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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 07.05.2010 - V ZB 121/10 - asyl.net: M17791
https://www.asyl.net/rsdb/M17791
Leitsatz:

Nach der gesetzlichen Wertung (§ 62 Abs. 2 S. 5 AufenthG) verliert die Haftanordnung ihre Wirksamkeit im Falle eines von dem Ausländer nicht zu vertretenden Scheiterns der Abschiebung. Die Abschiebung wurde vorliegend durch Beschluss des Verwaltungsgerichts wegen des Fehlens einer wirksamen Abschiebungsandrohung vorläufig untersagt.

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Sicherungshaft, einstweilige Anordnung, Ermessen, Haftdauer, Verhältnismäßigkeit,
Normen: FamFG § 64 Abs. 3, AufenthG § 62 Abs. 2 S. 5, GG Art. 2 Abs. 2 S. 2
Auszüge:

[...]

1. Der Aussetzungsantrag ist in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthaft (vgl. Senat, Beschl. v. 21. Januar 2010, V ZB 14/10 Rdn. 3 - juris; Beschl. v. 30. März 2010, V ZB 79/10, Rdn. 3 - juris).

2. Er ist auch begründet.

Das Rechtsbeschwerdegericht hat über die beantragte einstweilige Anordnung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die drohenden Nachteile für den Betroffenen gegeneinander abzuwägen. Die Aussetzung der Vollziehung einer Freiheitsentziehung, die durch das Beschwerdegericht bestätigt worden ist, wird danach regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat oder die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist (Senat, Beschl. v. 21. Januar 2010, V ZB 14/10, Rdn. 5 - juris; Beschl. v. 30. März 2010, V ZB 79/10, Rdn. 5 - juris; ferner Senat, Beschl. v. 31. Oktober 2007, V ZB 114/07, WuM 2008, 95, 96). Die Rechtsbeschwerde bietet jedenfalls insoweit Aussicht auf Erfolg, als sie sich gegen die Aufrechterhaltung der Sicherungshaft richtet.

a) Die Auffassung des Beschwerdegerichts, dass die Fortdauer der Haft noch dem im Rahmen der Prüfung des Haftgrundes zu beachtenden verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, begegnet erheblichen rechtlichen Bedenken.

Nach der gesetzlichen Wertung, wie sie in § 62 Abs. 2 Satz 5 AufenthG zum Ausdruck kommt (vgl. Entwurf v. 23. April 2007 eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU, BT-Drucks. 16/5065, S. 188), verliert die Haftanordnung ihre Wirksamkeit mit der konkreten Abschiebungsmaßnahme (vgl. OLG Frankfurt FGPrax 2009, 188, 189; OLG München OLGR 2006, 674). Dies gilt auch im Falle eines von dem Ausländer nicht zu vertretenden Scheiterns der Abschiebung (vgl. OLG Frankfurt, aaO; Hailbronner, AusIR, Stand: 68. Aktualisierung April 2010, § 62 AufenthG Rdn. 67). Schlägt diese ausschließlich wegen eines Fehlers der Ausländerbehörde fehl, ist die weitere Inhaftierung des Ausländers auf der Grundlage der ursprünglichen Haftanordnung nicht zu rechtfertigen (vgl. OLG Hamm OLGR 2009, 639 f.).

Davon dürfte hier auszugehen sein. Das Verwaltungsgericht hat die für den 13. April 2010 geplante Abschiebung einstweilen untersagt und dies mit dem Fehlen einer wirksamen Abschiebungsandrohung begründet. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist der Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen und daher als Tatsache zu berücksichtigen und nicht auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen (vgl. BGH, Urt. v. 15. Juni 2007, I ZR 125/04, NVwZ-RR 1008, 154, 155). Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts hätte die Freiheitsentziehung mit der am 13. April 2010 durchzuführenden Abschiebung enden können, wenn der Beteiligte zu 2 rechtzeitig dem Betroffenen die Abschiebung nach Georgien angedroht hätte. Dies wäre dem Beteiligten zu 2 nach sorgfältiger Prüfung der Voraussetzungen der Abschiebung auch möglich gewesen. Keinesfalls ist die Untersagung der Abschiebung durch das Verwaltungsgericht dem Betroffenen anzulasten.

Der neue Sachvortrag des Beteiligten zu 2, dass er dem Betroffenen bereits am 25. Februar 2010 mündlich mitgeteilt habe, nach Georgien abgeschoben zu werden, kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht berücksichtigt werden (vgl. Keidel/Meyer-Holtz, FamFG, 16. Aufl., § 74 Rdn. 35 m.w.N.).

b) Die Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung durfte das Beschwerdegericht schließlich nicht mit dem Allgemeininteresse an einer wirksamen Abschiebung oder damit rechtfertigen, dass die Verlängerung sich in einem "vertretbaren Rahmen" halte. Dem Freiheitsgrundrecht (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) kommt - je länger eine Haft andauert - ein immer größeres Gewicht gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Durchsetzung ausländerrechtlicher Vorschriften zu (BVerfG, NVwZ 1996, Beilage 3, S. 17 f.). Zudem muss die Behörde, schon wenn vorhersehbar ist, dass die Abschiebung erforderlich wird, alle notwendigen Anstrengungen unternehmen, damit der Vollzug der Haft auf eine möglichst kurze Zeit beschränkt werden kann (vgl. Senat, BGHZ 133, 235, 239; Beschl. v. 25. März 2010, V ZA 9/10, Rdn. 22 - juris). [...]