VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 08.09.2010 - 10 K 673/09 - asyl.net: M17852
https://www.asyl.net/rsdb/M17852
Leitsatz:

1. Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG enthält jedenfalls bei Nichtvorliegen einer Bedarfsgemeinschaft eine die allgemeine Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 2 Abs. 3 AufenthG verdrängende Spezialregelung, die Ausländer nach fünfjährigem rechtmäßigen Aufenthalt dahingehend privilegiert, dass tatsächlich nur die Sicherung seines eigenen Unterhalts zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erforderlich ist.

2. Ein Ausweisungsgrund i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG steht der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG nicht entgegen, wenn der Ausweisungsgrund unter Berücksichtigung der in dieser Vorschrift bezeichneten Gesichtspunkte das private Interesse des Ausländers an der Gewährung eines nationalen Daueraufenthaltsrecht nicht überwiegt.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Bedarfsgemeinschaft, allgemeine Regelung, Spezialregelung, Ausweisungsgrund, Niederlassungserlaubnis, lex specialis, Sicherung des Lebensunterhalts, Unterhaltsanspruch, Unterhaltspflicht, Kindesunterhalt, Familienangehörige,
Normen: AufenthG § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, AufenthG § 2 Abs. 3, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 4,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung der von ihm begehrten Niederlassungserlaubnis. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 28.01.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.06.2009, mit dem der Antrag des Klägers auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG sowie § 9 Abs. 2 AufenthG für die Bundesrepublik Deutschland abgelehnt worden ist, ist daher rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). [...]

Der Kläger kann die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aber nach § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG beanspruchen.

Nach der Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist einem Ausländer die Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er seit fünf Jahren die Aufenthaltserlaubnis besitzt (Nr. 1) und er besondere Integrationsanforderungen in Bezug auf den Lebensunterhalt (Nr. 2), die Altersvorsorge (Nr. 3), Gründe öffentlicher Sicherheit oder Ordnung (Nr. 4), die Berufsausübung (Nr. 5 und 6), die Kenntnisse der deutschen Sprache (Nr. 7) und der Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet (Nr. 8) und den Wohnraum (Nr. 9) erfüllt. Bei Ausländern, die bereits vor dem 01.01.2005 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen sind, findet nach der Übergangsregelung des § 104 Abs. 2 AufenthG § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Nr. 8 AufenthG keine Anwendung und hinsichtlich der sprachlichen Kenntnisse ist nur erforderlich, dass sie sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen können.

Dass der Kläger, der durchgehend seit dem 05.05.2003 und auch aktuell im Besitz einer bis zum 30.04.2011 gültigen Aufenthaltserlaubnis ist, die danach für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erforderlichen Voraussetzungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 5 bis 7 und 9 AufenthG erfüllt, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Entgegen der Annahme des Beklagten liegt aber auch die für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG weiter vorausgesetzte Sicherung des Lebensunterhalts des Klägers vor.

Nach der gesetzlichen Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann, wobei die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht bleiben. Es bedarf einer positiven Prognose, dass der Lebensunterhalt in dieser Weise in Zukunft auf Dauer gesichert ist. Die zur Verfügung stehenden Mittel müssen deshalb eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen. Erforderlich ist ein Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mitteln (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 26.08.2008, 1 C 32.07, NVwZ 2009, 248).

Ausgehend davon kann der Kläger seinen Lebensunterhalt aufgrund eigenen Erwerbseinkommens bestreiten. Der Kläger ist seit 08.01.2007 fast durchgängig berufstätig. In der Zeit vom 08.01.2007 bis zum 23.07.2008 war der Kläger bei einem durchschnittlichen monatlichen Nettoverdienst von 1.118,46 Euro bei der Fa. D. GmbH & Co. KG beschäftigt. In der Zeit vom 01.07.2008 bis zu seiner betriebsbedingten Kündigung zum 16.11.2009 stand der Kläger als Produktionshelfer in einem Arbeitsverhältnis mit der Fa. E. GmbH. Nach erfolgter Besserung der Auftragslage wurde der Kläger bei der Fa. E. GmbH bereits am 01.12.2009 wieder eingestellt und befindet sich dort seither in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis. Ausweislich seiner Lohn- und Gehaltsabrechnungen für die Monate Februar bis April 2009 und einer entsprechenden Bescheinigung der Fa. E. GmbH vom 19.04.2010 bezieht der Kläger ein Bruttoeinkommen von monatlich 1.200,-- Euro. Abzüglich der insoweit anfallenden Lohnsteuer sowie der Sozialversicherungsbeiträge beläuft sich das Einkommen des Klägers auf 910,22 Euro. Vom so ermittelten Nettoeinkommen sind zunächst 100,-- Euro als Freibetrag nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II sowie weitere vom Bruttoeinkommen berechnete Freibeträge nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i. V. m. § 30 Satz 1 Nr. 1 SGB II in Höhe von (20 % von 700,-- Euro =) 140,-- Euro und nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i. V. m. § 30 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 SGB II von (10 % von 400,-- Euro =) 40,-- Euro abzuziehen (vgl. dazu OVG des Saarlandes, Urteil vom 24.09.2009, 2 A 287/08, unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 26.08.2008, 1 C 32.07, NVwZ 2009, 248).

Ferner verringert sich das angenommene Nettoeinkommen um den Regelsatz von 359,-- Euro für Alleinstehende und die Unterkunftskosten in Höhe von 185,-- Euro, so dass aufgrund der vorliegenden Lohn- und Gehaltsabrechnungen ein Einkommensüberschuss von 86,22 Euro festzustellen ist. Dies ist, wovon im Ergebnis auch der Beklagte mit einem von ihm errechneten Einkommensüberschuss von 376,-- Euro ausgeht, ausreichend um den eigenen Lebensunterhalt des Klägers dauerhaft zu sichern. Dafür, dass das unbefristete Arbeitsverhältnis mit der Fa. E. GmbH, in dem der Kläger, von einer kurzzeitigen Unterbrechung abgesehen, nunmehr bereits seit über zwei Jahren steht, nicht auch künftig unverändert fortbestehen könnte, ist nichts ersichtlich.

Nicht erforderlich ist, dass der Kläger mit seinem Einkommen auch den gegenüber seiner minderjährigen deutschen Tochter bestehenden Unterhaltspflichten in vollem Umfang nachkommen und den nach § 1612 a BGB maßgeblichen Mindestunterhalt leisten kann. Mit Urteil vom 24.09.2009, 2 A 287/08, hat das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes entschieden, dass es unschädlich ist, dass ein Ausländer mit seinem Einkommen nicht auch den Lebensunterhalt seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen sichern kann. Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes ausgeführt:

"Wie sich aus dem Wortlaut des § 9 II 1 Nr. 2 AufenthG, auf den § 26 IV 1 AufenthG Bezug nimmt, ergibt, setzt die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis voraus, dass "sein Lebensunterhalt" gesichert ist. Diese Voraussetzung grenzt sich zunächst gegenüber § 5 I Nr. 1 AufenthG ab, wonach für die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel "der Lebensunterhalt" gesichert sein muss. Allerdings ist zu sehen, dass diese Regelung eine allgemeine Erteilungsvoraussetzung für Aufenthaltstitel enthält und die die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis betreffende Vorschrift des § 9 II 1 Nr. 2 AufenthG mit einer eigenen Festlegung zum Lebensunterhalt jedenfalls spezieller ist. Deutlicher noch unterscheidet sich § 9 II 1 Nr. 2 AufenthG mit der Formulierung "seinen Lebensunterhalt" aber von § 9 a II Nr. 2 AufenthG, wonach einem Ausländer eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG, die der Niederlassungserlaubnis gleichgestellt ist, zu erteilen ist, wenn u. a. "sein Lebensunterhalt und derjenige seiner Angehörigen, denen er Unterhalt zu leisten hat, durch feste und regelmäßige Einkünfte gesichert ist". Der unterschiedliche Wortlaut dieser beiden Normen spricht entscheidend dagegen, dass auch nach § 9 II 1 Nr. 2 AufenthG nicht nur der Lebensbedarf des Ausländers selbst, sondern auch der seiner Familienangehörigen gesichert sein muss, obwohl dies – anders als gemäß § 9 a II 1 Nr. 2 AufenthG – nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist. Zwar weist der Beklagte in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass § 9 a AufenthG erst im Jahre 2007 in Umsetzung der Richtlinie 2003/109/EG des Rates betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen vom 25.11.2003 nachträglich in das AufenthG eingefügt wurde und § 9 a II 1 Nr. 2 AufenthG dem Richtlinientext entspricht. Dies könnte jedoch die Beibehaltung des ursprünglichen Wortlauts des § 9 II 1 Nr. 2 AufenthG allenfalls dann hinreichend erklären, wenn § 9 II 1 AufenthG durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 gänzlich unverändert geblieben wäre. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr ist festzustellen, dass § 9 II 1 Nr. 4 AufenthG an den Text des § 9 a II 1 Nr. 5 AufenthG wortgleich angepasst worden ist. Begründet wurde diese Anpassung in den Gesetzesmaterialien zum einen mit der in § 9 a I 2 AufenthG ausdrücklich geregelten Parallelität von Niederlassungserlaubnis und Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG und zum anderen mit der Begegnung möglicher Missverständnisse. Da aber bereits vor dieser Gesetzesänderung streitig und damit unklar gewesen ist, ob sich die Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 I Nr. 1 AufenthG auf die Bedarfsgemeinschaft erstreckt, drängt sich auf, dass der Gesetzgeber § 9 II 1 Nr. 2 AufenthG bei der Gesetzesänderung zwar überprüft, eine entsprechende Anpassung der Vorschrift jedoch aus inhaltlichen Gründen unterlassen hat, um nämlich die Privilegierung des Ausländers bei der Erteilung der Niederlassungserlaubnis im Gegensatz zu den Vorschriften über den Familiennachzug, die grundsätzlich eine Sicherung des Lebensunterhalts der Familie verlangen, zu erhalten. Wohl überwiegend wird die Auffassung vertreten, dass für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG keine Gesamtbetrachtung der Familiengemeinschaft zu erfolgen hat, sondern der Ausländer isoliert zu betrachten ist. Diese Auffassung wird zudem von den VAH-AufenthG gestützt, die in Nr. 9.2.2 (zu § 9 II AufenthG) auf § 2 III AufenthG verweisen, und unter Nr. 2.3.3.1 darauf hinweisen, dass Leistungen für Familienangehörige nicht anzusetzen sind "da sich § 2 III AufenthG lediglich auf den Lebensunterhalt des einzelnen Ausländers bezieht".

An der Richtigkeit der dargestellten, auf dem Gesetzeswortlaut des § 9 II 1 Nr. 2 AufenthG gründenden Ansicht, ändert auch die von Seiten des Beklagten in der mündlichen Verhandlung angesprochene neue "Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz" der Bundesregierung – nachfolgend: AVV-AufenthG – (BR-Drucksache 669/09 vom 27.07.2009) nichts, der der Bundesrat am 18.09.2009 seine Zustimmung erteilt hat, über deren Inkrafttreten aber noch nichts bekannt ist. Zwar wird hier unter Nr. 9.2.1.2 "Lebensunterhaltssicherung" ausgeführt, dass hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 9 II 1 Nr. 2 grundsätzlich § 2 III gelte und diese Voraussetzung nicht erfüllt sei, wenn der Antragsteller den Lebensunterhalt nur für sich, nicht aber für seine Familienangehörigen in Deutschland, denen er zum Unterhalt verpflichtet sei, sicherstellen könne. In der sodann in Bezug genommenen Nr. 2.3.2 wird dies – in Abkehr von der vorgenannten Nr. 2.3.3.1 VAH-AufenthG – bekräftigt und dargelegt, dass bei isolierter Betrachtung § 2 III sich zwar nur auf die Sicherung des Lebensunterhaltes des jeweiligen Antragstellers beziehe. Die Einbeziehung der Unterhaltspflichten des Ausländers ergebe sich jedoch aufgrund gesetzes- und rechtssystematischer Auslegung. In Nr. 2.3.2.1 AVV-AufenthG wird insoweit ausgeführt, in § 2 III 2 würden das Kindergeld, der Kinderzuschlag und das Erziehungsgeld oder Elterngeld ausdrücklich aus der Berechnung der Lebensunterhaltssicherungspflicht herausgenommen, diese Leistungen – mit Ausnahme des Erziehungsgeldes und teilweise des Elterngeldes – würden jedoch gerade in Bezug auf unterhaltsberechtigte Kinder gewährt und dienten nicht der Sicherung des Lebensunterhaltes des Elternteils. Auch Ausländer unterlägen ebenso wie Deutsche den unterhaltsrechtlichen Verpflichtungen des BGB, die auch im AufenthG vorausgesetzt würden (Nr. 2.3.2.2 AVV-AufenthG). Die Notwendigkeit einer Gesamtbetrachtung ergebe sich - insbesondere in Familiennachzugsfällen – auch aus dem Verständnis der Familie als durch Unterhaltspflichten miteinander verbundene Wirtschaftsgemeinschaft; zudem werde bei der Gewährung sozialer Leistungen stets vermutet, dass innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft gemeinsam gewirtschaftet werde (§ 36 SGB XII) und infolge dessen eine Gesamtbetrachtung angestellt (Nr. 2.3.2.3 AVV-AufenthG). Die Sicherung des Lebensunterhalts der unterhaltsberechtigten Familienangehörigen sei daher Bestandteil der eigenen Lebensunterhaltssicherung.

Zunächst ist hierzu festzustellen, dass Nr. 9.2.1.2 AVV-AufenthG sich nicht mit dem Wortlaut des § 9 II 1 Nr. 1 AufenthG – insbesondere angesichts der Formulierung des § 9 a II 1 Nr. 2 AufenthG – auseinandersetzt und hinsichtlich einer isolierten Betrachtung des Ausländers bei der Frage der Sicherung des Lebensunterhaltes lediglich auf die Erläuterungen zu den Begriffsbestimmungen in Nr. 2.3.2 AVV-AufenthG Bezug nimmt. Die Frage, ob für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis – und nur darum geht es vorliegend – der Lebensbedarf allein des Ausländers oder auch der Familie gesichert sein muss, wird jedoch wie oben dargelegt bereits durch den Wortlaut des § 9 II 1 Nr. 2 AufenthG - abweichend von diesen Verwaltungsvorschriften zu § 2 III AufenthG – geregelt; eine Auseinandersetzung mit ihnen ist daher nicht erforderlich."

Dieser Auffassung, die ersichtlich auch von der weitgehend einhelligen Kommentarliteratur geteilt wird (vgl. Marx in GK-AufenthG, Stand: August 2010, § 9 Rdnr. 178 f., Hailbronner, AuslR, Stand: Juni 2010, § 9 Rdnr. 19; Hofmann/Hoffmann, AuslR, 1. Auflage 2008, § 9 Rdnr. 14, § 2 Rdnr. 16 sowie Renner, AuslR, 8. Auflage 2005, § 9 Rdnr. 20, § 2 Rdnr. 17), schließt sich die Kammer, die die Frage, ob bei der im Rahmen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vorzunehmenden Bedarfsberechnung auf die Bedarfsgemeinschaft abzustellen oder der Ausländer isoliert zu betrachten ist, in ihrem im Anschluss an das vorbezeichnete Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 24.09.2009 ergangenen Urteil vom 10.03.2010, 10 K 659/09, noch offengelassen hat, zumindest für Fälle der vorliegenden Art an, in dem eine Bedarfsgemeinschaft des Ausländers mit seinen Familienangehörigen gerade nicht besteht. Danach stellt § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG jedenfalls bei Nichtvorliegen einer Bedarfsgemeinschaft eine die allgemeine Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 2 Abs. 3 AufenthG im Ergebnis verdrängende Spezialregelung dar, die insoweit den Ausländer nach fünfjährigem rechtmäßigen Aufenthalt dahingehend privilegiert, dass tatsächlich nur die Sicherung seines eigenen Unterhalts zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erforderlich ist.

Der Erteilung der Niederlassungserlaubnis steht im Weiteren auch nicht § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen, wonach die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraussetzt, dass kein Ausweisungsgrund vorliegt. Es bestehen bereits Bedenken daran, ob ein Ausweisungsgrund darin gesehen werden kann, dass der Kläger seinen Unterhaltspflichten gegenüber seiner minderjährigen Tochter nicht in vollem Umfange nachkommt. Zwar können insbesondere auch schuldhafte Verletzungen der Unterhaltspflicht einen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen und damit einen Ausweisungsgrund i.S.v. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG darstellen. Davon abgesehen, dass es vorliegend bereits an einer verbindlichen familienrechtlichen Entscheidung über die tatsächliche Höhe der von dem Kläger gegenüber seiner minderjährigen Tochter zu erbringenden Unterhaltsleistungen fehlt, läge eine Verletzung der Unterhaltspflicht des Klägers nur dann vor, wenn er auch leistungsfähig wäre. Nach § 1603 Abs. 1 BGB ist nämlich nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Da der notwendige Eigenbedarf gegenüber minderjährigen unverheirateten Kindern nach den unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Düsseldorfer Tabelle vom 01.01.2010, die auf Koordinierungsgesprächen unter Beteiligung aller Oberlandesgerichte und der Unterhaltskommission des Deutschen Familiengerichtstages e.V. beruht, bei einem erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen monatlich 900,-- Euro beträgt, ist der Kläger nur mit dem seinen Selbstbehalt übersteigenden Teil seines Nettoeinkommens, das sich - wie dargelegt - auf 910,22 Euro beläuft, unterhaltspflichtig. Der insoweit bestehenden Unterhaltsverpflichtung kommt der Kläger aber ersichtlich nach, da er nach den Angaben der Kindesmutter seit Februar 2010 Unterhaltszahlungen in Höhe von 100,-- Euro leistet und auch bereits zuvor ausweislich der Mitteilung des Jugendamtes der Stadtverwaltung K. vom 11.08.2008 zumindest seit Februar 2007 52,-- Euro monatlich an laufendem Kindesunterhalt gezahlt hat.

Selbst bei Annahme einer unterhaltsrechtlichen Pflichtverletzung des Klägers stünde dies fallbezogen der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis indes nicht entgegen. Denn die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG setzt nur voraus, dass keine Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unter Berücksichtigung der Schwere oder der Art des Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder der vom Ausländer ausgehenden Gefahr unter Berücksichtigung der Dauer des bisherigen Aufenthalts und dem Bestehen von Bindungen im Bundesgebiet entgegenstehen. Wenngleich das Verhältnis von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG zu dem Regelversagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht abschließend geklärt ist (vgl. dazu Hailbronner, AuslR, a.a.O., § 9 Rdnr. 29 ff. mit den entsprechenden Hinweisen auf die Rechtsprechung), stehen Ausweisungsgründe der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis jedenfalls dann nicht entgegen, wenn sie unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG bezeichneten Gesichtspunkte das private Interesse des Ausländers an der Gewährung eines nationalen Daueraufenthaltsrechts nicht überwiegen (so ausdrücklich OVG des Saarlandes, Urteil vom 24.09.2009, 2 A 287/08; ferner VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.07.2009, 11 S 2289/08, InfAuslR 2010, 59, wonach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG durch die besondere Erteilungsvoraussetzung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG als lex specialis verdrängt werde).

Dies ist vorliegend indes erkennbar nicht der Fall. Selbst eine etwaige Verletzung der Unterhaltspflichten des Klägers rechtfertigte im Hinblick auf die Art und Schwere dieser Pflichtverletzung nicht die Ablehnung der Niederlassungserlaubnis. Im Rahmen der nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG vorzunehmenden einzelfallbezogenen Abwägung (vgl. dazu OVG des Saarlandes, Urteil vom 24.09.2009, 2 A 287/08; ferner Hailbronner, AuslR, a.a.O., § 9 Rdnr. 35) ist insoweit zu Gunsten des Klägers nämlich zu berücksichtigen, dass er erkennbar darum bemüht ist, seinen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner minderjährigen Tochter nachzukommen. Nach den Angaben der Kindesmutter (vgl. deren Erklärung gegenüber dem Beklagten, Bl. 401 der Verwaltungsakten) leistet der Kläger seit Februar 2010 Unterhaltszahlungen in Höhe von monatlich 100,-- Euro. Bereits zuvor zahlte der Kläger ausweislich der Mitteilung des Jugendamtes der Stadtverwaltung K. vom 11.08.2008 seit Februar 2007 monatlich 52,-- Euro an laufendem Kindesunterhalt sowie seit dem 16.11.2006 des Weiteren 20,-- Euro im Monat auf rückständige Sozialhilfeleistungen. Bei diesen Gegebenheiten ist eine etwaige Verletzung noch weitergehender Unterhaltspflichten durch den Kläger nach der gesetzlichen Wertung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG als erheblich gemindert und relativiert anzusehen. Demgegenüber wiegen die privaten Interessen des Klägers an der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis als nationales Daueraufenthaltsrecht doch deutlich schwerer. Der Kläger hält sich bereits seit mehr als elf Jahren in der Bundesrepublik Deutschland auf und war die überwiegende Zeit seines Aufenthaltes erwerbstätig. Auch derzeit ist der Kläger beruflich voll integriert. Offenbar besteht auch eine starke Bindung zu seiner minderjährigen deutschen Tochter, was sich nicht zuletzt darin manifestiert, dass er das Personensorgerecht gemeinsam mit der Kindesmutter ausübt. Vor diesem Hintergrund erscheint die Ablehnung der Niederlassungserlaubnis durch den Beklagten aber nicht gerechtfertigt, zumal deren Versagung es dem Kläger eher erschweren wird, seinen Unterhaltsverpflichtungen auch in Zukunft in der erforderlichen Weise nachzukommen. [...]