VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 17.11.2009 - 10 ZB 09.1415 - asyl.net: M17832
https://www.asyl.net/rsdb/M17832
Leitsatz:

Keine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als eigenständiges, vom Zweck des Ehegattennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht wegen Ausweisungsgrundes.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, eigenständiges Aufenthaltsrecht, Ausweisungsgrund, Vertrauensschutz, Verwirkung, Ermessen, atypischer Ausnahmefall,
Normen: AufenthG § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 27 Abs. 3 S. 2, AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 2
Auszüge:

[...]

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der begehrten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG unabhängig von der Frage, ob zwischen dem Kläger und seiner früheren Ehefrau eine eheliche Lebensgemeinschaft tatsächlich jemals bestanden hat, jedenfalls der verwirklichte Ausweisungstatbestand entgegensteht (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Nichts anderes gilt im Übrigen auch für ein Aufenthaltsrecht des Klägers zum Zweck der Erwerbstätigkeit (§ 18 AufenthG).

Das Erstgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Ausländerbehörde bei der Entscheidung über die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG nicht von den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG absehen kann, weil die Regelung des § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bei diesem vom Zweck des Familiennachzugs unabhängigen Aufenthaltsrecht keine Anwendung findet. Im Rahmen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG reicht das bloße Vorliegen eines Ausweisungstatbestands aus. Einer Prüfung, ob der Kläger auch ermessensfehlerfrei hätte ausgewiesen werden können, bedarf es somit nicht.

Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsgrund vorliegt. Der Kläger hat jedoch unstreitig mehrfach unrichtige bzw. unvollständige Angaben zur Beschaffung einer Aufenthaltsgenehmigung gemacht (vgl. den Strafbefehl des Amtsgerichts Nürnberg vom 2.11.2001 sowie das rechtskräftige Strafurteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 17.1.2003) und damit den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verwirklicht. Auch zuvor war der Kläger nach den zutreffenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts bereits wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten (vgl. die ebenfalls bei den Strafakten des Klägers befindlichen Strafbefehle des Amtsgerichts München vom 29.8.1996 und 16.3.2001).

Der Einwand des Klägers, der vom Beklagten zur Antragsablehnung herangezogene Ausweisungsgrund dürfe nicht mehr verwertet werden, weil diese Straftaten lange zurücklägen, die den betreffenden Erklärungen zugrundeliegende Ehe zwischenzeitlich geschieden und eine künftige Gefährdung oder Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 55 Abs. 1 AufenthG bei ihm nicht mehr zu befürchten sei, greift nicht durch.

In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind oder die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG vom 15.3.2005 BVerwGE 123, 114/122 m.w. Rechtsprehungsnachweisen). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger darauf hätte vertrauen dürfen, mit seinen unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben zur Beschaffung einer Aufenthaltsgenehmigung von der Ausländerbehörde nicht mehr konfrontiert zu werden, sind nicht ersichtlich. Der Gesichtspunkt des Verbrauchs eines Ausweisungsgrundes ist mit dem Gedanken der Verwirkung vergleichbar, d.h. neben dem Zeitmoment ist auch ein Umstandsmoment in dem Sinne erforderlich, dass neben den Zeitablauf zusätzliche Umstände treten müssen, aus denen der Betroffene berechtigterweise den Schluss ziehen darf, die Behörde werde von ihren Befugnissen keinen Gebrauch mehr machen (vgl. VGH BW vom 15.9.2007 InfAuslR 2008, 24/26 f.). Der Beklagte hat jedoch in keiner Weise zu erkennen gegeben, dass er von dem durch den Kläger verwirklichten Ausweisungstatbestand keinen Gebrauch mehr machen will; insbesondere hat er in Kenntnis der Umstände, die diesen Ausweisungstatbestand begründen, dem Kläger weder einen Aufenthaltstitel erteilt noch verlängert (vgl. BayVGH vom 3.1.2007 24 CS 06.2634 <juris> RdNr. 14).

Die Rechtsverstöße des Klägers und der darauf beruhende Ausweisungsgrund sind trotz des inzwischen verstrichenen Zeitraums noch hinreichend aktuell und damit bei der Entscheidung der Ausländerbehörde auch verwertbar. Die Prüfung von Ausweisungsgründen im Verfahren um die Erteilung oder Verlängerung (vgl. § 8 AufenthG) einer Aufenthaltserlaubnis dient dem Zweck, aktuell zu befürchtende Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 55 Abs. 1 AufenthG abzuwenden. Je gewichtiger der Ausweisungsgrund ist, umso weniger strenge Voraussetzungen sind an die Prüfung des weiteren Vorliegens einer Gefährdung zu stellen (vgl. BayVGH vom 16.7.2008 19 CS 08.1436 u.a. <juris> RdNr. 8; Nr. 5.1.2.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26.10.2009 GMBl S. 877/918). Damit ist grundsätzlich bei jedem Ausweisungstatbestand eine Gefährdungsprognose anzustellen (vgl. BayVGH vom 16.7.2008 a.a.O. RdNr. 8). Das Verwaltungsgericht hat in seiner angegriffenen Entscheidung zutreffend dargelegt, dass die gegen den Kläger mit Strafbefehl vom 2. November 2001 und Strafurteil vom 17. Januar 2003 verhängten Strafen im Bundeszentralregister noch nicht getilgt und damit für die Prüfung des Vorliegens eines Ausweisungsgrundes noch verwertbar sind. Die Länge der Tilgungsfristen bildet die Schwere der begangenen Straftaten durchaus realitätsgerecht ab und ist daher grundsätzlich geeignet, auch gegenwartsbezogene Schlüsse auf die Aktualität des Ausweisungsgrunds zu ermöglichen (vgl.

VGH BW vom 6.5.2009, 13 S 2428/08 <juris>; OVG LSA vom 22.6.2009, 2 M 86/09 <juris> RdNr. 33). Die Ausländerbehörde hat im angefochtenen Bescheid überdies zu Recht darauf abgestellt, dass sich der Kläger selbst nach Erlass eines Strafbefehls wegen unrichtiger bzw. unvollständiger Angaben bei der Ehegattenerklärung nicht davon abhalten ließ, in der Folgezeit weitere unvollständige Erklärungen abzugeben. Die zwischenzeitlich erfolgte Scheidung dieser Ehe des Klägers rechtfertigt nicht die Prognose, dass der Kläger künftig nicht mehr versuchen wird, sich durch unvollständige oder unwahre Angaben Vorteile im aufenthaltsrechtlichen Verfahren zu verschaffen. Aus welchen anderen Gründen eine solche Gefahr aktuell nicht mehr gegeben sein soll, hat der Kläger weder hinreichend substantiiert dargelegt noch ist dies für den Verwaltungsgerichtshof sonst ersichtlich.

Gründe für ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG aufgrund eines atypischen Geschehensablaufs, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht des gesetzlichen Versagungsgrunds beseitigt, hat das Erstgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei verneint. So hat es zutreffend ausgeführt, dass der Kläger die Immobilie (in Deutschland) zu einem Zeitpunkt erworben hat, als er gerade nicht über ein gesichertes Aufenthaltsrecht verfügte und zudem von der Ausländerbehörde bereits hinsichtlich der möglichen Aufenthaltsbeendigung angehört worden war. Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Bewertung, dass der langjährige Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet (seit ca. 17 Jahren) ebenfalls nicht die Annahme eines Ausnahmefalls rechtfertigt, weil der Kläger nur für einen sehr kurzen Zeitraum eine durch einen Aufenthaltstitel gesicherte Rechtsposition inne hatte.

Auch die vom Kläger weiter geltend gemachten Gesichtspunkte, er stehe in einem Beschäftigungsverhältnis und beziehe keine Sozialleistungen, sind nicht geeignet, eine Ausnahme vom Regelfall zu begründen; denn dies sind jedenfalls keine (atypischen) Umstände, die das entgegenstehende Interesse an der Versagung des Aufenthaltstitels eindeutig überwiegen. Ausschlaggebendes Gewicht für die Beseitigung der gesetzlichen Regelvermutung kommt entgegen der Auffassung des Klägers schließlich nicht dem Umstand zu, dass seine frühere Ehefrau auf den auszufüllenden Formularen der Ausländerbehörde zur Ehegattenerklärung zweimal handschriftliche Ergänzungen vorgenommen und darin darauf hingewiesen hat, dass der Kläger in München arbeite und daher nur alle zwei bis drei Tage "nach Hause kommt". Dazu hat bereits die Strafkammer beim Landgericht Nürnberg-Fürth in ihrem Berufungsurteil vom 17. April 2003 (Verwerfung der Berufung des Klägers) mit Recht bemerkt, der Kläger habe jedenfalls aufgrund seiner vorangegangenen strafrechtlichen Verurteilung gewusst, dass jede (Ehegatten-)Erklärung insbesondere auch hinsichtlich der Frage eines weiteren Wohnsitzes des Klägers vollständig und richtig sein muss und dies für die Ausländerbehörde von entscheidender Bedeutung ist.

2. Die vom Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist hier schon deshalb nicht gegeben, weil vorliegend letztlich die einzelfallbezogene Anwendung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG inmitten steht. Über das Vorliegen eines Ausnahmefalls ist aufgrund einer Abwägung aller Umstände des konkreten Einfalls nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu entscheiden. Klärungsbedürftige verallgemeinerungsfähige Fragen stellen sich hier insoweit nicht. Letzteres gilt auch hinsichtlich der Frage der Verwertbarkeit des vom Kläger verwirklichten Ausweisungstatbestands im Rahmen der Entscheidung der Ausländerbehörde. [...]