EuGH

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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 07.10.2010 - C-162/09, Lassal - asyl.net: M17707
https://www.asyl.net/rsdb/M17707
Leitsatz:

Ein Daueraufenthaltsrecht haben Unionsbürger nach Art. 16 der Unionsbürgerrichtlinie auch dann, wenn die erforderlichen Zeiten eines fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalts vor dem Datum der Umsetzung der Unionsbürgerrichtlinie (30.4.2006) zurückgelegt wurden. Daraus folgt, dass auch Art. 16 Abs. 4 Unionsbürgerrichtlinie (Verlust des Daueraufenthaltsrechts nur bei Abwesenheit von mehr als zwei Jahren) unabhängig davon anwendbar ist, ob es um Aufenthaltszeiten vor oder nach dem Umsetzungsdatum geht.

Schlagwörter: Unionsbürger, Daueraufenthalt, Unionsbürgerrichtlinie, Vorabentscheidungsverfahren, freizügigkeitsberechtigt, Unionsbürgerschaft, praktische Wirksamkeit, Integration, Auslegung, Verlust des Freizügigkeitsrechts,
Normen: RL 2004/38/EG Art. 16 Abs. 1, RL 2004/38/EG Art. 16 Abs. 3, RL 2004/38/EG Art. 16 Abs. 4, GR-Charta Art. 45
Auszüge:

[...]

23 Da die vorgelegte Frage von bestimmten Tatsachenvoraussetzungen ausgeht, ist sie in zwei Teile zu trennen, damit der Gerichtshof sie sachdienlich beantworten kann.

24 Erstens möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob für den Erwerb des in Art. 16 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Rechts auf Daueraufenthalt ununterbrochene Aufenthaltszeiten von fünf Jahren zu berücksichtigen sind, die vor dem Umsetzungsdatum für diese Richtlinie, also dem 30. April 2006, im Einklang mit vor diesem Datum geltenden Rechtsvorschriften der Union zurückgelegt wurden.

25 Sollte der erste Teil der Frage bejaht werden, möchte das vorlegende Gericht zweitens wissen, ob vorübergehende Abwesenheiten vor dem 30. April 2006 und nach einem ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren die Erlangung eines Rechts auf Daueraufenthalt im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 seitens einer Unionsbürgerin wie Frau Lassal berühren können.

Zur Berücksichtigung der Zeiten, die vor dem Datum für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38 im Einklang mit vor diesem Datum geltenden Rechtsvorschriften der Union zurückgelegt wurden, für die Zwecke des Erwerbs des in Art. 16 dieser Richtlinie vorgesehenen Rechts auf Daueraufenthalt [...]

Antwort des Gerichtshofs

29 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Unionsbürgerschaft jedem Bürger der Union das elementare und persönliche Recht verleiht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten, wobei die Freizügigkeit von Personen im Übrigen eine der Grundfreiheiten des Binnenmarkts darstellt, die auch in Art. 45 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nochmals bekräftigt wurde.

30 Zur Richtlinie 2004/38 hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass diese die Ausübung des den Unionsbürgern unmittelbar aus dem Vertrag erwachsenden elementaren und persönlichen Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, erleichtern soll und insbesondere bezweckt, dieses Recht zu verstärken, so dass nicht in Betracht kommt, dass die Unionsbürger aus dieser Richtlinie weniger Rechte ableiten als aus den Sekundärrechtsakten, die sie ändert oder aufhebt (vgl. Urteil vom 25. Juli 2008, Metock u.a., C-127/08, Slg. 2008, I-6241, Randnrn. 82 und 59).

31 Der Gerichtshof hat auch festgestellt, dass in Anbetracht des Kontexts und der Ziele der Richtlinie 2004/38 deren Bestimmungen nicht eng ausgelegt und keinesfalls ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt werden dürfen (vgl. Urteil Metock u. a., Randnr. 84).

32 Wie es im 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 heißt, trägt das Recht auf Daueraufenthalt entscheidend zum sozialen Zusammenhalt bei und wurde mit dieser Richtlinie vorgesehen, um das Gefühl der Unionsbürgerschaft zu verstärken.

33 Zwar steht fest, dass es die Erlangung eines Rechts auf Daueraufenthalt aufgrund eines rechtmäßigen Aufenthalts während einer ununterbrochenen Zeit von fünf Jahren im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats, wie es in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 vorgesehen ist, vor dieser Richtlinie in den Rechtsvorschriften der Union zur Durchführung von Art. 18 EG nicht gab.

34 Dies kann jedoch nicht dazu führen, dass nur die Zeiten eines ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts von fünf Jahren, die entweder frühestens am 30. April 2006 geendet oder nach diesem Datum begonnen haben, für die Zwecke des Erwerbs des in Art. 16 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Rechts auf Daueraufenthalt zu berücksichtigen sind.

35 Erstens nämlich führt die Auslegung, dass nur die Zeiten eines ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts von fünf Jahren, die nach dem 30. April 2006 begonnen haben, für die Zwecke des Erwerbs des Rechts auf Daueraufenthalt zu berücksichtigen sind, dazu, dass ein solches Recht erst ab dem 30. April 2011 gewährt werden könnte. Eine solche Auslegung liefe darauf hinaus, Aufenthaltszeiten, die die Unionsbürger im Einklang mit vor dem 30. April 2006 geltenden Rechtsvorschriften der Union zurückgelegt haben, jede Wirksamkeit für die Zwecke des Erwerbs des Rechts auf Daueraufenthalt zu nehmen. Insoweit ist hervorzuheben, dass das Unionsrecht vor dem Erlass der Richtlinie 2004/38 bereits in einigen bestimmten Fällen ein Recht auf Daueraufenthalt vorsah, das im Übrigen in Art. 17 dieser Richtlinie aufgegriffen worden ist.

36 Ein solches Ergebnis steht aber im Widerspruch zu dem oben in den Randnrn. 30 bis 32 dargestellten Ziel der Richtlinie 2004/38 und nimmt dieser ihre praktische Wirksamkeit.

37 Zweitens läuft auch die Auslegung, dass allein die Zeiten eines ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts von fünf Jahren, die frühestens am 30. April 2006 geendet haben, für die Zwecke des Erwerbs des in Art. 16 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Rechts auf Daueraufenthalt zu berücksichtigen sind, dem Ziel und der praktischen Wirksamkeit dieser Richtlinie zuwider. Der Unionsgesetzgeber hat nämlich die Erlangung eines Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 von der Integration des Unionsbürgers in den Aufnahmemitgliedstaat abhängig gemacht. Wie aber die Generalanwältin in Nr. 80 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, wäre es mit dem Art. 16 dieser Richtlinie zugrunde liegenden Integrationsgedanken unvereinbar, für den erforderlichen Grad an Integration in den Aufnahmemitgliedstaat daran anzuknüpfen, ob der fünfjährige ununterbrochene Aufenthalt vor dem 30. April 2006 geendet hat oder danach.

38 Außerdem hat, da das in Art. 16 der Richtlinie 2004/38 vorgesehene Recht auf Daueraufenthalt erst ab dem 30. April 2006 erworben werden kann, die Berücksichtigung der vor diesem Datum zurückgelegten Aufenthaltszeiten nicht zur Folge, dass Art. 16 dieser Richtlinie Rückwirkung verliehen wird, sondern nur, dass Sachverhalten, die vor dem Datum für die Umsetzung der Richtlinie entstanden sind, eine gegenwärtige Wirkung beigemessen wird.

39 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft seit ihrem Inkrafttreten anwendbar und deshalb auf die gegenwärtigen Wirkungen von zuvor entstandenen Sachverhalten anzuwenden sind (vgl. Urteil vom 11. Juli 2002, D'Hoop, C-224/98, Slg. 2002, I-6191, Randnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40 Folglich sind für die Zwecke des Erwerbs des in Art. 16 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Rechts auf Daueraufenthalt ununterbrochene Aufenthaltszeiten von fünf Jahren, die vor dem Datum für die Umsetzung dieser Richtlinie, also dem 30. April 2006, in Einklang mit vor diesem Datum geltenden Rechtsvorschriften der Union zurückgelegt wurden, zu berücksichtigen.

Zur Auswirkung von vorübergehenden Abwesenheiten für eine Dauer von weniger als zwei aufeinander folgenden Jahren vor dem 30. April 2006 und nach einem ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren auf das Recht auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 [...]

Antwort des Gerichtshofs

43 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Erwerb des in Art. 16 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Rechts auf Daueraufenthalt einen rechtmäßigen Aufenthalt während einer ununterbrochenen Zeit von fünf Jahren im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats voraussetzt.

44 Im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits ist unstreitig, dass sich Frau Lassal während einer ununterbrochenen Zeit von länger als fünf Jahren rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Sie hat diesen Mitgliedstaat jedoch nach diesem ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von länger als fünf Jahren und vor dem Datum für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38, dem 30. April 2006, für zehn Monate verlassen. Die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage dreht sich im Wesentlichen darum, ob eine Abwesenheit vor dem 30. April 2006 und nach einem ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren im Aufnahmemitgliedstaat einen Unionsbürger daran hindert, sich auf ein Recht auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 zu berufen.

45 Insoweit kommt in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem die Kontinuität des rechtmäßigen Aufenthalts für eine Dauer von mindestens fünf Jahren im Sinne des Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 unstreitig ist, der Auslegung von Art. 16 Abs. 3 dieser Richtlinie keine Bedeutung zu. Die letztgenannte Bestimmung regelt nämlich die vorübergehenden Abwesenheiten näher, die während der in Art. 16 Abs. 1 vorgesehenen Aufenthaltszeit von fünf Jahren eintreten können, ohne jedoch die Kontinuität des betreffenden Aufenthalts und damit dessen Qualifikation als ununterbrochenen Zeitraum zu berühren. Im Übrigen ist jedenfalls unstreitig, dass die vorübergehende Abwesenheit von Frau Lassal unter keine der in der genannten Bestimmung vorgesehenen Kategorien fällt.

46 Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 betrifft demgegenüber den Fall des Verlusts eines Rechts auf Daueraufenthalt. Er bestimmt insoweit, dass nur eine Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zum Verlust des Rechts auf Daueraufenthalt führt.

47 Zur Anwendung von Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 auf vorübergehende Abwesenheiten vor dem 30. April 2006 machen die Regierung des Vereinigten Königreichs und die belgische Regierung geltend, dass nicht unter Art. 16 Abs. 3 dieser Richtlinie fallende und vor dem 30. April 2006 eingetretene vorübergehende, eine Dauer von zwei aufeinanderfolgenden Jahren unterschreitende Abwesenheiten vom Aufnahmemitgliedstaat von Unionsbürgern, die sich vor diesem Datum fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in diesem Staat aufgehalten hätten, einem Erwerb des in dem genannten Artikel vorgesehenen Rechts auf Daueraufenthalt durch die betreffenden Unionsbürger entgegenstünden, da Letztere, weil die in Rede stehenden vorübergehenden Abwesenheiten einem Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt vorgelagert seien, nicht in den Genuss von Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie kommen könnten und folglich ihre Aufenthaltszeit keine Kontinuität aufweise und deshalb als unterbrochen gelten müsse.

48 Insoweit ist zwar richtig, dass aus Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38, da das in diesem Artikel vorgesehene Recht auf Daueraufenthalt, wie oben in Randnr. 38 ausgeführt, erst ab dem 30. April 2006 erworben werden kann, nicht ausdrücklich hervorgeht, dass den Unionsbürgern, die sich vor diesem Datum fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufgehalten haben, ihre Verbindung zu diesem Staat zugute kommen kann, damit ihre vor dem 30. April 2006 erfolgten vorübergehenden Abwesenheiten für eine Dauer von weniger als zwei aufeinander folgenden Jahren nicht ihren Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt hindern.

49 Allerdings sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut. sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. u. a. Urteile vom 19. September 2000, Deutschland/Kommission, C-156/98, Slg. 2000, I-6857, Randnr. 50, vom 7. Dezember 2006, SGAE, C-306/05, Slg. 2006, I-11519, Randnr. 34, und vom 19. November 2009, Sturgeon u.a., C-402/07 und C-432107, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 41).

50 In diesem Sinne ist der verfügende Teil eines Unionsrechtsakts untrennbar mit seiner Begründung verbunden und erforderlichenfalls unter Berücksichtigung der Gründe auszulegen, die zu seinem Erlass geführt haben (Urteile vom 29. April 2004, Italien/Kommission, C-298/00 P, Slg. 2004, I-4087, Randnr. 97 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Sturgeon u. a., Randnr. 42).

51 Der Gerichtshof hat auch entschieden, dass bei verschiedenen möglichen Auslegungen einer Vorschrift des Unionsrechts derjenigen der Vorzug zu geben ist, die die praktische Wirksamkeit der Vorschrift zu wahren geeignet ist (vgl. Urteil Sturgeon u. a., Randnr. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52 Eine Auslegung, wie sie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die belgische Regierung vertreten, liefe aber der praktischen Wirksamkeit und dem Ziel der Richtlinie 2004/38 sowie der allgemeinen Systematik und dem Geist von Art. 16 dieser Richtlinie zuwider.

53 Erstens nämlich würden sowohl Zweck und Ziel der Richtlinie 2004/38, wie sie oben in den Randnrn. 30 und 31 dargestellt worden sind, d. h. die Erleichterung der Ausübung des elementaren Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, und die Verstärkung dieses elementaren Rechts, als auch, ganz konkret, Zweck und Ziel von Art. 16 dieser Richtlinie, wie sie oben in Randnr. 32 dargestellt worden sind, d.h. die Förderung des sozialen Zusammenhalts und die Verstärkung des Gefühls der Unionsbürgerschaft durch das Recht auf Daueraufenthalt, ernsthaft gefährdet, wenn dieses Aufenthaltsrecht Unionsbürgern, die sich vor dem 30. April 2006 fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufgehalten haben, nur deshalb verwehrt würde, weil später, aber vor dem genannten Datum, vorübergehende Abwesenheiten für eine Dauer von weniger als zwei aufeinander folgenden Jahren dazwischen getreten sind.

54 Zweitens gebieten auch die allgemeine Systematik und der Geist von Art. 16 der Richtlinie 2004/38, dass Art. 16 Abs. 4 auf vorübergehende Abwesenheiten vor dem 30. April 2006 bei Vorliegen eines diesem Datum vorgelagerten ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts von fünfjähriger Dauer Anwendung findet.

55 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 den Verlust des Rechts auf Daueraufenthalt wegen Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat für eine längere Dauer als zwei aufeinander folgende Jahre betrifft. Nach den Vorarbeiten zur Richtlinie 2004/38 rechtfertigt sich eine derartige Maßnahme damit, dass nach einer solchen Abwesenheit die Verbindung zum Aufnahmemitgliedstaat gelockert ist (vgl. die Begründung des vom Rat am 5. Dezember 2003 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2004/38 festgelegten Gemeinsamen Standpunkts [EG] Nr. 6/2004 [ABl 2004, C 54 E, S. 12] zu Art. 16 dieser Richtlinie).

56 Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 findet unabhängig davon Anwendung, ob es um Aufenthaltszeiten geht, die vor dem 30. April 2006 zurückgelegt worden sind, oder um solche, die nach diesem Datum angesiedelt sind. Da nämlich, wie sich aus der oben in den Randnrn. 29 bis 40 angestellten Prüfung ergibt, vor dem 30. April 2006 zurückgelegte fünfjährige Aufenthaltszeiten für die Zwecke des Erwerbs des in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Rechts auf Daueraufenthalt zu berücksichtigen sind, muss Art. 16 Abs. 4 zwangsläufig auf die genannten Zeiten anwendbar sein. Andernfalls müssten die Mitgliedstaaten nach Art. 16 der Richtlinie dieses Recht auf Daueraufenthalt selbst im Fall von erheblichen Abwesenheiten gewähren, die die Verbindung des Betroffenen zum Aufnahmemitgliedstaat in Frage stellen.

57 Daraus ergibt sich, dass Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 auf vor dem 30. April 2006 zurückgelegte Zeiten eines ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts von fünfjähriger Dauer Anwendung findet und dass diese Anwendung insbesondere mit sich bringt, dass die eine Dauer von zwei aufeinander folgenden Jahren unterschreitenden Abwesenheiten vom Aufnahmemitgliedstaat, die nach diesen Zeiten, aber vor dem genannten Datum eingetreten sind, nicht das Band der Integration des betroffenen Unionsbürgers berühren können.

58 Folglich können eine Dauer von zwei aufeinander folgenden Jahren unterschreitende Abwesenheiten vom Aufnahmemitgliedstaat, die vor dem 30. April 2006 und nach einem vor diesem Datum liegenden ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren eingetreten sind, nicht den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 berühren.

59 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 16 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass

- ununterbrochene Aufenthaltszeiten von fünf Jahren, die vor dem Datum für die Umsetzung dieser Richtlinie, also dem 30. April 2006, in Einklang mit vor diesem Datum geltenden Rechtsvorschriften der Union zurückgelegt wurden, für die Zwecke des Erwerbs des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 zu berücksichtigen sind und

- eine Dauer von zwei aufeinander folgenden Jahren unterschreitende Abwesenheiten vom Aufnahmemitgliedstaat, die vor dem 30. April 2006 und nach einem vor diesem Datum liegenden ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren eingetreten sind, nicht den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 berühren können. [...]

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 16 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ist dahin auszulegen, dass

- ununterbrochene Aufenthaltszeiten von fünf Jahren, die vor dem Datum für die Umsetzung dieser Richtlinie, also dem 30. April 2006, in Einklang mit vor diesem Datum geltenden Rechtsvorschriften der Union zurückgelegt wurden, für die Zwecke des Erwerbs des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 zu berücksichtigen sind und

- eine Dauer von zwei aufeinander folgenden Jahren unterschreitende Abwesenheiten vom Aufnahmemitgliedstaat, die vor dem 30. April 2006 und nach einem vor diesem Datum liegenden ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren eingetreten sind, nicht den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 berühren können.