.2009 - 7 L 652/09.A - asyl.net: M17672
https://www.asyl.net/rsdb/M17672
Leitsatz:

Kein Eilrechtsschutz gegen Dublin-Überstellung nach Griechenland. Sog. Dublin-Rückkehrer haben keinen Anlass, eine Unterbringung in überfüllten Aufnahmelagern oder Abschiebehaft vor Abschluss ihres Asylverfahrens zu befürchten. Bei dem Antragsteller handelt es sich zudem um einen jungen Mann, der nicht geltend macht, in irgendeiner Weise krank oder behindert zu sein.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Griechenland, Konzept der normativen Vergewisserung
Normen: VwGO § 80 Abs. 5, AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller hat keinen Ausnahmefall glaubhaft dargetan, wonach das Asylgesuch im Lichte verfassungskonformer Auslegung gleichwohl zu prüfen wäre.

Ausnahmefälle in diesem Sinne können nach Sinn und Zweck der Norm wie bei der Drittstaatenregelung prinzipiell nur durch solche Umstände begründet werden, die ihrer "Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können" (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996, a.a.O., S. 99).

Als Ansatzpunkt für eine Prüfung der Sicherheit des Antragstellers in Griechenland kann bei verfassungskonformer Auslegung des § 27a AsylVfG nach Lage der Dinge nur die bevorstehende Gefahr eines konventionswidrigen Verhaltens zu Lasten des Asylsuchenden durch Verweigerung einer rechtsstaatlichen Prüfung des Schutzgesuchs in Betracht kommen.

Bei der Prüfung eines solchen Ausnahmefalles sind wie bei der Drittstaatenregelung strenge Maßstäbe anzulegen. Zu Gunsten des Ausländers kann die Prüfung nur dann ausgehen, wenn sich auf Grund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass der Drittstaat sich konventionswidrig verhalten wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996, a.a.O., S. 100 (zur Drittstaatenregelung)).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Es drängt sich dem Gericht auf Grund ihm vorliegender Erkenntnisse nicht auf, dass generell Asylbewerbern in Griechenland eine umfassende Prüfung ihres Schutzersuchens verweigert wird oder sie unter Missachtung völkerrechtlichen Vorgaben einschließlich der Genfer Konvention und der EMRK sowie namentlich auch der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29. April 2004 (Abl. L 304/12) - sogenannte Qualifikationsrichtlinie - und der Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten vom 27. Januar 2003 (Abl. L 31) behandelt werden (vgl. hierzu auch: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (IV. Sektion), Entscheidung vom 2. Dezember 2008 - 32733/08 - (K.R.S./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2009, 965, 967).

Allerdings liegen verschiedene - teilweise vom Antragsteller zitierte - verwaltungsgerichtliche Entscheidungen vor, nach denen eine Abschiebung nach Griechenland vorläufig ausgesetzt wurde, weil hinreichende Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass in Griechenland die flüchtlingsrechtlichen Gewährleistungen und die Asylverfahrenspraxis gemessen an europarechtlichen Standards unzureichend sei (vgl. u.a. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) Beschluss vom 7. Oktober 2009 - 8 B 1433/09.A -, juris, a.A. Beschluss vom 31. August 2009 - 9 B 1198/09.A -, juris).

Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 8. September 2009 - 2 BvQ 56/09 -, juris) hat im Rahmen einer Interessenabwägung ebenfalls die Abschiebung eines Asylsuchenden nach Griechenland unterbunden. Insoweit ergibt sich aus der Entscheidung aber nicht, dass tatsächlich in Griechenland regelmäßig wesentliche asylverfahrensrechtliche Standards nicht eingehalten werden, sondern nur, dass eine auf die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) gestützte Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich ohne Erfolg sein wird.

Auch vor diesem Hintergrund sieht die Kammer die strengen Anforderungen, die an die ausnahmsweise Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Fällen der vorliegenden Art zu stellen sind, nicht als erfüllt an. Allerdings ist einzuräumen, dass Berichte über unzureichende Verhältnisse in Griechenland (so z.B. Pro Asyl, "Polizeigewalt in griechischem Haftlager für Flüchtlinge dokumentiert" vom 28. Oktober 2009, "Tauwetter in Dantes Inferno?" vom 23. Oktober 2009, "Dramatische Zuspitzung der Situation von Flüchtlingen in der Ägäis" vom 24. Juli 2009, "Neue Recherchen und Dokumente zur Situation von Schutzsuchenden in Griechenland" von August 2008 ; s.a. UNHCR, "Griechenland: Unwürdige Zustände in Internierungscamp" vom 28. Oktober 2009, "Keine UNHCR-Beteiligung an neuem griechischen Asylverfahren" vom 23. Juli 2009, Positionspapier zur Überstellung von Asylsuchenden nach Griechenland nach der 'Dublin-II-Verordnung'" vom 15. April 1008, "Ergänzende Informationen von UNHCR zur Situation des Asylverfahrens in Griechenland" vom 1. Dezember 2008) Veranlassung geben, die Behandlung der Schutzsuchenden in Griechenland kritisch zu verfolgen. Aus den Vertragsstaaten zurückgeschobene Asylbewerber - und allein dieser Personengruppe ist der Antragsteller zuzuordnen - haben indessen keinen Anlass, eine Unterbringung in überfüllten Aufnahmelagern auf den griechischen Inseln oder in Abschiebehaft vor Abschluss ihres Asylverfahrens zu befürchten. Die substanziellsten Angriffe richten kritische Beobachter gegen die Unterbringungsbedingungen in Aufnahmelagern auf Inseln wie Lesbos oder Samos und das Verhalten der Küstenwache Griechenlands. Davon dürften Rückkehrer aus anderen europäischen Ländern nicht betroffen sein.

Punktuelle Vorkommnisse, die über Unzuträglichkeiten in Griechenland berichtet werden, und die vom UNHCR (Positionspapier vom 15. April 2008, S. 10) getroffene Feststellung, auch "Dublin-Rückkehrer" seien übermäßigen Härten ausgesetzt, was die Anhörung und die angemessene Bearbeitung ihrer Anträge betreffe, eignen sich mit Blick darauf nicht zur Verallgemeinerung im vorliegenden Zusammenhang, zumal die griechische Regierung nach Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof (vgl. EuGH, Urteil vom 19. April 2007 - Rs C - 72/06 -) offensichtlich bemüht ist, die Qualifikationsrichtlinie und die Aufnahmerichtlinie in nationales Recht umzusetzen, und in diesem Zusammenhang z.B. das Verfahren bei "Abbruch" des Asylverfahrens geändert hat (vgl. UNHCR, "Die Rückführung von Asylsuchenden nach Griechenland vor dem Hintergrund des "Abbruchs" von Asylverfahren" von Juli 2007).

Vom UNHCR werden ausdrücklich die von der griechischen Regierung unternommenen Schritte zur Stärkung des Asylsystems, wie es europäischen Standards entspricht, begrüßt (vgl. UNHCR, Positionspapier, a.a.O. S. 10).

Das Bemühen der griechischen Regierung, das Asylverfahren menschen- und europarechtskonform zu gestalten, zeigt sich auch darin, dass nunmehr nach erheblichen Protesten das Haftlager Pagani auf Lesbos geschlossen wird (Pro Asyl, "Erfolg nach langjährigen Auseinandersetzungen: Haftlager auf Lesbos wird endlich geschlossen" vom 2. November 2009).

Für den vorliegenden Fall ist schließlich zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Antragsteller um einen jungen Mann handelt, der nicht geltend macht in irgendeiner Weise krank oder behindert zu sein. Er wird daher aller Voraussicht nach in der Lage sein, sein Asylverfahren trotz widriger Gesamtumstände in Griechenland zu betreiben und ggf. dort auch Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. [...]