VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 16.04.2010 - A 10 K 523/08 - asyl.net: M17700
https://www.asyl.net/rsdb/M17700
Leitsatz:

1. Kein verschuldetes Versäumen der Klagefrist, weshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird. Ein Verschulden kann im Rahmen der Zustellung an Asylbewerber in einer Aufnahmeeinrichtung trotz der Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 4 S. 4 AsylVfG dann fehlen, wenn eine tatsächliche Kenntnisnahme durch den Asylbewerber nicht möglich war.

2. Keine Flüchtlingsanerkennung allein wegen Tätigkeit als Reinigungskraft auf einem Stützpunkt der Besatzungstruppen, da die Übergriffe der Terroristen nur kriminelle Akte waren und nicht an asylerhebliche Merkmale anknüpften. Irakische Staatsbürger, die mit den Besatzungstruppen kooperieren bilden keine "soziale Gruppe" im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG.

3. Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG, da in der Herkunftsregion Ninive ein bewaffneter Konflikt herrscht und durch die Tätigkeit für die Besatzungstruppen individuelle gefahrerhöhende Umstände vorliegen.

Schlagwörter: Asylverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Abschiebungsverbot, Irak, Mosul, Ninive, Kurden, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Klagefrist, Aufnahmeeinrichtung, Zustellung, Zustellungsfiktion, soziale Gruppe, beachtlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Asylrelevanz, Sicherheitslage, interne Fluchtalternative
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 74 Abs. 1, AsylVfG § 10 Abs. 4 S. 4, VwGO § 57 Abs. 2, ZPO § 222 Abs. 1, BGB § 188 Abs. 2, VwGO § 60 Abs. 2 S. 1, RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. d, RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c, RL 2004/83/EG Art. 2 Bst. e, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2
Auszüge:

[...]

I. Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat zwar die Klagefrist nicht eingehalten (hierzu unter 1.); ihr ist jedoch die von ihr beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (hierzu unter 2.).

1. Die Klagefrist beträgt im vorliegenden Rechtsstreit gem. § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylVfG zwei Wochen nach Zustellen der Entscheidung des Bundesamts. Die Zustellung gilt gemäß § 10 Abs. 4 Satz 4 Hs. 2 AsylVfG am dritten Tag nach der hier gemäß Behördenakte AS 67/68 am 21.12.2007 erfolgten Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung, mithin am 24.12.2007 als bewirkt. Die Klagefrist endete gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 07.01.2008. Klage hat die Klägerin indes erst am 27.02.2008 und damit verspätet erhoben.

2. Der Klägerin ist Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist zu gewähren.

Ein Wiedereinsetzungsantrag ist gem. § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses, das für die Versäumung der gesetzlichen Frist ursächlich war, zu stellen. Diese Vorschrift regelt als verfahrensrechtliche Norm die Voraussetzungen, die bei der Stellung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beachtet werden müssen. Danach muss nicht nur der Antrag als solcher innerhalb der Zwei-Wochen-Frist gestellt werden, er muss auch innerhalb dieser Frist mit Tatsachen begründet werden. An die Antragsbegründung sind strenge Anforderungen zu stellen. Sie muss alle Umstände enthalten, die für die Versäumung der gesetzlichen Frist ursächlich waren und ein Verschulden auszuräumen geeignet sind (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 03.04.1991 - A 12 S 85/90 - m. w. N.). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Für das Verschulden kommt es darauf an, ob der Kläger diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zumutbar war (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., RdNr. 9 zu § 60); auch Fahrlässigkeit schließt die Wiedereinsetzung aus. Es kommt somit darauf an, ob der Klägerin nach den gesamten Umständen des Falles ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass sie die Frist versäumt hat bzw. nicht alle ihr zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, damit das Hindernis baldmöglichst wegfällt.

Gemessen hieran, war der Klägerin unverschuldet an der Einhaltung der Klagefrist gehindert. Zur Überzeugung des Gerichts hat die Klägerin erst am 21.02.2008 Kenntnis vom Bescheid des Bundesamts vom 18.12.“2008“ erhalten und zusammen mit ihrer Klage am 27.02.2008 - und damit innerhalb der Zwei-Wochen-Frist - den mit Tatsachen begründeten Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt. Bei der Klägerin liegt weiter kein Verschulden für die fehlende Einhaltung der Klagefrist vor. Ein Verschulden kann im Rahmen der Zustellung an Asylbewerber in einer Aufnahmeeinrichtung trotz der Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 4 Satz 4 Hs. 2 AsylVfG dann fehlen, wenn eine tatsächliche Kenntnisnahme durch den Asylbewerber nicht möglich war (vgl. etwa Hess. VGH, Beschluss vom 30.10.1997 - 13 ZU 383/97.A -, juris RdNr. 21). Letzteres hat die Klägerin vorliegend glaubhaft gemacht. Zwar spricht bei einer Mitteilung der Aufnahmestelle an das Bundesamt, dass ein Schriftstück nicht ausgehändigt werden konnte und - wie hier Behördenakte AS 68 - in einer bestimmten Zeitspanne - hier vom 21.12.2007 bis 28.12.2007 - bekannt gemacht worden sei, dass ein Schriftstück für den/die Empfänger/in während der Postausgabezeit zur Abholung bereitlag, die tatsächliche Vermutung dafür, dass diese Angaben stimmen. Die einfach Behauptung eines Asylbewerbers, auf Nachfrage an der Postausgabestelle sei ihm in diesem Zeitraum das Schriftstück nicht ausgehändigt worden, reicht dann grundsätzlich nicht aus, um glaubhaft zu machen, dass er unverschuldet keine Möglichkeit der Kenntnisnahme hatte. Vorliegend liegt der Fall aber anders. Die Klägerin hat nicht nur vorgetragen, sie und ihr Cousin hätten - durch Aushang veranlasst - am 27.12.2007 bei der Postausgabestelle vorgesprochen und allein eine Abschrift der Anhörungsniederschrift des Bundesamts erhalten, und dies eidesstattlich versichert. Die Aussage der Kläger wird hier durch die vom Gericht in Kopie beigezogenen Postlisten der Landesaufnahmeeinrichtung in Karlsruhe bestätigt (vgl. Anlage zur Sitzungsniederschrift). Aus den nachfolgend auszugsweise wiedergegebenen Postlisten ergibt sich, dass im maßgeblichen Zeitraum zwei Schreiben des Bundesamtes bei der Aufnahmestelle eingegangen sind und der Klägerin - wie von ihr vorgetragen - am 27.12.2007 lediglich ein Schreiben gegen ihre Unterschrift ausgehändigt wurde: [...]

Der Klägerin ist auch keine Fahrlässigkeit vorwerfbar. Insbesondere hat sich die Klägerin auch nicht ausdrücklich nach einem zweiten Schreiben des Bundesamts erkundigen müssen. Auf telefonische Nachfrage des Einzelrichters wurde von der Landesaufnahmestelle Karlsruhe mitgeteilt, dass im Fall von - wie hier - mehrfachem gleichzeitigem Posteingang auf dem Aushang nicht die Anzahl der Postsendungen vermerkt wird.

II. Die Klage ist aber nur zum Teil begründet. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs.1 AufenthG ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs.1 1.HS AsylVfG) rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs.5 Satz 1 VwGO) (1.). Die Klägerin hat aber Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs.7 Satz 2 AufenthG vorliegen (2.). Dementsprechend waren Ziffer 3 und Ziffer 4 des Bescheids der Beklagten vom 18.12.“2008“ aufzuheben.

1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs.1 AufenthG liegen hier nicht vor.[...]

Im Falle der Klägerin ist der allgemeine Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden. Die Klägerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie vorverfolgt ausgereist ist. Sie hat vorgetragen, wegen ihrer Tätigkeit als Reinigungskraft auf einem Stützpunkt der Besatzungsgruppen in den Fokus von Terroristen geraten zu sein. Ihrem Vorbringen ist kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass dieses Geschehen bzw. diese Übergriffe von Terroristen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale erfolgten. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich vielmehr im Falle der Klägerin um kriminelle Akte. Dem Vorbringen der Klägerin ist - ungeachtet der Frage der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben - kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass die Übergriffe der Terroristen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale erfolgten und im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung zielgerichtet sind auf die asylerheblichen Merkmale bzw. jetzt auf die Verfolgungsgründe im Sinne von Art.10 QRL. Die Klägerin hat im Laufe ihrer Anhörung auch nicht ansatzweise Anhaltspunkte dafür genannt, dass die Übergriffe der Terroristen etwa an ihre Religionszugehörigkeit oder diejenige ihrer Familie anknüpfen würden. Vielmehr hat sie insoweit ihre Arbeitstätigkeit für die amerikanischen Besatzungstruppen angeführt.

Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin sind irakische Staatsbürger, die mit den Besatzungstruppen kooperieren, nicht als "bestimmte soziale Gruppe" im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Buchstabe d) der Richtlinie 2004/83/EG anzusehen. Eine solche Feststellung ist nach dem europäischen Flüchtlingsrecht Voraussetzung dafür, dass eine Verknüpfung im Sinne von Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG zwischen einzelnen Verfolgungshandlungen nach Abs. 1 dieser Norm und dem Verfolgungsgrund nach Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG hergestellt und den Angehörigen dieser Gruppe die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden kann. Nach Buchstabe d dieser Norm gilt eine Gruppe insbesondere dann als eine "bestimmte soziale Gruppe", wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Dieser (Gruppen-) Begriff ist weit gefasst; er ist entwicklungsoffen für die vielfältigen und sich wandelnden Erscheinungsformen von Gruppen in verschiedenen Gesellschaften. Insoweit kann es ausreichen, dass die Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe durch ein gemeinsames Merkmal gekennzeichnet sind und sie von der umgebenden Gesellschaft als fest umrissene Gruppe wahrgenommen werden (vgl. dazu Anmerkungen des UNHCR zur Richtlinie 2004/83/EG, Teil 1, Rn. 71 ff.). Diese Voraussetzungen erfüllt die Personen, die mit den Besatzungstruppen im Irak kooperieren nicht. Das Merkmal einer "Kooperation mit den Besatzungstruppen" ist nicht geeignet, um von der umgebenden Gesellschaft als fest umrissene Gruppe wahrgenommen zu werden. Die Kooperation mit den Besatzungstruppen erfolgt in den unterschiedlichsten Formen und unterschiedlichsten Bereichen. Nicht alle Formen der Zusammenarbeit führen zu einer Verfolgung durch Terroristen. Eine solche Kooperation kann von der vertraglicher Zusammenarbeit im Bereich geringer Hilfsdienste bis hin zu militärischer Unterstützung reichen; sie erstreckt sich von der bloßen einmaligen Lebensmittellieferung bis hin zu mehrjährigen Arbeitsverträgen. Nicht jede dieser Handlungen führt dazu, dass der Betroffene von der ihn umgebenden Gesellschaft als "andersartig" betrachtet wird. Dies wird im Ergebnis auch von der Klägerin für ihre Tätigkeit nicht behauptet. Sie beruft sich darauf, dass sie von einzelnen Terroristen bedroht worden sei. Eine allgemeine gesellschaftliche Ächtung ob ihrer Tätigkeit für die Besatzungstruppen wird auch von ihr nicht geltend gemacht.

2. Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs.2 oder 3 AufenthG vorliegen, sind nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht vorgetragen worden.

Die Klägerin hat aber Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 60 Abs.7 Satz 2 AufenthG. Das Gericht nimmt in ihrer Person eine spezifische individuelle Betroffenheit aufgrund persönlicher Gefahr erhöhender Umstände an, die vor dem Hintergrund der in der Provinz Mosul herrschenden defizitären Sicherheitslage zur Bejahung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs.7 Satz 2 AufenthG führen.

Nach § 60 Abs.7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Die Vorschrift des § 60 Abs.7 Satz 2 AufenthG wurde durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 28.08.2007 neu gefasst (BGBl.I S.1970 f.). Sie geht auf Art.15 Buchstabe c) QRL zurück. Danach gilt eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder staatlichen bewaffneten Konflikts als ernsthafter Schaden. Da die Gewährung subsidiären Schutzes nach der Qualifikationsrichtlinie regelmäßig zur Erteilung eines Aufenthaltstitels (vgl. Art. 24 Abs.2 QRL) führt, die Abschiebestopp-Erlasse aber nur die Aussetzung der Abschiebung und damit die Erteilung einer Duldung vorsehen, darf aus europarechtlichen Gründen nicht von der Prüfung abgesehen werden, ob sich allgemeine Gefahren im Herkunftsland zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung verdichtet haben (BVerwG, Urt. v. 24.06.2008 - 10 C 42/07 , 10 C 43/07 , 10 C 44/07 und 10 C 45/07 -, juris). Abschiebestopperlasse sowie die Gewährung gleichwertigen Abschiebungsschutzes stehen der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs.7 Satz 2 AufenthG deshalb nicht entgegen, wenn die Voraussetzungen des Art.15 Buchstabe c) QRL erfüllt sind (BVerwG, Urt. v. 24.06.2008, a.a.O.).

Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 60 Abs.7 Satz 2 AufenthG und Art.15 Buchstabe c) QRL ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs.7 Satz 2 AufenthG und Art.15 Buchstabe c) QRL muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken. Gemeint sind damit bewaffnete Konflikte, die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und den abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts jedenfalls dann vorliegt, wenn der Konflikt diese Kriterien, die in Art.1 Nr.1 des Zusatzprotokolls II zu den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte erfüllt. Ein solcher Konflikt liegt weiter nach dieser Rechtsprechung jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art.1 Nr.2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art.15 Buchstabe c) QRL nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit ausweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen (BVerwG, Urt. v. 24.06.2008 a.a.O.).

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) hat zur Auslegung von Art.15 Buchstabe c) i.V.m. Art.2 Buchstabe e) QRL ausgeführt: Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person, die die Gewährung des subsidiären Schutzes beantragt, setzt nicht voraus, dass diese Person beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnende Umständen spezifisch betroffen ist. Das Vorliegen einer solchen Bedrohung kann ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden, die mit einem Antrag auf subsidiären Schutz befasst sind, oder der Gerichte eines Mitgliedsstaats, bei denen eine Klage gegen die Ablehnung eines solches Antrags anhängig ist, ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, das eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder ggf. in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (EuGH, Urt. v. 17.02.2009 - C-465/07 -, Elgafji, NVwZ 2009, 705).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs geht das erkennende Gericht von Folgendem aus: Für die Beurteilung der Frage des Bestehens eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist, sofern der Konflikt nicht landesweit besteht, auf die Herkunftsregion des Klägers abzustellen, in die er typischerweise zurückkehrt. Ist für die maßgebliche Region eine individuelle Bedrohung entweder wegen Gefahr erhöhender individueller Umstände oder ausnahmsweise wegen eines besonders hohen Niveaus allgemeiner Gefahren im Rahmen eines bewaffneten Konflikts anzunehmen, ist weiter zu prüfen, ob der Kläger in anderen Teilen des Irak, in denen derartige Gefahren nicht bestehen, internen Schutz finden kann (BVerwG Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 -, juris; BVerwG 10 C 13.08 vom 14.07.2009).

Im vorliegenden Fall hätte die Klägerin angesichts der von ihr vorgetragenen und vom Gericht nicht in Zweifel gezogenen Umstände nur die Möglichkeit, bei einer Rückkehr in den Irak sich in der Provinz Ninive niederzulassen. Dort hält sich ihre Familie auf. Eine Aufnahme in einem anderen Gebiet ohne diesen verwandtschaftlichen Hintergrund scheidet in ihrem Fall als Mutter eines Säuglings aus. Folglich ist bei der Frage, ob der Klägerin subsidiärer Schutz zu gewähren ist, auf die Situation in der Provinz Ninive abzustellen.

Das Gericht geht - weiter - aufgrund der detaillierten, substantiierten und im Wesentlichen widerspruchsfreien Angaben der Klägerin, die es für glaubhaft hält, davon aus, dass die Klägerin von 2004 bis 2005 und wieder ab Anfang 2007 aufgrund vertraglicher Basis als Reinigungskraft auf einem Stützpunkt der amerikanischen Besatzungstruppen gearbeitet hat und in Folge dieser Tätigkeit in das Blickfeld islamistischer Terrororganisationen geraten ist, die sie 2004 und 2005 in Drohbriefen zum Niederlegen ihrer Arbeit aufgefordert haben. In Zusammenhang mit dieser Bedrohung ist ein Bruder der Klägerin im Januar 2005 bei einem Sprengstoffanschlag schwer verletzt worden. Der Klägerin wurde daraufhin in einem weiteren Drohbrief offenbart, dass dieser Anschlag ihr gegolten habe. Ihr Familie hat daraufhin im April 2005 das Stadtviertel gewechselt, ist innerhalb Mosuls in den Bezirk Al Karama gezogen. Die Klägerin selbst hat ihre Tätigkeit für die Besatzungstruppen zunächst aufgegeben und erst Anfang 2007 wieder aufgenommen. Am 19.10.2007 ist die Klägerin erneut von islamistischen Terroristen bedroht worden.

Das Gericht geht - ferner - davon aus, dass in der Provinz Ninive im Jahr 2007 ein bewaffneter Konflikt im Sinne der genannten Vorschrift vorlag und sich die Verhältnisse dort noch nicht wesentlich bis heute verbessert haben. Das Gericht stützt seine Annahme insoweit im Wesentlichen auf die bisherigen Lageberichte des Auswärtigen Amtes zur Situation im Irak (zuletzt vom 11.04.2010) und die Information des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge Irak zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Stand Januar 2010. [...]

Vor diesem und dem weiteren Hintergrund, dass die Klägerin nach den ihr und ihrer Familie in den Jahr 2004, 2005 und 2007 widerfahrenen Ereignissen davon ausgehen muss, dass sie der Kollaboration mit der amerikanischen Besatzungsmacht bezichtigt wird, ist bei ihr zudem von einer individuellen spezifischen Betroffenheit aufgrund persönlicher Gefahr erhöhender Umstände auszugehen. Es ist auch anzunehmen, dass diese Zusammenarbeit der Klägerin noch heute zugerechnet wird. Nach den glaubwürdigen Angaben der Klägerin haben die islamistischen Terroristen sie weder aufgrund des Umzugs ihrer Familie in ein anderes Stadtviertel noch aufgrund der langfristigen Unterbrechung ihrer Tätigkeit für die amerikanischen Besatzungstruppen aus dem Blick verloren. [...]